Kim Ki-Duk hat einen Film über den Schnitt gedreht. Den
Schnitt im Sinn der filmischen Montage, den Schnitt als Mittel der Zensur und
der Schnitt als explizite Gewalt. Zudem wird im ganzen Film kein Wort
gesprochen, was die Macht der filmischen Montage noch weiter betont.
Gewalt
Als würde er Sigmund Freud wörtlich nehmen und seine
lustvolle Gewalt in einer Verfilmung der penislastigen Theorien des
Ur-Psychologen ausleben wollen, ja als hätte er Lars von Triers „Antichrist“
gesehen und wollte unbedingt eine Komödie daraus machen, bewegt sich Ki-Duk
immer am Rande des Skandals, am Ende des Geschmacks durch den Film. Das macht
er mit einer solchen Freude, dass man förmlich angesteckt wird. Sex, Gewalt,
Sex, Gewalt und plötzlich ist beides dasselbe. Inzest, Vergewaltigungen,
Sadomasochismus, für jede perverse Neigung ist was dabei. Es geht um einen
jungen Mann, dessen Mutter ihm, als es ihr beim sie betrügenden Vater
misslingt, den Penis abschneidet. Es geht um die Sorge des Vaters, der nach
Möglichkeiten der Penistransplation und andersartigen Befriedigungen für den
Sohnemann sucht. Es geht um eine Frau, die zunächst eine Affäre mit dem Vater
hat und dann mit dem Sohn. Das verrückte daran ist, dass die Motivationen der
Figuren in der perfiden Welt von Ki-Duk immer nachvollziehbar bleiben. Er
etabliert einen Drang zum Extrem, in dem alle Figuren zu Sexbesessenen werden
und sobald man dieser Welt, die sich nie zu ernst nimmt, folgt, ergibt alles
einen Sinn. Er findet sogar Platz für aufrichtige Gefühle inmitten seiner
abstrusen Szenen wie etwa die Schuld des Vaters oder die Eifersucht der Mutter.
Es wird unheimlich viel geschnitten und mit Messern gespielt in „Moebius“. Nun
sind Gewalt, Sex und Familie ja wahrlich keine neuen Themen beim koreanischen Regisseur,
aber selten zuvor hat er sich so sehr darauf beschränkt. Die Frage nach Moral,
die sich etwa in „Bad Guy“ oder „Time“ findet, stellt sich nun lediglich für
den Zuschauer selbst.
Montage
In einer famosen, eisensteinschen Eröffnungssequenz zeigt
Ki-Duk die drei Familienmitglieder (Mutter, Vater, Sohn). Er montiert die Szene
so, dass man lange nicht weiß, wo sich die Figuren befinden, man sieht nie zwei
Charaktere in einer Einstellung und es ist völlig unklar, dass sie sich am
selben Ort befinden. Dennoch bedingen sich ihre Bewegungen durch Rhythmus und
Ton. In nur wenigen Momenten schneidet Ki-Duk einen sinnbildlichen Graben
zwischen die Familienmitglieder. Auch im weiteren Verlauf wird kein Wort
gesprochen in „Moebius“. Das hat nichts mit irgendeiner Stummfilm-Nostalgie zu
tun, sondern eher mit Verweigerung. Ki-Duk kastriert die Tonebene, um ihr
inhaltlichstes Element und führt Film somit in eine natürlichere Form.
Aufschreie der Lust oder des Schmerzes bleiben hörbar, die Charaktere scheinen
es nur nicht für relevant zu erachten miteinander zu sprechen. Ein fast
hypnotischer Sog beginnt von der deutlichen Bildsprache auszugehen. Kim Ki-Duk
war sicherlich noch nie ein Meister der Subtilität und zeigt so, ähnlich wie in
seinem „Frühling, Sommer, Herbst, Winter…und Frühling“, dass er seine
Fähigkeiten bei wenig oder gar keinem Dialog am besten zum Vorschein bringen
kann. Zwischenmenschliches ist überdeutlich. Er leuchtet mit einer Taschenlampe
in menschliche Abgründe und jedes Wort würde die Unerträglichkeit nur
abschwächen.
Zensur
Es steht zu befürchten und ist zum Teil auch schon
bestätigt, dass man als regulärer Kinozuseher nur schwer in eine unzensierte
Version wird gehen können. Der Schnitt wird also noch zu einer dritten
Anwendung kommen. Allerdings ist „Moebius“
kein schwer-verdauliches Stück Gewaltkino, sondern wirklich eine
schwarze Komödie. Die Gewalt kommt mit Freude, ähnlich wie bei Quentin
Tarantino und wer kein Problem mit expliziten Nahaufnahmen hat, der wird Freude
an der Freude des Regisseurs haben. Sollte der Film tatsächlich nur in
abgeschwächten Versionen in die Kinos kommen, würde man die Essenz des Werks
meiner Meinung nach ganz schön manipulieren, weil es Ki-Duk doch scheinbar um
dieses „Everything goes“ und wo haben wir noch nicht reingeschnitten, geht.
Wenn man die Schnitte selbst rausschneidet, würde nur ein wilder Film bleiben
und nicht der wilde Film über das Kino selbst, den Kim Ki-Duk gemacht hat.
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