Corneliu Porumboiu hat bislang
zwei Langfilme gedreht. In beiden zeichnet er sich für Drehbuch und Regie
verantwortlich, allerdings ist sein erster Film, „A fost sau n-a fost?“, das
Werk eines Drehbuchautors, während seiner zweiter Langfilm, „Poliţist,
Adjectiv“ seine Brillanz aus der Regieleistung zieht. Sozusagen als Brücke
zwischen den Filmen gibt eine lange TV-Sendungssequenz in „A fost sau n-a fost?“, die beide Tätigkeiten
von Porumboiu zusammenführt, die mit Präzision zeigt, was passiert, wenn die
richtigen formalen Entscheidungen zu den richtigen Wörtern getroffen werden. In
dieser Fernsehsendung wird die Frage behandelt, ob es in dem kleinen Ort, in
dem die Geschichte spielt, vor vielen Jahren 1989 eine Revolution gab oder
nicht. Gingen die Menschen auf die Straße bevor im Fernsehen der Machtverlust
von Nicolae Ceaușescu bekannt wurde oder haben sie sich erst danach auf die
Straße getraut? In einer laienhaften TV-Sendung möchte ein Journalist mit Hilfe
eines Alkoholiker-Lehrers, eines alten, häufig den Weihnachtsmann im Ort
spielenden Mannes, den keiner ernst nimmt, und zahlreicher Anrufer diese Frage
am Jahrestag der Revolution beantworten. Eines der vielen Probleme der Sendung
ist auch die fehlende Qualität des Kamerastativs, die es dem jungen Kameramann
nicht erlaubt schnelle und ruckelfreie Bewegungen auszuführen. Hier vollzieht
sich in Inhalt und Form eine Desillusionierung, eine fehlenden Wertigkeit, eine
Nicht-Relevanz. Erschreckend ist, dass dabei so viel Wahrheit durchzuschimmern
scheint. Oberflächlich betrachtet ist die Szene als Komödie geschrieben. Zu
überzeichnet wirken die Charaktere und ihre Handlungen. So werden aus den
Notizzetteln auf dem Diskussionstisch Figuren gefaltet oder sie werden unter extremem
Rascheln auseinandergerissen.
Doch in der absurd-komischen
Nicht-Geschichtsaufarbeitung eines Ortes, der Revolution nur unter
Alkoholeinfluss zu kennen scheint, liegen erschreckende Tiefen. Die Kamerabewegungen, die wackeln oder
manchmal erst nach Aufruf des Journalisten geschehen, erzählen von fehlendem
Können und Desinteresse auf der einen Seite, doch auf der anderen Seite
offenbaren sie Wahrheiten und sind für den Film selbst weitaus effektiver, als
für die TV-Sendung im Film. Zum Beispiel verlässt der Lehrer in der Werbepause
die Sendung im Streit. Der Moderator ruft ihm noch hinterher, dass ihm niemand
glauben werde, wenn er jetzt gehen würde. Dann beginnt die Sendung wieder und
der Blick der Filmkamera ist wieder der Blick der TV-Kamera. Der Moderator
leitet ein und zwar in einer Nahaufnahme, die uns ermöglicht seinen inneren
Kampf zwischen alles hinschmeißen und weitermachen nachzuvollziehen, bevor er
beleidigt darum bittet eine totalere Einstellung zu bekommen. Die Kamera zieht
auf und wir erkennen, dass rechts von ihm wieder der Lehrer sitzt. Das ist mit
formellen Mitteln ein Drehbuch schreiben! Die Einstellungen sind lang und in
ihrer Länge vollziehen sich erst die Lücken in den Dialogen, vollziehen sich
auch die Lücken in einer verdrängten Geschichte. Es sind die kleinen Dinge, die
der Sequenz ihre Authentizität verleihen, obwohl sie eben durchaus überzeichnet
ist. So wiederholt der Journalist die Telefonnummer immer zweimal, wünschen
viele Anrufer frohe Feiertage, was mit einiger Verzögerung von den drei Männern
immer erwidert wird; Das sind Dialoge, die völlig in der Realität verankert
sind. Keiner scheint den alten Mann ernst zu nehmen, aber der Film lässt die
Möglichkeit offen, dass er sehr weise Dinge sagt. Nur keiner will den alten
Mann mehr hören. Keiner will das Thema mehr hören. Porumboiu reflektiert sein
eigenes Thema schon im Film. Selbst in der Sendung, die sich mit dem politisch
signifikanten Ereignis für die Geschichte des Landes befasst, scheinen die
Knallkörper, die ein chinesischer Händler an Kinder verkauft wichtiger zu sein.
„Ich biete das an, was verlangt wird.“, sagt der Chinese und macht damit Welten
der filmischen Selbstreflexion des Neuen Rumänischen Kinos auf. Porumboui macht
kaum das, was verlangt wird, aber er macht es deutlich besser als die
TV-Sendung, die er dafür herstellt.
