Ich erlaube mir einige einleitende Gedanken. Häufig beklage
ich etwas mystifiziert das fehlende „filmische“ Element in sogenannten Filmen.
Damit meine ich immer einen zu großen Fokus auf Themen, Narration und Schauspiel,
der das eigentliche Potenzial des Mediums (Bild und Ton) nie ganz ausschöpft,
sondern eher in die Nähe des Theaters oder der Literatur bringt. Das mag wie
ein völlig veralteter Diskurs klingen, es mag auch ein völlig veralteter
Diskurs sein. Aber er ist nicht veraltet, weil Filmemacher und Filmzuseher das
immer völlig verstanden hätten, sondern weil man einfach nicht mehr gerne
darüber redet. Nicht das Thema ist gestorben, sondern der Diskurs darüber. Es
mag ja unterhaltsam und manchmal auf „thought-provoking“ sein, wenn Filme tolle
Drehbücher haben oder eine gewisse inhaltliche Tiefe aufweisen, toll gespielt
sind und coole Kamerafahrten haben. Das ist die gewinnende Form im Kino; es ist
die Form, die die meisten Leute anspricht. Die ins Internet gewanderte
cinephile Community (so sollte das nicht heißen) nimmt dann gerne Filme und
führt sie wie ein kleines Wägelchen neben sich her und fährt damit in alle
gesellschaftstheoretischen Kontexte, Filmtheorien und sehr modern (und ich mache
das auch) in eigene Fetische, die gerade so im Trend sind. Das Gespräch über
Film ist häufig ein Schwanzvergleich. Wer hat mehr gesehen, wer weiß mehr, wer
hat mehr gelesen. Das ist alles irrelevant und hat nichts mit Film zu tun. Es
hat etwas mit Film in einem größeren medialen Kontext zu tun, in Film als Unterhaltungsmedium,
mit Film als historisches Medium. Das alles kann Film auch sein, aber das alles
verdeckt die wahre Kraft des „Filmischen“, von Film als eigenständige Kunst.
Man sollte nicht mit dem Film wohin gehen, sondern durch den Film gehen.
Der von vielen dabei locker dahingesagte Unterschied
zwischen Kunst- und Unterhaltungsfilm existiert nicht. Viel eher ist es ein
Unterschied in der filmischen Sprache und da könnte man ganz einfach sagen,
dass es entweder ein Film ist oder eben ein konsumierbares Laufbild. Es geht
mir nicht um die materielle Ebene, also analog vs. digital, obwohl es mir darum
auch gehen könnte. Ich denke man kann auch im digitalen Bereich „Filme“
produzieren, die den Eigenheiten dieser Kunstgattung entsprechen. In diesen
Filmen erzählen sich die Emotionen nicht durch Dialoge, sondern durch Bilder
und Töne; die Form des Films bietet eine Spielfläche für den Inhalt; Mise en
scène, Montage, alles ist Teil einer Sprache, die sich autonom vom Inhalt und
im Zusammenspiel mit dem Inhalt entwickeln kann. Film bedeutet auch Umgang mit
der Zeit, ein Verständnis für Zeit; Zeit muss eine eigene Kategorie in einem
Film werden. Diese Gedanken stammen nicht von mir, natürlich nicht. Julia
Loktev hat mit „The Loneliest Planet“ einen Film gemacht, der filmischer nicht
sein könnte. Es ist ein absolut wichtiger Film, ein wahrhaftiger Film, der es
wagt zwischen den Zeilen zu lesen. In diesem Film erzählen sich Emotionen durch
den Blickwinkel der Kamera, kleine Geräusche, das Spiel von Licht und Schatten,
die Montage, die Plansequenzen, die Freiräume und poetischen Leerstellen.
Immer wieder sieht man den Nacken von Hauptdarstellerin Hani
Furstenberg. Loktev zeigt ihn von nah und fern, von der Seite und im Profil.
Ihr zunächst glückliches Paar befindet sich auf einem Trip durch den Kaukasus.
Die Natur dringt durch diesen Film zugleich als Schönheit wie als Bedrohung. In
einer Szene stoppt der eigenwillige Führer des Paares und deutet den beiden an,
dass es eine Gefahr geben könnte. Er blickt ernst und wirkt angespannt. Man
hört jeden kleinen Ton. Sie gehen über einen grünes Feld mit großen grünen
Blättern und die ganze Geräuschkulisse wirkt wie eine einzige Bedrohung; in
jedem Moment der Freiheit und Liebe in diesem Film steckt schon ein bisschen
Angst. Loktev inszeniert Liebe nicht als Gefühl, sondern als Gedanken, der in
jedem Moment die Flucht ergreifen könnte. Sie erreicht das durch genuin
filmische Mittel. So konzentriert sie sich auf Körperteile ihrer Protagonisten
statt deren ganze Körper. Sex wird über die Füße erzählt, Nähe mit den Händen.
