Derzeit ist mit „La grande bellezza“ von Paolo Sorrentino
ein exzessiver italienischer Film in den Kinos, der die fast vergessenen
Bilderfluten eine Federico Fellinis wieder zum Leben erwecken möchte, ein
opulente Geschichte vor einem großen Hintergrund: Der alternde, mondäne
Schriftsteller Jep reflektiert über sein Leben in der Künstlerwelt des
dekadenten Roms; ganz ähnlich also wie in Fellinis „La dolce vita“ mit Marcello
dem etwas jüngeren Journalisten. Sorrentino kann sich gar nicht satt sehen an
den geschminkten Gesichtern, alten Anzugträgern, dem billigen Sex und den
glänzenden Palästen der Stadt. In einer famosen Eröffnungssequenz sprengt er
jegliche Partyästhetik mit der beispielsweise der Hipster-Regisseur Xavier
Dolan immer wieder in Werbeklischees fällt: Sorrentino betrachtet seine Figuren
mit Zynismus und Verachtung, wogegen Dolan seine Figuren die Welt mit Zynismus
und Verachtung betrachten lässt. Dabei schließt sich bei Sorrentino eine
traumwandlerische Kamerafahrt an die nächste. Doch die Fahrten werden nicht
ausgekostete, denn ein paar Meter weiter wartet schon das nächste Bild für die
Götter. Dadurch erschafft der Regisseur einen Rauschzustand, der sich fast über
die kompletten 2,5 Stunden zieht.
Immer wieder finden sich absurd-komische Situationen,
metaphorische Bilder und satirische Elemente in den Bildern von Sorrentino. Was
der Film nicht vermag-und darin liegt gerade im Vergleich zu „La dolce vita“
eine größere Schwäche-ist die ernsten Momente „natürlich“ in das Geschehen
einzubetten. Sorrentino wirkt immer ein bisschen wie ein American Independent
Regisseur, der Musik und Drama braucht um Ernsthaftigkeit zu konstruieren statt
sie einfach passieren zu lassen. Und dann wirkt diese ganze Dekadenz plötzlich
gewollt. Auch Matteo Garrone hat versucht Dekadenz in seinem „Reality“
herzustellen mit einer ähnlichen Show-Off-Eröffnungssequenz. Zwar verpufft die
Wirkung in „La grande bellezza“ nicht ganz so extrem wie in der Parabel auf den
Drang nach medialem Ruhm von Garrone, aber es scheint doch deutlich zu sein wie
sehr das italienische Kino seiner glorreichen Vergangenheit hinterherrennt.
Bei Fellini funktionieren diese Bilderfluten über
Identifikation. Zwar sind seine Charaktere in Filmen wie „8 ½“, „Fellinis
Satyricon“ oder eben „La dolce vita“ oftmals nahe an der bloßen Karikatur, doch
im Kern identifiziert man sich mit den Figuren, insbesondere den Protagonisten,
die immer wieder aus dieser Welt treten und den Wahnsinn betrachten
beziehungsweise daran zerbrechen. Das Surreale ist immer ein Moment des Realen
bei Fellini. Keine besondere Erkenntnis, aber womöglich wichtig zum Verständnis
der lauten Copy-Cat Versuche von Sorrentino oder Garrone. In „La grande
bellezza“ ist es auch ein zweifelnder
Existentialist, der sich die Welt von außen ansieht. Doch seine Entwicklung
folgt einem weitaus klassischerem Storybogen, der die Wechsel von ernst und
lustig, Ekstase und Reflektion deutlich
holpriger erscheinen lässt als im Kino eines Fellini. So wird uns Jep als eine
Figur vorgestellt, die mit einer Zigarette auf seiner Party sein Leben zu genießen
scheint und dies auch tut. Die Ambivalenz seiner Figur liegt darin, dass er die
Mondänität gleichzeitig verkörpert und verachtet. Nach gewissen, Hollywood-geprägten
Vorstellungen von Dramaturgie ein wahnsinnig gut geschriebener Charakter. Auch
Marcelo in „La dolce vita“ hat diese Doppelbödigkeit. Aber er verbündet sich
nicht mit dem Zuseher. Lässt keinen Einblick in seine Gedanken zu wie Jep. Man
blickt vielmehr durch seine Augen. Die Erzählstimme von Jep wirkt wie eine Verfremdung statt Identifikation zu stiften, zumindest ist sie unelegant. Das Problem von einer zu großen Spanne an
Gefühlen entsteht für Sorrentino und er packt den Film voll wie eine
Reisetasche in die alles rein muss, was man mitnehmen kann. Die Frage, die er
sich immer stellen muss, ist: Wo lasse ich den Charakter nachdenklich werden?
Und leider passiert dies zu häufig zu bewusst. Bei Fellini
ist es nicht nur Marcello der nachdenklich wird. Es sind viele Charaktere, aber
was noch viel deutlicher zum Vorschein kommt ist, dass ein Fellini Film immer
von einem bestimmenden Gefühl durchzogen ist. Die neorealistische Überwältigung
spielt auch in seinen Spätwerken die alles entscheidende Rolle. Sie hat sich
eben nur nach innen, in die Neurosen seiner Charaktere verzogen. Wo Fellini der
Zeit Raum gibt und überwältigende Situationen aus etwas alltäglichem entstehen
lässt, da muss Sorrentino auf das große amerikanische Vorbild zurückgreifen
(sein letzter Film, „This Must Be The Place“ wurde ja auch genau dort gedreht
und war ein noch viel mehr gezwungener, klassicher Selbstfindungs-Plot. ) und die Situationen konstruieren; oder
anders: Der nachdenkliche Jep braucht einen Auslöser oder traurige Musik, um
nachdenklich zu werden. Sieht man sich an was Visconti oder Fellini gemacht
haben in ihren Filmen, bemerkt man, dass es diese dramaturgischen Trigger kaum
gibt. Die Spitze dieses verinnerlichten Kinos war dann Michelangelo Antonioni.
