Samstag, 14. September 2013

Tom à la ferme von Xavier Dolan



Trotz seines sehr jungen Alters hat man schon gewisse Erwartungen, wenn man in einen Film von Xavier Dolan geht. Einheitlich präsentierten sich seine bisherigen drei Filme in Stil und Themenwahl. Der furchtlose und offene „J’ai tué ma mère“, das oberflächliche Hipster-Video „Les amours imaginaires“ und die schmerzhaft groß angelegte, aber wieder furchtlose Geschlechtsumwandlung „Laurence Anyways“. Zeitlupenorgien, elektronische Beats, Underground-Chic in wunderbaren Kostümen, die in den Farben des Szenenbilds getränkt wurden, Homosexualität, ein großer Reichtum an Zitaten und häufig ein narzisstisches Gefühl von Selbstüberschätzung, das in die Filme eingeschrieben war. In ihren besseren Momenten sind es cineastische Ergüsse, in den schlechteren einfach nur oberflächliche, schöne Bilder. Wong Kar-Wai auf Koks. Jedenfalls drohte der Kanadier ziemlich berechenbar zu werden und das hat er sich wohl selbst auch gedacht und deshalb ist sein vierter Film „Tom à la ferme“, der auf einem Theaterstück basiert, zwar durchaus als Dolan-Film erkennbar, aber eben ein ferner Verwandter der Vorgänger. Zieht man die Jugend des Regisseurs in Betracht ist es kein Wunder, dass der Film  manchmal wie ein ambitionierterer Abschlussfilm eines Filmstudenten wirkt, der sich vorgenommen hat mal etwas im Patricia Highsmith-Alfred Hitchcock Stil zu machen und es mit seinen persönlichen Queer-Topics zu würzen. 


Es geht um Tom, gespielt von Dolan selbst (eine gute Entscheidung), der nach dem Tod seines Partners auf eine Farm kommt, auf der der Verstorbene aufgewachsen ist. Die Mutter wusste nichts von der sexuellen Orientierung ihres toten Sohns und ihr zweiter Sohn setzt alles daran, dass das so bleibt. Schon bald beginnt ein gefährliches Spiel zwischen dem psychopathischen, gewaltbereiten Bruder und Tom. Dabei krankt der Film vor allem an einer für Highsmith-Imitationen unausweichlichen Komponente: Psychologie. Nicht immer sind die Schritte der Protagonisten nachvollziehbar, es gibt merkwürdige Lücken im Drehbuch, in denen kein tieferer Sinn verborgen scheint. Als Tom die Farm zum ersten Mal verlässt und dann ein Interesse an der Erniedrigung entwickelt, eine Lust auf die Gefahr, die ihn umkehren lässt, ist das noch ein toller Moment. Es erinnert fast an 80er-Jahre Thriller von Brian De Palma, wenn Dolan hier Publikum und Protagonist gleichermaßen an der Lust an Gewalt (und sei sie gegen sich selbst) teilhaben lässt. Der Moment aber, indem Tom zu einem Sklaven wird, wirkt völlig unmotiviert. Weder scheint er eine besondere Lust zu verspüren, noch ist die Figur des Bruders furchteinflößend genug. Einmal zwingt der Tom dazu Kokain zu nehmen und Tom folgt, obwohl er nicht möchte. Man kann nicht fühlen, erklären, sehen warum das so ist. Wenn man sich dagegen „Tore tanzt“ von Katrin Gebbe ansieht, vermisst man bei Dolan die Freude an der Spirale der psychologischen Abhängigkeit, die sich langsam entwickelt und die deutlich ambivalenter ausfallen kann als in „Tom à la ferme“. Psychologie muss nicht in jeden Film, aber sehr wohl in einen Psychothriller.


So ganz verabschiedet sich Dolan auch nicht von seinen visuellen Wurzeln. Er wirft eine völlig unzusammenhängende, ja fast den Rhythmus brechende Zeitlupensequenz in den Film, die Bedrohung erstickt, weil sie zur Schönheit verkommt. Andere visuelle Spielereien sind dagegen wohl durchdacht und tragen zu jenem Sog bei, den Dolan wohl eigentlich erzeugen will. Beispielsweise die Ähnlichkeit der Frisur von Tom und dem dramaturgisch wichtigem Kornfeld. Einige interessante Spielereien mit dem Format sind auch zu sehen. So verengt der Regisseur das Bild bei spannungsgeladenen Verfolgungsjagden, um den Zuseher mehr zu involvieren. Ähnliches hat man bei Christopher Nolan in seinen Batman-Filmen gesehen, nur Dolan macht den Vorgang sichtbarer, was ihn noch interessanter macht. Auch arbeitet der Film mit kunstvollen Musikeinsätzen. Der Bernard Herrmannesque Score von Gabriel Yared erzeugt Schock-Momente ohne die dazugehörige visuelle Information. Hierin liegen tolle Ideen, die ein ganzes Genre aufarbeiten. Also vielleicht sollte man die Psychologie nicht so ernst nehmen und den Film als verspielte Variation auf ein Genre verstehen?


Das würde ich gerne, aber Dolan selbst deutet mit einer toternsten, völlig planlosen Schlusssequenz auf eine Ernsthaftigkeit hin, der man so nicht wirklich folgen kann.  Entweder ist „Tom à la ferme“ ein ambitionierter Film eines jungen Regisseurs, der viele Ideen hat, aber die nicht richtig ausbalanciert hat oder es ist die humorvolle Spielerei eines gefestigten Regisseurs, dem am Ende die Ideen ausgegangen sind. Bezeichnenderweise sind die Glanzpunkte des Films jene, die auch in den drei ersten Filmen von Dolan hätten sein können: Ein Tangotanz im Schuppen, ein Popsong auf der Beerdigung und nacherzählte sexuelle Vorlieben vor der trauernden Mutter.

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