Seiner Hauptdarstellerin Julie Sokolowski hat Bruno Dumont
verboten vor dem Dreh zu schlafen oder zu essen. Die gewohnte Reduzierung in
seiner kinematographischen Sprache hat sich in „Hadewijch“ endgültig auf den
Arbeitsprozess, ja auf die Figuren übertragen. Er verwendete Mono-Ton und ein
eingeschränktes Bildformat. Seiner eigenen Aussage folgend, um zur Essenz
vorzustoßen. Aber gelingt ihm das in „Hadewijch“?
Um den Film besser einordnen zu können, ist es tatsächlich
von Wert, wenn man weiß, wer Hadewijch eigentlich war. Sie war eine Mystikerin
des 13.Jahrhunderts, die sich insbesondere mit der Liebe zwischen Gott und dem
Menschen befasst hat. Dumont transportiert die Idee von einer mystischen Liebe
zwischen einer göttlichen Existenz und einer jungen Frau in eine Post 9/11
Welt. Die junge Theologiestudentin wird aus dem Kloster verwiesen, weil ihre
Praktiken zu radikal sind. Sie möchte die Liebe von Christus wirklich spüren,
auch körperlich. Dumont zeichnet eine schmale Linie zwischen aufrichtigem
Glauben und fatalem Fanatismus. Ähnlich
wie Karin in Ingmar Bergmans „Såsom i en
spegel“ hat die junge Céline dabei eine
ganz besondere, für Außenstehende nur schwer nachvollziehbare Beziehung zu
ihrem Gott. Doch wo Gott bei Bergman zu einer hinterhältigen Spinne wurde, da
ist er bei Dumont schlicht nicht anwesend. Oder doch? Der Regisseur spielt mit
den mystischen Elementen. So gibt es eine mit Vertigo-Effekt angereicherte
Kamerafahrt auf Céline, wenn sie in der Kirche Musik hört. Später wird diese
nochmal wiederholt, als sie vor einer Moschee steht und Musik hört. Immerzu
liegt dort etwas unter der Oberfläche der Bilder. Und das kann man durchaus als
mystisches Element auffassen. Céline lernt einen jungen Muslim, Yassine kennen
und freundet sich mit ihm an. Allerdings möchte sie ihre körperliche Unschuld
behalten, da sie sich völlig Christus verschrieben hat. Dann lernt sie den
politisch-radikalen Bruder von Yassine kennen.
Die große Schwäche von „Hadewijch“ ist seine Verortung in
einem gesellschaftlichen Kontext. Das was Dumont versucht zu finden, nämlich
die Essenz scheint er durch einen allzu parabelhaften religiös-politischen
Zusammenhang zu verbergen. Er tritt nicht wie in seinen früheren Filmen als
stiller „Deformierer“ der Realität auf, sondern er versucht sich als
Weltenerklärer, als großer Philosoph. Dabei wirkt er ähnlich gewollt wie Ulrich
Seidl in seinem „Paradies:Glaube“. Für diese theoretischen Spielereien, diese
Repräsentation von Glaubensrichtungen in einzelnen Personen sollte man ins
Theater gehen oder in einen abstrakteren Raum. In einem realistischen Kino, wie
es Dumont oder Seidl eigentlich vertreten, wirken Parabeln völlig deplatziert.
Der vage Stil von Dumont, der mit Merkwürdigkeiten und wie beschrieben mit
mystischen Elementen arbeitet, scheint dem politischen Thema eines religiösen
Anschlags nicht angemessen, allgemein verliert er sich immer dort, wo er ihn
nicht auf seine Figuren sondern auf die Gesellschaft fixiert. Trotz der
wundervollen Schlusssequenz, die den ganzen Film in ein noch abstrakteres Licht
taucht, wirken die Plotentwicklungen im Vorfeld seltsam übertrieben. Sei es der
Unfall zweier Autos bei einer illegalen Mopedfahrt, die Explosion vor dem Triumphbogen
oder das in Materialismus erstickende
Elternhaus der jungen Frau. Vielleicht will sich Dumont auch ein wenig zu sehr
selbst überraschen, Dinge anders machen als in seinen vorherigen Filmen. Sein
Schlussbild beispielsweise bricht mit den gängigen Bildern eines Dumont-Films,
sein dramatischer Locationwechsel wirkt anders als in „Flandres“ sehr bemüht.
