Montag, 4. November 2013

Viennale Tagebuch: Philippinische Terroristen und Tränen



Nach einem langen Festivaljahr bietet die Viennale auch immer die Möglichkeit Filme wieder zu sehen, die man an anderer Stelle sehr gemocht hat. Dazu gehörten für mich „Medeas“ von Andrea Pallaoro und „La vie d’Adèle“ von Abdellatif Kechiche. Zwei sehr unterschiedliche Filme, die beide gewissermaßen mein Festivaljahr auf einen großen Nenner bringen. Denn der vieldiskutierte Gewinner der Goldenen Palme 2013 steht für mich für die sinnliche Aufregung und Unschuld des Festivalzirkus, den ich dieses Jahr kennenlernen durfte. Die tausend Eindrücke, die im Film in der wiederholten Nahaufnahme des geöffneten Mundes von Adèle kulminieren, lassen Film zu einem sinnlich-rhythmischen Erlebnis werden, die Offenheit und Furchtlosigkeit, mit der Kechiche eine junge Liebe einfängt, sucht Ihresgleichen. Zwar verliebt man sich beim zweiten Mal nicht mehr ganz so schön wie beim ersten Mal, aber es bleibt das gleiche Gefühl und der Boden, den der Regisseur einem dann wegzieht, ist aus Schmerz. Es geht dabei auch um die Art wie er den Prozess von Gefühlen zeigt: Lächeln und vor allem Tränen entstehen unter unserer Betrachtung und sind nie einfach da. „Medeas“ dagegen spricht eher die intellektuelle Auseinandersetzung mit Filmen an, die in diesem Jahr eine ganz neue Bedeutung für mich bekommen hat; ein Gefühl dafür, welche Art von Kino auch in dieser Zeit noch möglich ist und die gleichzeitig traurige als auch freudige Erkenntnis, dass sich dieses Kino fast ausschließlich auf Festivals befindet. Auch Pallaoro zieht einem den Boden unter den Füßen weg und hört einfach an der perfekten Stelle auf zu erzählen. Heute unterhielt ich mich lange mit dem Regisseur über seinen Film und konnte in ihm auch wieder jene Begeisterung für eine bestimmte Art Kino sehen, die in erst in diese Geschichten und diese Form treibt.


Treiben ist wohl auch das Stichwort für die Filme von John Torres, dem dieses Jahr ein spezielles Programm im Rahmen der Viennale gewidmet ist. Der junge philippinische Filmemacher, der sich zusammen mit unter anderem Raya Martin und Khavn De La Cruz zu einer ganz besonderen Bewegung im südostasiatischen Kino formiert hat, einem Kino jenseits unserer europäischer Sehgewohnheiten, dass an den Türen der Lyrik und Musik klopft, um bedingungslos persönliche, oft vibrierende Essays über unsere Zeit  zu entwerfen. Dabei passt der Begriff Experimentalfilm nur bedingt auf den ältesten und den neuesten Film von Torres, die ich beide nach nerdiger (im besten Sinne des Wortes) Einleitung von Olaf Möller sehen durfte. „Todo todo teros“ ist eine flüchtende Liebesgeschichte im Zeitalter einer Überwachung. Irgendwo angesiedelt zwischen einem Videotagebuch und „Fallen Angels“ von Wong Kar-Wai. Torres arbeitet mit Schrift und er spielt mit einem Feuerwerk an Eindrücken. Dabei lässt er seine unheimlich starke emotionale Seite oft in den Irrwegen seiner rebellischen Tendenzen, die er selbst als Terrorismus bezeichnet, vedursten. Damit steht er überraschend nahe zu Albert Serra, der in unserem Interview beständig von der subversiven Seite des Kinos sprach.  Gibt es in seinem Frühwerk noch einige Schwierigkeiten für mich, so hat mich „Lukas nino“ dann sehr begeistert. Ähnlich wie bei Raya Martin in „How to disappear completely“ baut sich darin ein tranceartiger Sog zwischen der Hommage an eine bestimmte Bildersprache (bei Torres, die des Philippnischen Mainstreamkinos der 1980er Jahre), wunderschönen Bildern und einer kindlichen Mystik, die von Flüssen erzählt, durch die man schwimmt, um eine Erinnerung zu vergessen und von Kindern, die glauben, dass sie halb Mensch halb Pferd sind. Die Eindrücke und Gefühle bombardieren einen und man merkt förmlich wie Torres von seiner gezwungenen Terroristentätigkeit, zu einem Musiker der Emotionen wurde, der Filmsprache tatsächlich mit Musik gleichzusetzen versucht. Im Rausch des Festivals dient ein solcher Film wie eine Metabeschreibung der Erlebnisse. Eine Bilderflut, die sich Zeit nimmt. Irgendwo darin geht Film verloren bis man ihn wieder findet und sich erneut darin verliebt.In einer fast schmerzenden Szene werden Augen massiert und jedesmal, wenn das Weiß der Augen zu sehen ist, verändert sich das 35mm Filmmaterial. Habe ich das wirklich gesehen?

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