François Ozon gehört zu jenen Filmemachern, auf die ich hier
immer wieder zurückkomme. Das liegt zum einen einfach daran, dass seine Filme
mich in irgendeiner Art ansprechen und mir viel an ihnen liegt, zum anderen
aber auch daran, dass bei ihm Filmemachen so gut zu analysieren ist und er fast
ähnlich einem Ingmar Bergman das Wort Autorenfilmer, mit immer wiederkehrenden,
ihn persönlich treffenden Themen definiert. Die Inszenierung liegt bei Ozon
meist sehr offen und so kann man unheimlich viel von ihm lernen, während man
sich seine Filme ansieht. Aus dem wilden Queer-Trash Filmer wurde ein
Autorenfilmer, der seine Wurzeln nie vergessen hat. Im Gegensatz zu Almodóvar
verliert er vielleicht etwas an Rotzigkeit, gewinnt aber dafür an Tiefe,
Rhythmus und Geschmack. „Jeune & jolie“, den ich in Cannes noch verpasst
hatte, aber nun in Hamburg nachholen konnte, reiht sich ganz wunderbar in das
Schaffen von Ozon ein. Es ist ein interessanter Blick auf eine junge Frau, der
man ganz tief in die Augen blicken kann, die man berühren kann, mit der man
schlafen kann ohne sie jemals wirklich kennenzulernen; „Where do you go to my
lovely when you’re alone in your bed?“, würde Peter Sarstedt an dieser Stelle
singen und man mag sich fragen, ob dieser Film eine kranke Männerfantasie ist
oder das verletzliche Portrait einer modernen Teenagerin. Ozon ist zu
intelligent, um in einer der beiden Fallen zu tappen, er installiert den jungen
Bruder der Protagonistin Isabelle als Voyeur, als unschuldigen Beobachter, der
genauso gefangen wird von seiner Schwester, wie die vielen Männer im Film.
Schon in der ersten Einstellung ist es der Bruder, der Isabelle durch ein Fernglas
am Strand beobachtet. Als ihm die junge Frau später unangenehme Fragen stellt,
weicht er dagegen zurück. So wie Ozon selbst, der endlich seine
Überpsychologisierung loswird, die „Swimming Pool“ in der zweiten Hälfte zu
einem übertriebenen Melodram verkommen ließen und in seinem Oeuvre etwas
redundant auf ödipale Komplexe hinauslaufen, entzieht sich also auch der
kleine, beobachtende Bruder der Selbstanalyse. Ozon setzt sich fast gleich mit
einem neugierigen Kind und hat die üblichen Szenen, in denen der Junge durch
den Türspalt schaut und seine Schwester beobachtet. Er deutet zwar auch in „Jeune
& jolie“ einen fehlenden Vater als mögliches Problem an, aber eben
gleichermaßen das Internet, Geldprobleme, Geheimnisse in der Familie und eine
fehgeleitete Sexualität. (Der Junge im Körper eines Mädchens ) Mal macht Ozon
das mehr und mal weniger subtil, aber er lässt dieser Frau etwas
unnachvollziehbares, die sie zu mehr machen als einem früher oder später
durchschaubaren Objekt.
JEUNE
Erstaunlich mit welcher Finesse Ozon das Thema des Alters
angeht. Wenn gegen Ende Charlotte Rampling gegenüber von Hauptdarstellerin
Marine Vacth sitzt, dann ist es fast wie in „Opening Night“ von John Cassavetes
eine Begegnung des eigenen Spiegelbilds. Natürlich nicht ohne, die ozonesque
Arroganz der Gegenüberstellung seiner alten Muse und seiner neuen Muse. Dieser
Spiegel verzerrt jedoch das Bild, weil Moralvorstellungen in diesem Film offen
angegriffen werden. Die schwierigen Momente bricht der Film mit Humor oder
Überzeichnung auf, etwa wenn ein Kunde stirbt oder wenn der Vater nackt durchs
Haus geht, als seine Tochter nach Hause kommt. In der verzweifelten Mutter
liegt eine weitere oder eigentlich die
am meisten psychologisierte Rolle des Films, in die Ozon mindestens genau so
viel Liebe steckt, wie in seine mysteriöse Hauptfigur. Dem Stiefvater kommt
Ozon keineswegs nahe, er scheint nur zu existieren, um für den einen oder
anderen Lacher zu sorgen, von denen sich Ozon leider wieder nicht ganz befreien
kann. Durch die ambivalente Mutterfigur jedoch entsteht ein
Generationenkonflikt, der in Unverständnis mündet. Der Konflikt, so wird später
Im Hotelzimmer mit Rampling klar, liegt jedoch nicht im Altersunterschied. Rein
filmtechnisch wirkt es manchmal einfallslos, es ist Kino aus der Konserve bis
auf jene Momente, in denen Gegenwart und Vergangenheit aufeinanderprallen in
der Inszenierung, manche mögen es Nostalgie nennen. So fahren französische
Chansons auf und das Geschehen verlangsamt sich in einer Discothek; in dieser
Bruchstelle liegt die apathische Isabelle, die man als Gesellschaftssyndrom
verstehen könnte. Man spürt nichts mehr, also will man in die Extreme. Sex als
Kick. Die existentielle Nüchternheit von „Sleeping Beauty“ von Julia Leigh ist
es nämlich nur auf den ersten Blick, den dafür ist Isabelle zu fragil, zu emotional.