Als würde sich der Filmemacher vor seinen eigenen grünen Farbpaletten
langweilen.
Die Balance stimmt einfach nicht ganz oder anders: Der Film
weiß nicht so recht, was er will. Er präsentiert Céline einmal als hilflose
Ausgelieferte an ihren Glauben, dann wieder als reflektierte Predigerin. Er
zeigt sie als junges, intelligentes Mädchen, dann als politische Radikale ohne
Rationalität. Das alles geschieht aber nicht im Zuge einer Wandlung, sondern in
Wellenbewegungen hinter denen man nur schwer einen Sinn erkennen mag. Was daran
stört sind nicht die Lücken in der Narration, sondern deren Leere. Die Größe
von Dumont offenbart sich aber auch in „Hadewijch“ immer wieder und zwar meist
dann, wenn er Spiritualität weniger wörtlich nimmt, sondern mehr in einem
Bresson-Sinn in Bilder und Töne überträgt. Eigentlich steht seine Bild- und Tonreduzierung
dieser spirituellen Klarheit im Weg, aber gelegentlich findet Dumont zu seinen
großen Momenten. Etwa in den unschuldigen Begegnungen zwischen Céline und ihrem
islamischen Freund, oder einem kleinen Jungen, der durchs Bild sprintet, dem
Weg zu einer Grabstätte/Schrein im Wald oder als sich der oberkörperfreie
Arbeiter und zwei Klosterfrauen bei
einem Sommergewitter im Gewächshaus unterstellen. Der Arbeiter, dem der Film
immer wieder folgt, ist vielleicht jene Essenz, die sich in diesem Film
verbirgt. Immer wenn der Film körperlich wird, wenn Céline versucht sich aus ihrem Glauben zu befreien mit Momenten der körperlichen Nähe, findet sie zu einer Wahrhaftigkeit, die den Rest des Films falsch erscheinen lassen. Womöglich ist es deshalb auch der Regen, der sich so wahr anfühlt im Film. Weil er den Glauben in etwas körperliches zu verwandeln scheint und entweder Beweis für eine göttliche Existenz ist oder diese wegspült.
Zu einer Mystik findet Dumont fast nie in seiner Narration,
sondern zumeist in seinen Nahaufnahmen. An seinen guten Stellen erinnert der
Film an Robert Bressons „Mouchette“ mit der Verlorenheit und Isolation eines
jungen Mädchens. Der Mann wirkt wie das weltliche Pendant zu diesem göttlichen
Verlangen, der körperliche Gegenpol zu den intellektuellen Spielereien in „Hadewijch“.
Der Impuls der Geschichte dieses Mannes zu folgen ist ein ganz richtiger und in
der Zusammenführung von Céline und dem Mann erfährt der Film sowas wie eine
Erlösung. Sowohl inhaltlich und formell als auch von außen betrachtet.
Ich frage mich ja dann doch manchmal, was diese SElbstgeißelung soll. Nichts essen, nicht schlafen... wofür? Für 90 Minuten Film?
AntwortenLöschenIch weiß es nicht sicher. Aber sie spielt fantastisch. Ich finde es überdies ziemlich gut, dass damit versucht wird einen eigenwilligen, neuartigen Ausdruck herzustellen. Ich vermute, dass Dumont damit Störungen herstellen will und gleichzeitig im Sinne einer Schauspielmethodik so eine Art Natürlichkeit auf seine Laiendarstellerin zu bringen. Das gelingt ihm im Ergebnis beides. Ich denke, wenn man Film als Kunst behandelt,ist das absolut gerechtfertigt. Bekommt man gute Filme (what the fuck is that?) auch anders? Natürlich. Bekommt man dieses Ergebnis? Wohl kaum.
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