Samstag, 27. Juli 2013

Mein langsames Leben von Angela Schanelec



Das Leben im Kino einzufangen, heißt oft sich von herkömmlichen dramaturgischen Mustern völlig zu verabschieden. Realistisch ist im Kino nämlich oft das, was sich von der dominierenden Form abhebt; das Rebellische, wenn man so will. In Angela Schanelecs „Mein langsames Leben“ liegt die Betonung nur scheinbar auf dem „langsam“, denn in Wahrheit bekommt man hier „Leben“ vorgeführt. Ob man das als langsam oder schnell, als wenig oder viel wahrnimmt, bleibt einem dabei ganz allein überlassen. In den für ihr Kino charakteristischen langen Einstellungen begibt sich die Regisseurin auch in diesem Film auf die Suche nach dem Echten innerhalb des scheinbar Banalen. Dabei sind ihr die Lücken und Risse in einem Sommer, den Valerie und ihre Freunde in und um Berlin verbringen, deutlich wichtiger, als auch nur irgendwas abzurunden. In einer langen seitlichen Kamerafahrt könnte sich visualisieren, was hinter diesem Film steckt. Freunde und Geschwister spazieren durch einen Park und die Kamera fährt unaufhaltsam von rechts nach links. Dabei verliert sie die Figuren manchmal, dann findet sie andere Figuren, wechselt die Richtung, fährt dann wieder weiter. Manchmal ist das Sichtfeld versperrt, man kommt nie ganz ran. Es geht um das Leben einer Gruppe Mittdreißiger in der deutschen Hauptstadt, aber eigentlich geht das Leben dieser Gruppe um die Kamera. 


Wahrheit ist wirklicher als Inhalt und Wirklichkeit wird über Stil hergestellt. Trotz aller Zurückhaltung steckt der Film voller großartiger inszenatorischer Ideen wie einer Sexszene über die gesprochen wird, aber die dann in ihrer Ausführung nicht zu sehen ist. Doch statt sich einer Imagination hinzugeben, wie im Kino von Michael Haneke, bei dem man sich oft fragen muss, was hinter den geschlossenen Türen passiert, liegt die Kraft bei Schanelec im bloßen Driften über die unterschiedlichen Gefühle hinweg. In der Breite des Lebens, das eben nicht in einem Kanal abläuft, sondern in einem Meer. Die Stimmung erhält sich dennoch aufrecht, da alle Personen an einer Schwere zu tragen haben, die ihre Worte oft in seltsamer Verachtung aus ihren Mündern kommen lassen. Häufig platziert sie die Protagonisten auch am rechten Bildrand. Wie vor einer Mauer.  Bei Schanelec spürt man diese Mauer, vor der sich das Leben abspielt die ganze Zeit. Die elliptische Erzählweise erlaubt es der Regisseurin ein wahrhaftiges Gefühl des Lebens zu geben. Der Titel wirkt fast wie eine unnötige Entschuldigung an amerikanisierte Zuseher. Oder weil „Mein Leben“ zu prätentiös gewesen wäre.


Bei Schanelec wird auch getanzt. Zunächst tanzt eine junge Frau, die bald heiraten wird und auf ein kleines Mädchen aufpasst, zum „Erlkönig“. Man sieht nur die Reaktion des Mädchens auf den Tanz. Vieles in der Inszenierung passiert im Off. Die eigentlichen Bilder scheinen immer am Rande oder gar außerhalb des Bildes zu sein. Als wäre die Kamera nur zufällig dort. Dann tanzt die Protagonistin mit ihrem Bruder auf der Tanzfläche eines leeren Clubs. Die Freundin (?) des Bruders sieht ihnen dabei zu. Der Film schneidet hin und her, bleibt aber deutlich länger bei den Tanzenden. Glücklich sieht die Freundin nicht aus. Als würde die Schwester etwas von ihrem Bruder bekommen, was die Lebensgefährtin nie bekommen kann. Aber das ist nur meine Interpretation und sie kommt dadurch zu Stande, dass Schanelec den Film völlig in alle Richtungen öffnet. Wenn einem nichts vorgekaut wird, könnte es noch nach allem schmecken. Später wird noch auf der Hochzeit getanzt. Die Musik wird im On tatsächlich eingespielt, alles ist O-Ton, weil hier eben das Leben zählt und nicht der Film. Die Kamera fährt hin und her, betrachtet die unterschiedlichen Paare beim Tanzen. Dabei ist sie nie aufdringlich, sondern immer mit Respekt. In einer Szene wird der Protagonistin vorgeworfen, dass es ihr bei ihrem Stil nur darum ginge selbst interessant zu wirken. Der Inhalt sei ihr völlig egal. (Sie studiert Architektur) Die Frage ist also in den Raum geworfen: Ist hier alles Stilgezwungenheit und nichts Inhalt? Dadurch, dass diese Frage im Film gestellt wird, bemerkt man ihre Sinnlosigkeit erst so richtig. Wenn der Film Schwächen aufweist, dann nicht in seiner Stiltreue, sondern in seinem Schauspiel. Es ist nichts gegen die Statik und Distanz der Betrachtung einzuwenden, aber manchmal scheinen die Figuren zu sehr einem vorgegebenen Script zu folgen. Dadurch wirkt das echte Leben dann doch manchmal wie ein Film. Aber das ist äußerst selten.


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