Natürlich thematisieren Filmemacher von Zeit zu Zeit Arbeit
und Leben ihrer Artgenossen. Dann tauchen Regisseure in Filmen auf, meist als
eine Art Alter-Ego für die Filmemacher selbst. Es gibt dafür zahlreiche tolle
Beispiele, die sich häufig in Nebenrollen hervortun wie etwa in Abbas Kiarostamis
„Through the Olive Trees“, bei Nuri Bilge Ceylan in „Clouds of May“ oder bei
Andreas Dresen in „Whisky mit Wodka“. Das sind dann Regisseure als Arbeiter,
die mal mehr und mal weniger überzeichnet vor verschiedenen alltäglichen
Problemen stehen. Man merkt diesen Filmen an, dass die Regisseure persönliche
Elemente mit in ihre Charaktere bringen und damit einen ehrlichen Ausschnitt in
das Seelenleben eines Regisseurs geben. Allerdings gelingt es ihnen kaum dort
ganze Figuren entstehen zu lassen, sondern sind es eher die Momente kurzer Wahrheit,
die beeindrucken. Selbstverständlich ist es schwer einen Menschen wirklich
plastisch fühlbar zu machen im Film. Gerade deshalb scheint mir, dass man
häufiger von etwas fasziniert wird im Film, was man nicht kennt. Werden
beispielsweise Menschen mit Behinderung in einem Film gezeigt, dann mag
gesunden Menschen vieles darin plausibel und gut durchdacht vorkommen, während
Menschen, die tatsächlich mit der jeweiligen Behinderung leben nur ein stupides
Oberflächengekratze auf ihrem tatsächlichen Alltag bemerken. Ähnlich geht es
dann wohl auch den Regisseuren, die einen Film über das Berufsbild zu machen,
das sie selbst ausüben. Sie stellen sich die Frage: Wie zur Hölle könnte ich darstellen,
was es bedeutet ein Regisseur zu sein? (Beziehungsweise sie sollten sich diese
Frage stellen.)
8 1/2 von Federico Fellini |
Ich meine damit auch keineswegs Dokumentationen über
Filmemacher, die zum Teil äußert vielschichtig gestaltet werden, ich meine
fiktionale Versuche Filmemacher oder einen Filmdreh zu beleuchten. Aus Angst vor
dem Versagen und weil sich mit dem Regisseur als Charakter plötzlich ein
nachvollziehbarer Mensch anstatt eines nachvollziehbaren Charakters vor den Filmemachern
zeigt, weichen diese viel zu häufig in völlig chaotische Karikaturen und
Parodien der Figuren, überzeichnen die Filmemacher als cholerische, ständig
rauchende, nervöse, arrogante Egozentriker und kehren den Blick nicht nach innen,
in ihr eigenes Selbst, wo sie Ähnlichkeiten zur Figur mit großer Sicherheit
finden würden, sondern ähnlich der IMDB-Trivia nach außen, indem sie kleine
Anekdoten und Ticks der Regisseure beleuchten oder sie eben nur als Kultfigur
durchs Bild huschen lassen. Warum? Ein ganz schreckliches Beispiel dafür war zu
Beginn des Jahres mit „Hitchcock“ von Sacha Gervasi in den deutschsprachigen
Kinos. Ein Film wie eine amazon-Beschreibung zu einer Biographie ohne das Buch
dazu. Hitchcock wirkt darin wie aus einem Comic und vielleicht ist es nicht der
Anspruch dieses Filmes etwas tiefergehendes über seine titelgebende Figur
herauszufinden, aber dann hätte man sich die ganze Mühe mit der Maske für den
armen Hannibal Lecter auch sparen können. Auf dem Hamburger Filmfest rennen
derzeit auch einige körperlose Kultfiguren über die Leinwand, die versuchen
einen mystischen Kunststatus aufrechtzuerhalten statt zu versuchen, diese über
die Präsentation eines ambivalenten Charakters herzustellen. Improvisation mag
Teil eines Schauspielerwerkzeugs sein, aber sie kann alleine stehen wie in einer
Comedyshow. Nur weil die Tonalität und die Bewegungen Ähnlichkeiten mit dem
Original haben, hat das noch lange nichts mit der Figur selbst zu tun. Der Film
„Paradjanov“ von Serge Avedikian und Olena Fetisova verklärt seine Hauptfigur
zu niedlichem Kult, versucht gar nicht erst zu verstehen, sondern will nur
zeigen: Schaut mal, was der alles gemacht hat. Ja, aber dazu muss ich nicht in
euren Film, oder? Bei „Hunting the
Northern Godard“ von Éric Morin, der ebenfalls in Hamburg zu sehen ist, handelt
es sich vielleicht nicht um einen ganz so belanglosen Film, wie er sich aber
der Figur des Jean-Luc Godard annähert, ist mir ein großes Rätsel. Zunächst
dachte ich, dass Morin die Figur nicht wirklich zeigen wollte, sondern nur wie
es manchmal mit amerikanischen Präsidenten oder ähnlich hohen Tieren gemacht
wird, von schräg hinten am Bildrand mit einer Zigarette/Zigarre, die dort dann
immer Macht symbolisiert. Aber später zeigt er ihn doch von vorne und er ist
äußerlich tatsächlich absolut glaubhaft als Godard. Im Kino gewesen und
jemanden gesehen, der wie Godard aussieht. Schon klar, dass es Morin darum
ging den Regisseur mehr als eine Idee über dem Film schweben zu lassen, dann
hätte er sich aber die folgenden Szenen mit dem Nouvelle-Vague Regisseur sparen
können. Am Ende hat man das Bild einer Parodie vor sich, das ähnlich diverse
Set-Foto von Godard im Internet auch ohne Dialog funktioniert.