Bei ihm haben seine Charaktere die gleiche Dekadenz und traumwandlerischen Situationen
erlebt wie jene bei Sorrentino. Aber er hat das in seiner Inszenierung völlig
versteckt. Bei ihm war alles von Entfremdung (auch wenn der Begriff im
Verhältnis zu Antonioni überstrapaziert ist) und der Umwelt durchdrungen. Ein
Nachbar, wie jener in „La grande bellezza“ wäre selbst nach seiner Verhaftung
nicht von einer Stimme aus dem Off erläutert worden, nicht jede Kleinigkeit
wäre in einen Gag verwandelt worden. Die Dinge wären einfach nur. Egal, ob die
Charaktere da sind oder nicht wie in „L’eclisse“. Dinge passieren einfach.
Der Unterschied liegt auch in der Form. Ähnelt „La dolce
vita“ eher einer Ansammlung verschiedener Episoden, so ist „La grande bellezza“
zu einem merkwürdigen, ganzheitlichem Selbstfindungstrip zusammengeklebt. Bei
Sorrentino ist fast alles im Schnitt erzählt, während bei Fellini Personen in
der Mise-en-scène plötzlich das Bild betreten und die Kamera sich verschiedenen
Bewegungen hingebt und so ganz dem Treiben durch die Nacht entspricht, dem sich
Marcello so hingibt. Wenn Maddalena auf der Party zum zweiten Mal auftaucht,
wirft sie einen Schleier über Marcellos Kopf, als dieser etwas verloren im Raum
steht. Es gibt keinen Schnitt, der sie einführt, sie ist einfach Teil der
Szenerie. Auch verlässt die Kamera Marcello immer wieder. Sei es, um den Journalisten
verloren im Raum stehen zu lassen wie in der kleinen Strandbar, in der er
versucht seiner Arbeit nachzugehen (er versucht es ja im Gegensatz zu Jep) oder
um einer anderen Figur zu folgen, wie etwa Steiner als er seinen Sohn im Schlaf
herzt. Allerdings handelt es sich dabei immer um einen vermeintlichen POV von
Marcello. Wenn Sorrentino solche Situationen sucht, wie etwa bei dem kleinem
Mädchen, das schreiend mit Farben eine Leinwand bewirft, dann sucht er sein
Heil in jenem surrealen Element, das eben nichts mit Fellini zu tun hat, da es
sich vom Protagonisten entfernt und zur bloßen objektiven Realität des Films
verkommt. Erstaunlich, dass der Film in seiner Montage dadurch manchmal
Ähnlichkeiten zu „Spring Breakers“ von Harmony Korine und „Only God Forgives“
von Nicolas Winding Refn aufweist. Eine losgelöste Montage, um einen
schwebenden beziehungsweise körperlosen Zustand herzustellen. Die Zeit wird aufgelöst und die Geschichte
tritt hinter die Montage. Nur leider scheint sich das mit einer auf Figuren
bezogenen Identifikation, die der Film anderswo einfordert zu beißen. Bei
Korine und Refn wird eher eine auf den Film bezogene Identifikation verlangt,
weswegen die Montage dort besser zu funktionieren scheint. In jedem Fall
produziert sie einen künstlerischen Überschuss, der wie ein Aufbegehren zu
dekadentem Filmemachen im Jahr 2013 wirkt. L’Art pour L’art sozusagen, manchmal
mehr, manchmal weniger. Kein Wunder, dass Jep immer wieder über Flauberts Idee
spricht einen Roman über das Nichts zu schreiben.
Dennoch kommt Sorrentino erstaunlich nahe mit seiner Geisterbeschwörung
des alten italienischen Kinos. Sein Jep ist einer der spannendsten Charaktere
des Kinos 2013. Die Art und Weise wie das italienische Kino Pathos in Szene
setzen kann ohne dabei billig oder kitschig zu wirken, bleibt beeindruckend.
Eine Leuchtturm-Romantik bei Nacht wirkt nicht ganz so verkehrt wie sie sich
anhört, die Bilder von Rom lassen Woody Allens traurigen Versuch von einer
Stadt, die er nicht kennt zu erzählen, noch viel trauriger erscheinen. In der
Breite funktioniert der Film besser als in seiner Linearität. Will heißen, dass
das bloße Portrait dieser Gesellschaft weitaus besser gelingt als die
Erzählung, in die das ganze eingebettet ist. Nur würde man sich wünschen, dass „La grande
bellezza“ noch mehr Verachtung und weniger Herz beinhalten würde. Dann wäre er ein richtig schönes Stück dekadentes
Kino. Aber vielleicht ist ein Vergleich mit den großen Filmen Italiens der 50er und 60er Jahre auch gar nicht angebracht. Vielleicht soll das ganze einfach ein unterhaltsames Stück Kino sein, mit einem kleinen Fingerzeig in die richtige, schon fast vergessene Richtung. Schließlich enden sowohl "La dolce vita" als auch "La grande bellezza" mit einem Bild der weiblichen Unschuld am Meer. Bei Sorrentino geht der Protagonist in seiner Vergangenheit auf die Frau zu, bei Fellini dreht sich der Protagonist winkend ab und geht in eine Zukunft. Und genau hier liegt der Unterschied zwischen der schönen, verklärten Nostalgie und der bedingungslosen Suche nach einer Wahrheit. Fellini überlässt die Erkenntnis dem Zuseher, Sorrentino der Figur.
Trailer
La dolce vita (1960)
La grande bellezza (2013)
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