Samstag, 2. November 2013

Viennale Tagebuch: Ejakulationen, Hitler und Enthusiasmus



Wenn man die Einführung von Chris Fujiwara im Filmmuseum zu „Which Way To The Front“ von Jerry Lewis mit anhören durfte, dann war man schon vor dem Film begeistert. Es war eine zugleich emotionale und sachliche Einführung, die einen am Abend eines langen Viennale-Tages nochmal richtig auf Lewis einstimmen konnte. Der alberte sich in gewohnt grandioser Art und mit einer gewissen Verwandtschaft zu Tarantinos „Inglourious Basterds“ durch den 2.Weltkrieg. Diese Verwandtschaft sprudelte auch aus den begeisterten Worten von Fujiwara heraus. Ein großer Mann der Filmkritik und Festivalwelt. Der halbe Hitlergruß von Lewis im Film: „Half a Heil“, ist wohl eines der prägenden Zitate für mich bei der diesjährigen Viennale. Zuvor hatte ich zum zweiten Mal Asghar Farhadis „Le passé“ gesehen, ein Film der kaum Raum zum Atmen hat, aber dieses auch nicht braucht. Irgendwie ist Farhadi ja ein Verwandter von Götz Spielmann…diese eingeschnürten Dramen, die auch als Thriller funktionieren. Wenn man sich zu Fuß in der klaren Novemberluft zwischen den Kinos bewegt, dann hat man auch Zeit sich diese enge und Perfektion in Wahrhaftigkeit umzuwandeln. Außerdem schlägt man natürlich allerhand Brücken. Ich fühle mich immer hin und hergezogen bezüglich der Frage, ob es gut ist mehrere Filme an einem Tag anzusehen. Auf einem Festival ist das natürlich normal und eigentlich Pflicht und ich sehe auch, dass sich im Dialog zwischen den Filmen neue Welten auftun und die Filme extrem gewinnen können. Auf der anderen Seite hatte ich zum Beispiel nach „Història de la meva mort“ von Albert Serra das unbedingte Bedürfnis keinen weiteren Film mehr zu sehen. Ich tat es trotzdem. Je mehr Filme man sieht, desto mehr gibt es auch zu sehen. Eine unendlich ansteigende Kurve. Die fast unbegrenzten Zugangsmöglichkeiten unserer Zeit machen Kinoliebe zu einem Sport. Wie man spätestens seit Truffaut weiß, sind Filmliebhaber kranke Leute, aber wo gewinnt man noch etwas für sich aus den Filmen, wann reflektiert man darüber und setzt das Ganze in eigene kreative Energie um, wenn es so viel zu sehen gibt? Christian Petzold hatte mal gesagt, dass er in seinen Anfangsjahren an der Filmschule in eine Schaffenskrise kam, weil er nur noch am Filmeschauen war. Ist ein Festival also eine Krise für mich? 


In eine solche Krise gerät jedenfalls der Protagonist und gleichzeitig Regisseur des pursten Films, den ich bislang auf der Viennale gesehen habe. Pur, weil er bedingungslos offen und ehrlich ist: „La jungla interior“ von Juan Barrero. Der Film ist aus Privataufnahmen entstanden, die der Spanier bereits vor 4 Jahren drehte, als er von der Schwangerschaft seiner Frau erfuhr. Er konnte diese nur noch mit der Kamera betrachten, als würden die Bilder des Kinos ihn an sie binden, die Beziehung retten. Er begleitete sie 9 Monate, aber filmte mit Sicherheit keine klassischen pseudo-romantischen Bilder einer Schwangerschaft, sondern eine innere Zerrissenheit. Schwangerschaft wurde selten so offen, abstoßend und einfühlsam gezeigt wie hier. Gemischt wird das Ganze mit surrealen Bildern einer Befruchtung und dem inneren des Urwalds, das für das Innenleben der Figuren steht. Zwar lässt einen der Film ganz nah ran, aber es wirkt nie voyeuristisch oder gar pornographisch. Barrero spielt mit der Distanz, entfremdet das geschehen mit einer dänischen Voice-Over Stimme. Der Sänger, der dem Film seine Stimme lieh, saß im Kino neben mir. Es war sehr interessant zu bemerken, wie nervös er wurde, sobald er seine eigene Stimme ertönte. Trotz der manchmal extremen Bilder von On-Screen Masturbation bis zu Close-Ups des weiblichen Geschlechts war es äußerst ruhig im Kinosaaal, weil man eine Ehrlichkeit und ein Gefühl hinter den Bildern spüren konnte, die weit über eine rein intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Gesehenen hinweg reichen. Die Krise verstärkt sich dann noch, weil man so viele unterschiedliche Filme und Einflüsse auf einmal bekommt. Ein spanischer Avantgarde-Film über eine entfremdete Schwangerschaft, ein französisch-iranisches Drama über Scheidung und Vergangenheit und eine amerikanische Komödie über den 2.Weltkrieg. Ich mag meine Krise.

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