Freitag, 13. September 2013

Medeas von Andrea Pallaoro



Andrea Pallaoro hat einen lyrischen Film über eine auseinanderdriftende Familie in der verlorenen Weite Amerikas gemacht. Es ist ein Film, der Entfremdung fühlbar macht, der sich auf präzise Beobachtungen von Details beschränkt und dadurch mehr über das große Ganze aussagen kann als wenn er jenes thematisieren würde. Es geht um Christina und Ennis und ihre fünf Kinder, die von einem großartigen Cast gespielt werden. Am Anfang wird ein stilles und eingefrorenes Bild der Harmonie eingefangen, doch so wie die Ruhe in der ersten Einstellung trügerisch ist, so ist sie es auch beim Familienfoto, das kurz darauf gefolgt vom Filmtitel, der Kennern natürlich ein ähnlich mulmiges Gefühl geben wird, wie die Bilder selbst. Im Sonnenuntergang und bei Gegenlicht wirkt die Familie oft wie aus dem Universum von Terrence Malick. Nur die Bewegungen sind eingefroren. Die Bilder sind es dann auch, die diese Geschichte füttern, die ihr Leben einhauchen. Es ist häufiger die Entscheidung, was nicht zu sehen ist, als das was zu sehen ist, die für Pallaoro interessant zu sein scheint. Christina betrügt ihren Mann, ein Kind kann nichts hören, ein anderes möchte aus der strengen Erziehung ausbrechen, Ennis treibt Rinder durch Zäune, um einen gewissen Lebensstandard  zu ermöglichen. Die Einheit der Familie implodiert von ganz allein, es lodert unter dem stabilen Holz des einsamen Familienhauses. Die Bildsprache, die Geschichte und das Setting erinnern dabei mehr als nur einmal an Carlos Reygadas „Stellet Licht“; ein ähnlich kinematographischer Sog entsteht. Wer das melodramatische Meisterwerk von Reygadas kennt, wird überrascht sein wie ähnlich man bei der Location-Wahl vorgegangen ist. Selbst der Pick-Up scheint der gleiche zu sein. Die Tatsache, dass er Reygadas zu sehr ähnelt, ist auch die einzige Schwäche eines ansonsten brillanten Films. Es ist ein Warten auf den Regen, ein psychologischer Horror, der fühlbar wird, obwohl man nur stille Beobachtungen sieht. 


Dekadrierung und viele Detailaufnahmen von Körperteilen betonen den fehlenden Zusammenhang in der Familie. Es scheint keine Hoffnung zu geben und die Schwere, die auch auf Ennis lastet, beginnt den ganzen Film wie schwarze Wolken zu überschatten. Oft baut Pallaoro Dramatik auf, um sie dann nicht zu zeigen. Lediglich zeigt er ihre Folgen. Es geht ihm mehr um Antizipation und Nachwirkung als tatsächliche Handlung. In „Medeas“ werden Gefühle festgehalten, statt ausgelebt. Es ist nur logisch, dass das fatal enden muss. Zudem kann man sich nie sicher sein, ob die Dinge, Lebewesen, ja Bilder im Film tot oder lebendig sind. Nicht nur im scheinbaren FreezeFrame der ersten Einstellung sondern auch im Hinblick auf die Tiere im Film, entfaltet der Regisseur ein faszinierendes Spiel mit der Bewegung und Bewegungslosigkeit. Einmal hält der Sohn einen Vogel fest. Der Vogel bewegt sich kaum in der Hand des Jungen. Man begreift gerade das Grauen des toten Tieres, als der Vogel doch mit seinen Flügeln schlägt. Ähnlich arbeitet Pallaoro auch narrativ mit dem Hund, den der Vater in der Wüste aussetzt nachdem sein Sohn von ihm gebissen wurde. In einer Staubwolke verschwindet das Tier und gibt schnell auf dem Jeep des Vaters hinterherzurennen. Als man den Hund schon fast verdrängt hat, kehrt er völlig entkräftet und wild atmend zum Haus zurück. Nur am Ende, als der Regisseur bewegungslose Körper im Auto zeigt, scheint es keine Hoffnung zu geben. Aber es kommt Regen und damit Bewegung. Ein Kreis schließt sich vom reinigenden Wasser des Anfangs zum dramatischen Wasser des Schlusses.


Ähnlich wie Abbas Kiarostami in „Like someone in love“ verweigert Pallaoro den Sonnenstrahl der Hoffnung am Horizont, an den sich das amerikanisierte Publikum so sehr gewöhnt hat. Er hört einfach auf, als er alles gezeigt hat.


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