Andrea Pallaoro hat einen lyrischen Film über eine
auseinanderdriftende Familie in der verlorenen Weite Amerikas gemacht. Es ist
ein Film, der Entfremdung fühlbar macht, der sich auf präzise Beobachtungen von
Details beschränkt und dadurch mehr über das große Ganze aussagen kann als wenn
er jenes thematisieren würde. Es geht um Christina und Ennis und ihre fünf
Kinder, die von einem großartigen Cast gespielt werden. Am Anfang wird ein
stilles und eingefrorenes Bild der Harmonie eingefangen, doch so wie die Ruhe
in der ersten Einstellung trügerisch ist, so ist sie es auch beim Familienfoto,
das kurz darauf gefolgt vom Filmtitel, der Kennern natürlich ein ähnlich
mulmiges Gefühl geben wird, wie die Bilder selbst. Im Sonnenuntergang und bei
Gegenlicht wirkt die Familie oft wie aus dem Universum von Terrence Malick. Nur
die Bewegungen sind eingefroren. Die Bilder sind es dann auch, die diese
Geschichte füttern, die ihr Leben einhauchen. Es ist häufiger die Entscheidung,
was nicht zu sehen ist, als das was zu sehen ist, die für Pallaoro interessant
zu sein scheint. Christina betrügt ihren Mann, ein Kind kann nichts hören, ein
anderes möchte aus der strengen Erziehung ausbrechen, Ennis treibt Rinder durch
Zäune, um einen gewissen Lebensstandard zu
ermöglichen. Die Einheit der Familie implodiert von ganz allein, es lodert unter
dem stabilen Holz des einsamen Familienhauses. Die Bildsprache, die Geschichte
und das Setting erinnern dabei mehr als nur einmal an Carlos Reygadas „Stellet
Licht“; ein ähnlich kinematographischer Sog entsteht. Wer das melodramatische
Meisterwerk von Reygadas kennt, wird überrascht sein wie ähnlich man bei der
Location-Wahl vorgegangen ist. Selbst der Pick-Up scheint der gleiche zu sein.
Die Tatsache, dass er Reygadas zu sehr ähnelt, ist auch die einzige Schwäche
eines ansonsten brillanten Films. Es ist ein Warten auf den Regen, ein
psychologischer Horror, der fühlbar wird, obwohl man nur stille Beobachtungen
sieht.
Dekadrierung und viele Detailaufnahmen von Körperteilen
betonen den fehlenden Zusammenhang in der Familie. Es scheint keine Hoffnung zu
geben und die Schwere, die auch auf Ennis lastet, beginnt den ganzen Film wie
schwarze Wolken zu überschatten. Oft baut Pallaoro Dramatik auf, um sie dann
nicht zu zeigen. Lediglich zeigt er ihre Folgen. Es geht ihm mehr um
Antizipation und Nachwirkung als tatsächliche Handlung. In „Medeas“ werden
Gefühle festgehalten, statt ausgelebt. Es ist nur logisch, dass das fatal enden
muss. Zudem kann man sich nie sicher sein, ob die Dinge, Lebewesen, ja Bilder
im Film tot oder lebendig sind. Nicht nur im scheinbaren FreezeFrame der ersten
Einstellung sondern auch im Hinblick auf die Tiere im Film, entfaltet der
Regisseur ein faszinierendes Spiel mit der Bewegung und Bewegungslosigkeit.
Einmal hält der Sohn einen Vogel fest. Der Vogel bewegt sich kaum in der Hand
des Jungen. Man begreift gerade das Grauen des toten Tieres, als der Vogel doch
mit seinen Flügeln schlägt. Ähnlich arbeitet Pallaoro auch narrativ mit dem
Hund, den der Vater in der Wüste aussetzt nachdem sein Sohn von ihm gebissen
wurde. In einer Staubwolke verschwindet das Tier und gibt schnell auf dem Jeep
des Vaters hinterherzurennen. Als man den Hund schon fast verdrängt hat, kehrt
er völlig entkräftet und wild atmend zum Haus zurück. Nur am Ende, als der
Regisseur bewegungslose Körper im Auto zeigt, scheint es keine Hoffnung zu
geben. Aber es kommt Regen und damit Bewegung. Ein Kreis schließt sich vom
reinigenden Wasser des Anfangs zum dramatischen Wasser des Schlusses.
Ähnlich wie Abbas Kiarostami in „Like someone in love“
verweigert Pallaoro den Sonnenstrahl der Hoffnung am Horizont, an den sich das
amerikanisierte Publikum so sehr gewöhnt hat. Er hört einfach auf, als er alles
gezeigt hat.
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