Irma Vep von Olivier Assayas |
Erstaunlich irgendwie, dass in „Paradjanov“ dann auch noch Marcello
Mastroianni einen Auftritt bekommt. In einer dunklen Szene erreicht er eines
Abends den Wohnort von Paradschanow, den er (also der echte Mastroianni) sehr
bewundert hat. Natürlich kommt er aber als Parodie, die Kamera bemüht sich
etwas hinter ihm zu bleiben, weil man wohl keinen guten Schauspieler für den
Part finden konnte. Dann setzt der Regisseur dem Schauspieler einen Hut und
eine Brille auf, damit er so aussieht wie in „8 ½“ und dann hätte es eigentlich
KLICK machen müssen. Paul Thomas Anderson zeigt Jack Horner in „Boogie Nights“,
so wie alles in diesem Film auf den ersten Blick, als Parodie; doch so wie eben
alles in diesem Film schwebt dahinter ein Mensch. Nur selbst ein
Ausnahmeregisseur wie Anderson findet keine Parallelen zwischen einem Mann, der
mit Pornos Kunst machen will und einem Mann, der mit einem Film über die
Pornoindustrie Kunst machen möchte. Mit fast allen anderen Figuren kommt Anderson
weiter als mit Horner (vielleicht liegt das auch an seinem Casting…). Der Regisseur
in „King Kong“ von Peter Jackson ist ein rücksichtslos Besessener, der bei
Truffaut ist eine Version von Antoine Doinel, der bei Assayas auch (dagegen ist
nichts einzuwenden, nur dass es nichts mit dem Beruf des Regisseurs zu tun hat,
wenn Léaud Regisseure spielt…). Aber Jean-Pierre Léaud kann auch anders. In „Le
pornographe“ von Bertrand Bonello gibt er tatsächlich ein persönliches, vielschichtig
Bild eines Filmemachers ab, der apathisch und zynisch die Facetten seines
Berufes durchleidet. Oft haben die Filmemacher Angst ihre Regisseure beim
Denken und Zweifeln zu zeigen, weil das dann nicht filmisch wäre. Ohne diese Meinung
zu teilen, kann man sich trotzdem die Frage stellen: Ist der Beruf des Regisseur
ein unfilmischer Beruf?
Boogie Nights von Paul Thomas Anderson |
Denn selbst Federico Fellini filmt Marcello Mastroianni kaum
bei der Arbeit. Es ist eher sein Leben, was ihn interessiert. Die Arbeit selbst
ist surreal. Erstaunlich wie in „8 ½“ gerade über das Erstellen von Karikaturen
etwas Wahrhaftiges zu entstehen scheint. Sollte es sich beim leidenden Regisseur
nämlich tatsächlich um jene Karikatur handeln, die die Filmgeschichte immer
darin sieht, dann finde ich den hohen Grad an Identifikation mit dieser Figur
geradezu unheimlich. Eine Rettung scheint es zu geben: Die Art und Weise mit
der Mathieu Amalric es versteht Regisseure zu spielen, beinhaltet etwas lebendiges,
etwas aufregendes, etwas echtes. In seinem eigenen „Tournée“ gibt er den
Manager und Regisseur einer reisenden Burlesque-Show, der ähnlich wie Ben
Gazarra bei Cassavetes und seinem „Killing of a Chinese Bookie“ zwischen Liebe,
Einsamkeit und Pflichtbewusstsein wankt, während er bei Polanskis „La Vénus à
la fourrure“ eine etwas komödiantischere, aber dennoch aufrichtige Performance
eines leeren Manns abhängig von seiner Muse, eines kämpfenden und
beobachtenden, ekstatischen und wilden Mannes gibt. Selbst in „Les Actrices“
von Valeria Bruni Tedeschi, in dem er dann doch wieder als Parodie gezeichnet
ist, findet er wahre Momente.
Nur fällt auf, dass er in keinem dieser Beispiele ein
Filmregisseur ist. Es scheint mehr über Film ausgesagt werden zu können, wenn
man den mechanischen Aspekt betont. Eine Kamera in der Bildmitte spricht mehr
über Film, als ein Portrait eines Regisseurs. Regisseure funktionieren nicht im
Bild. Vielleicht muss man sie wie Rivette über andere Künste erklären,
vielleicht nicht. Jedenfalls krankt die Darstellung von Filmemachern im Film.
Womöglich liegt das auch daran, dass die Frage: „Was ist ein Regisseur?“ ähnlich
subjektiv ist, wie die Frage „Was ist Kino?“
Les Actrices von Vaerlia Bruni Tedeschi |
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