Trotz seines sehr jungen Alters hat man schon gewisse
Erwartungen, wenn man in einen Film von Xavier Dolan geht. Einheitlich
präsentierten sich seine bisherigen drei Filme in Stil und Themenwahl. Der
furchtlose und offene „J’ai tué ma mère“, das oberflächliche Hipster-Video „Les
amours imaginaires“ und die schmerzhaft groß angelegte, aber wieder furchtlose
Geschlechtsumwandlung „Laurence Anyways“. Zeitlupenorgien, elektronische Beats,
Underground-Chic in wunderbaren Kostümen, die in den Farben des Szenenbilds
getränkt wurden, Homosexualität, ein großer Reichtum an Zitaten und häufig ein narzisstisches
Gefühl von Selbstüberschätzung, das in die Filme eingeschrieben war. In ihren
besseren Momenten sind es cineastische Ergüsse, in den schlechteren einfach nur
oberflächliche, schöne Bilder. Wong Kar-Wai auf Koks. Jedenfalls drohte der
Kanadier ziemlich berechenbar zu werden und das hat er sich wohl selbst auch
gedacht und deshalb ist sein vierter Film „Tom à la ferme“, der auf einem Theaterstück basiert, zwar durchaus als
Dolan-Film erkennbar, aber eben ein ferner Verwandter der Vorgänger. Zieht man
die Jugend des Regisseurs in Betracht ist es kein Wunder, dass der Film manchmal wie ein ambitionierterer
Abschlussfilm eines Filmstudenten wirkt, der sich vorgenommen hat mal etwas im
Patricia Highsmith-Alfred Hitchcock Stil zu machen und es mit seinen
persönlichen Queer-Topics zu würzen.
Es geht um Tom, gespielt von Dolan selbst (eine gute
Entscheidung), der nach dem Tod seines Partners auf eine Farm kommt, auf der
der Verstorbene aufgewachsen ist. Die Mutter wusste nichts von der sexuellen
Orientierung ihres toten Sohns und ihr zweiter Sohn setzt alles daran, dass das
so bleibt. Schon bald beginnt ein gefährliches Spiel zwischen dem
psychopathischen, gewaltbereiten Bruder und Tom. Dabei krankt der Film vor
allem an einer für Highsmith-Imitationen unausweichlichen Komponente:
Psychologie. Nicht immer sind die Schritte der Protagonisten nachvollziehbar,
es gibt merkwürdige Lücken im Drehbuch, in denen kein tieferer Sinn verborgen
scheint. Als Tom die Farm zum ersten Mal verlässt und dann ein Interesse an der
Erniedrigung entwickelt, eine Lust auf die Gefahr, die ihn umkehren lässt, ist
das noch ein toller Moment. Es erinnert fast an 80er-Jahre Thriller von Brian
De Palma, wenn Dolan hier Publikum und Protagonist gleichermaßen an der Lust an
Gewalt (und sei sie gegen sich selbst) teilhaben lässt. Der Moment aber, indem
Tom zu einem Sklaven wird, wirkt völlig unmotiviert. Weder scheint er eine
besondere Lust zu verspüren, noch ist die Figur des Bruders furchteinflößend
genug. Einmal zwingt der Tom dazu Kokain zu nehmen und Tom folgt, obwohl er
nicht möchte. Man kann nicht fühlen, erklären, sehen warum das so ist. Wenn man
sich dagegen „Tore tanzt“ von Katrin Gebbe ansieht, vermisst man bei Dolan die
Freude an der Spirale der psychologischen Abhängigkeit, die sich langsam
entwickelt und die deutlich ambivalenter ausfallen kann als in „Tom à la ferme“.
Psychologie muss nicht in jeden Film, aber sehr wohl in einen Psychothriller.
So ganz verabschiedet sich Dolan auch nicht von seinen
visuellen Wurzeln. Er wirft eine völlig unzusammenhängende, ja fast den
Rhythmus brechende Zeitlupensequenz in den Film, die Bedrohung erstickt, weil
sie zur Schönheit verkommt. Andere visuelle Spielereien sind dagegen wohl durchdacht
und tragen zu jenem Sog bei, den Dolan wohl eigentlich erzeugen will.
Beispielsweise die Ähnlichkeit der Frisur von Tom und dem dramaturgisch
wichtigem Kornfeld. Einige interessante Spielereien mit dem Format sind auch zu
sehen. So verengt der Regisseur das Bild bei spannungsgeladenen
Verfolgungsjagden, um den Zuseher mehr zu involvieren. Ähnliches hat man bei
Christopher Nolan in seinen Batman-Filmen gesehen, nur Dolan macht den Vorgang
sichtbarer, was ihn noch interessanter macht. Auch arbeitet der Film mit kunstvollen
Musikeinsätzen. Der Bernard Herrmannesque Score von Gabriel Yared erzeugt
Schock-Momente ohne die dazugehörige visuelle Information. Hierin liegen tolle
Ideen, die ein ganzes Genre aufarbeiten. Also vielleicht sollte man die
Psychologie nicht so ernst nehmen und den Film als verspielte Variation auf ein
Genre verstehen?
Das würde ich gerne, aber Dolan selbst deutet mit einer
toternsten, völlig planlosen Schlusssequenz auf eine Ernsthaftigkeit hin, der
man so nicht wirklich folgen kann. Entweder
ist „Tom à la ferme“ ein ambitionierter Film eines jungen Regisseurs, der viele
Ideen hat, aber die nicht richtig ausbalanciert hat oder es ist die humorvolle
Spielerei eines gefestigten Regisseurs, dem am Ende die Ideen ausgegangen sind.
Bezeichnenderweise sind die Glanzpunkte des Films jene, die auch in den drei
ersten Filmen von Dolan hätten sein können: Ein Tangotanz im Schuppen, ein Popsong
auf der Beerdigung und nacherzählte sexuelle Vorlieben vor der trauernden
Mutter.
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