Außerdem findet sich das Grauen immer in jenen Momenten, in denen die Kamera
nicht zusieht oder sie geschehen so schnell, dass man nicht genug gesehen hat.
Nicht immer sieht man alles. In langen Einstellungen am offenen Feuer bei Nacht
verschwinden die Konturen der Charaktere immer wieder in Dunkelheit. Ein
unberechenbares Gefühl von Machtlosigkeit entsteht.
Diese Machtlosigkeit wird auf Bild-und Tonebene in eine
Bedrohung verstärkt. Zum einen durch totale Einstellungen, in denen die
winzigen Charaktere meistens von einem mehr als beeindruckenden
Naturhintergrund erschlagen werden; sie bewegen sich durch diese Landschaft wie
ein winziger Teil von ihr, der keine Chance gegen die Gesetze der Natur hat.
Zudem befindet sich der Ton immer auf Höhe der Kamera. Einmal sitzen Hani
Furstenberg und Gael Garcia Bernal auf einem heruntergekommenen Gebäude. Furstenberg wirft Steine in Richtung der
Kamera und der Aufprall ist ganz nahe zu hören. Der Zuseher hat keine Chance zu
entkommen, wir sind immer dort, wo das Bild ist, nie da wo unsere Gedanken und
Interpretationen sind. Man achtet auf jeden Schritt, jeden Blick, jede Geste.
Der Film zwingt einen dazu hinzusehen und hinzuhören. Dabei ist es nur konsequent,
dass die georgischen und spanischen Passagen im Film nicht untertitel waren.
Man braucht das Wort nicht zu verstehen, um den Film zu sehen. Im Kino von
Loktev schwingt etwas Unsichtbares mit, das man erst sehen kann, wenn man sich völlig
auf das Sichtbare einlässt.
Wenn die Frau droht ihrer Liebe vollständig zu entfliehen,
verzichtet der Film auf jegliche Montage; in einer langen Einstellung sitzt die
Kamera mit den Darstellern am Feuer und begleitet jede kleine Regung. Immer
wieder queren die drei Figuren das Bild von links nach rechts oder
andersherum. Dadurch, dass der Film das
Vergehen der Zeit offenbart, verliert er jegliche Zeitbezogenheit, er wird
zeitlos. So wie manche Kritiker die Filme durch verschiedene kulturelle
Wissensparten schieben, so fahren auch verschiedene Filmemacher mit ihren
Filmen an verschiedene Orte statt durch sie zu fahren. Loktev lässt die Natur
in ihren Film kommen; sie inszeniert Realismus, der ihre Sicht auf die Welt
genauso inkludiert, wie eine völlige Zurückhaltung. Sie beobachtet. Aber sie
beobachtet aus einem bestimmten Blickwinkel. Man muss nicht sprechen, wenn es
regnen kann. Der Film trifft den Zuseher auf einer affektiven Ebene. Dies wurd durch eine Tonspur, die ins Schwarz vor und nach dem Film hereinreicht verstärkt, durch Bilder, die sich, wie beispielsweise die Eröffnungsszene nicht vollständig erklären, aber die einen genau deswegen beunruhigen. Könnte man alleine vom Ton in der Titelsequenz noch von allen möglichen Dingen ausgehen, offenbart die erste Einstellung eine etwas verlorene Hanni Fürstenberg, die nackt in einer Dusche steht und auf und ab sprintg. Sie wartet auf ein Handtuch, womöglich ist er kalt. Was beunruhigt ist, dass der Mann nicht da ist und dass er das Handtuch sehr spät bringt.
Damit hat Loktev einen Film gemacht, den man im modernen Kino
sonst nur von großen Regisseuren wie Bruno Dumont, Nuri Bilge Ceylan oder
Carlos Reygadas erwarten kann. „The
Loneliest Planet“ ist sich seiner Machtlosigkeit bewusst und versucht nichts zu
kontrollieren. Es ist kein Film über etwas, sondern mit etwas. Nichts wird
hergestellt, weil alles gesehen und gehört wird. Willkommen im Kino.
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