Ihr aufkeimender Genuss erinnert an die junge Catherine Deneuve in „Belle de
jour“ von Luis Buñuel . Es ist ein Drang zum Spielen, der sich schon in einer
frühen Szene am Strand etabliert, als sie ihre Sonnenbrille aufzieht kurz bevor
ihr Freund ankommt. Um was es ihr geht
scheint dabei genauso klar, wie unklar zu sein. Eines ist jedoch sicher, dass
Ozon wieder mal-und deshalb kann man ständig einzelne Szenen auf das große
Ganze beziehen-ein sehr durchdachtes Drehbuch geschrieben hat.
JOLIE
Ozon macht schönes Kino. In seinen Filmen tummeln sich
schöne Menschen, in schönen Kleidern, an schönen Orten. Dabei ist sein Geschmack
himmelweit vom Mainstream entfernt und dennoch sofort greifbar. Ein wichtiger
Faktor, der in „Jeune & jolie“ wieder stärker zu tragen kommt, als in „Dans
la maison“ ist Melancholie. Einmal sagt ein Kunde zu Isabelle, dass sie schöne
Augen hat, weil sie melancholisch sind. In den oft strahlenden Augen der
älteren Männer, die wie verführende Lüste aus den bärtigen Gesichtern
hervorragen, und den letzten Funken Vitalität versprühen, der noch in diesen
Männern ist, liegt die gleiche Melancholie, die den ganzen Film in einen Dunst
hüllt, der die elegischen, nicht jedem entsprechenden Stimmungen des Kinos von
Ozon so sehr prägt. Seine Stilsicherheit mit vielen Parallelfahrten,
Halbtotalen und ganz sanften Bewegungen, dem unsichtbaren Schnitten sowie dem
klassischen Score trägt ihr übriges zur Atmosphäre bei. An „Belle de jour“
erinnert nicht nur der Wandel von Apathie zu Freude, sondern auch die
Spannungen zwischen Perversion und Schönheit während des Verkehrs selbst. Der
eine Kunde ist liebevoll, der nächste ist offensiv, ein anderer ist brutal.
Ozon erzählt etwas über Sexualität in diesen Sequenzen, aber er schafft es
nicht-wie sonst schon oft-seinen Charakteren wirklich etwas zu entlocken,
während sie miteinander schlafen. Nur in der Entjungferungsszene, in der sich
Isabelle selbst enttäuscht betrachtet, öffnet sich ein zusätzlicher Raum hinter
dem bloßen Zeigen von Sex. Schönheit selbst wird thematisiert in der Frage, wo
Prostitution eigentlich beginnt. Angefangen beim Schönmachen vor dem Weggehen,
das Ozon in unterschiedlichsten Facetten zeigt, bis hin zum ähnlichen Ablauf
einer Psychologen-Sitzung und einer Bezahlung der Prostituierten spart Ozon
nichts aus, um moralische Werte zu hinterfragen. Ins Zentrum seiner Bilder
stellt er dann die Schönheit seiner Hauptdarstellerin, die darin liegt, dass
sie nicht vom eigentlich körperlichen Kino von Ozon berührt werden kann. Man
würde Marine Vacth gerne bei Claire Denis oder Bruno Dumont sehen, um durch ihr
Eis brechen zu können. E bleibt das Bild der jungen Männer, die Isabelle
grundlos verlässt. Es ist ein trauriges und flüchtiges Bild von jugendlicher
Schönheit.
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