Das Leben im Kino einzufangen, heißt oft sich von
herkömmlichen dramaturgischen Mustern völlig zu verabschieden. Realistisch ist
im Kino nämlich oft das, was sich von der dominierenden Form abhebt; das
Rebellische, wenn man so will. In Angela Schanelecs „Mein langsames Leben“
liegt die Betonung nur scheinbar auf dem „langsam“, denn in Wahrheit bekommt
man hier „Leben“ vorgeführt. Ob man das als langsam oder schnell, als wenig
oder viel wahrnimmt, bleibt einem dabei ganz allein überlassen. In den für ihr
Kino charakteristischen langen Einstellungen begibt sich die Regisseurin auch
in diesem Film auf die Suche nach dem Echten innerhalb des scheinbar Banalen.
Dabei sind ihr die Lücken und Risse in einem Sommer, den Valerie und ihre
Freunde in und um Berlin verbringen, deutlich wichtiger, als auch nur irgendwas
abzurunden. In einer langen seitlichen Kamerafahrt könnte sich visualisieren,
was hinter diesem Film steckt. Freunde und Geschwister spazieren durch einen
Park und die Kamera fährt unaufhaltsam von rechts nach links. Dabei verliert
sie die Figuren manchmal, dann findet sie andere Figuren, wechselt die
Richtung, fährt dann wieder weiter. Manchmal ist das Sichtfeld versperrt, man
kommt nie ganz ran. Es geht um das Leben einer Gruppe Mittdreißiger in der
deutschen Hauptstadt, aber eigentlich geht das Leben dieser Gruppe um die
Kamera.
Wahrheit ist wirklicher als Inhalt und Wirklichkeit wird
über Stil hergestellt. Trotz aller Zurückhaltung steckt der Film voller
großartiger inszenatorischer Ideen wie einer Sexszene über die gesprochen wird,
aber die dann in ihrer Ausführung nicht zu sehen ist. Doch statt sich einer
Imagination hinzugeben, wie im Kino von Michael Haneke, bei dem man sich oft
fragen muss, was hinter den geschlossenen Türen passiert, liegt die Kraft bei
Schanelec im bloßen Driften über die unterschiedlichen Gefühle hinweg. In der
Breite des Lebens, das eben nicht in einem Kanal abläuft, sondern in einem
Meer. Die Stimmung erhält sich dennoch aufrecht, da alle Personen an einer
Schwere zu tragen haben, die ihre Worte oft in seltsamer Verachtung aus ihren
Mündern kommen lassen. Häufig platziert sie die Protagonisten auch am rechten
Bildrand. Wie vor einer Mauer. Bei
Schanelec spürt man diese Mauer, vor der sich das Leben abspielt die ganze Zeit.
Die elliptische Erzählweise erlaubt es der Regisseurin ein wahrhaftiges Gefühl
des Lebens zu geben. Der Titel wirkt fast wie eine unnötige Entschuldigung an
amerikanisierte Zuseher. Oder weil „Mein Leben“ zu prätentiös gewesen wäre.
Bei Schanelec wird auch getanzt. Zunächst tanzt eine junge Frau,
die bald heiraten wird und auf ein kleines Mädchen aufpasst, zum „Erlkönig“.
Man sieht nur die Reaktion des Mädchens auf den Tanz. Vieles in der
Inszenierung passiert im Off. Die eigentlichen Bilder scheinen immer am Rande
oder gar außerhalb des Bildes zu sein. Als wäre die Kamera nur zufällig dort.
Dann tanzt die Protagonistin mit ihrem Bruder auf der Tanzfläche eines leeren
Clubs. Die Freundin (?) des Bruders sieht ihnen dabei zu. Der Film schneidet
hin und her, bleibt aber deutlich länger bei den Tanzenden. Glücklich sieht die
Freundin nicht aus. Als würde die Schwester etwas von ihrem Bruder bekommen,
was die Lebensgefährtin nie bekommen kann. Aber das ist nur meine
Interpretation und sie kommt dadurch zu Stande, dass Schanelec den Film völlig
in alle Richtungen öffnet. Wenn einem nichts vorgekaut wird, könnte es noch
nach allem schmecken. Später wird noch auf der Hochzeit getanzt. Die Musik wird
im On tatsächlich eingespielt, alles ist O-Ton, weil hier eben das Leben zählt
und nicht der Film. Die Kamera fährt hin und her, betrachtet die
unterschiedlichen Paare beim Tanzen. Dabei ist sie nie aufdringlich, sondern
immer mit Respekt. In einer Szene wird der Protagonistin vorgeworfen, dass es
ihr bei ihrem Stil nur darum ginge selbst interessant zu wirken. Der Inhalt sei
ihr völlig egal. (Sie studiert Architektur) Die Frage ist also in den Raum
geworfen: Ist hier alles Stilgezwungenheit und nichts Inhalt? Dadurch, dass
diese Frage im Film gestellt wird, bemerkt man ihre Sinnlosigkeit erst so
richtig. Wenn der Film Schwächen aufweist, dann nicht in seiner Stiltreue,
sondern in seinem Schauspiel. Es ist nichts gegen die Statik und Distanz der
Betrachtung einzuwenden, aber manchmal scheinen die Figuren zu sehr einem
vorgegebenen Script zu folgen. Dadurch wirkt das echte Leben dann doch manchmal
wie ein Film. Aber das ist äußerst selten.
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