Ansonsten ist „A fost sau n-a
fost?“, der albernerweise unter dem Titel „12:08 Jenseits von Bukarest“ im deutschsprachigen Raum geführt wird ein
unheimlich durchdachtes Episodendrama mit einem lyrischen Element (den Laternen
der Stadt, die aus und an gehen) und vielen alltäglichen, absurden Situationen,
sowie Thematiken die sich durch die Geschichten der drei Protagonisten ziehen:
Knallkörper, Weihnachtsmänner und Missverständnisse. Bedingen sich in der zweiten
Hälfte des Films, der TV-Sendung, Form und Inhalt, so scheint es in der ersten
Hälfte fast ein Themenfilm zu sein. Äußerst clever geschrieben, aber in der
Form nur unterstützend. Wie ein Ausbruch aus seiner Form, ein Finden der
eigenen Sprache vollzieht sich dann die Nachrichtensendung, als vielleicht
eines der längsten verbalen Westernduelle der Filmgeschichte. Der Blick von
Porumboiu ist immer ein sarkastischer und er macht sich als Regisseur deutlich
bemerkbar, er drückt seinem Thema eine gewisse Ironie auf, sucht sozusagen nach
den Wes Anderson-Momenten in der rumänischen Gegenwart. Allerdings betont er
diese Momente nicht im Stile des amerikanischen Hipster-Regisseurs, sondern
zeigt gleichermaßen ihre Wertlosigkeit. Nichts passiert und deshalb passiert so
viel.
Das gilt noch mehr für
Porumboius zweiten Langfilm „Poliţist,
Adjectiv“, der sich im Polizeimilieu die ganz besondere Freiheit der
Langsamkeit nimmt. Immer wieder verfolgt der Protagonist Cristi Personen.
Inszeniert ist das, wie ein früher Verfolgungsfilm von Thomas Edison. Person A
kreuzt das Bild von ganz links nach ganz rechts und dann kommt Person B und
macht dasselbe. Im Gegensatz zu zu „A fost sau n-a fost?“ vollzieht sich die
Geschichte allerdings weniger auf Drehbuchebene, denn auf Regieebene. Lange
wirken die Geschehnisse nicht so zusammengebaut, nicht so rund. Die Tiefe
findet der Film hier zum Beispiel durch die völliger Urteilslosigkeit der
Bilder. Die Kamera übt sich in Porumboius zweiten Langfilm in absoluter
Zurückhaltung, begleitet das geschehen fast dokumentarisch. Dennoch kulminiert
auch dieser Film in einer langen, dialog- und vor allem wortdominierten
Sequenz, in der der Chef der Abteilung den zögernden und zweifelnden Polizisten
eine Lehrstunde zu erteilen versucht. Der Film thematisiert auf allen Ebenen
die Einsamkeit des Beobachtenden. Lange Blicke durch unübersichtliche Schulhöfe
begleiten einen Camus-artigen Charakter auf der Suche nach der Wahrheit hinter
Schuld und Unschuld, Gesetz und Moral. Erschreckend scheint auch dabei wieder
die Sinnlosigkeit des Ganzen zu sein. Diese offenbart sich aber nicht auf
Dialogebene, sondern durch die langen Momente des Nichts, die zwar einen Denkprozess
auslösen in Cristi, aber ihn dennoch vor ein gewaltiges Loch stellen. Aus diesem
Loch soll ihm dann ausgerechnet ein Wörterbuch helfen, der Feind der genuin
filmischen Darstellung. Die Charaktere in diesem erneuerten verbalen
Westernduell sind fast das Gegenteil der Charaktere aus der TV-Sendung. Statt
tragisch-komischer Figuren handelt es sich um durchaus selbstbewusste,
überzeugte Männer. Aber hinter ihrer und vor allem seiner, der des
Polizeichefs, festgefahrener Rhetorik verstecken sich wieder Unsicherheiten,
fehlende Wertigkeiten und ein absurder Hang zur Bürokratie als letzte
Zufluchtsstätte. Auch „Poliţist,
Adjectiv“ ist ein Film über Desillusionierung.
Wie wenig man tun muss, um eine
Beziehung und ihr Nicht-Funktionieren zu beleuchten, zeigt Porumboiu in einer
statischen Sequenz, in der Cristi am Küchentisch sitzt und seine Frau/Freundin
laut einen Schlager im Nebenzimmer hört. Die beiden sind räumlich getrennt und
beginnen sich über den Inhalt des Lieds zu streiten (den Inhalt, wohlgemerkt),
obwohl Cristi spürbar von der Musikalität des Songs genervt ist. Erst später setzt er sich zu ihr an den Computer. Wieder steckt in einer absurden Diskussion viel mehr. Kommunikation
ist nicht immer in den Worten lesbar, sondern eine Sache der Körperlichkeit,
der Blicke, des Nichts. In „Poliţist,
Adjectiv“ wirft Porumboiu keinen spürbar sarkastischen Blick mehr auf die
Gegenwart, sondern einen völlig zurückgenommenen. Den Sarkasmus überlässt er
dem Zuseher.
Die Suche nach Antworten auf
unbeantwortbare, vielleicht als irrelevant angesehene Fragen beschäftigt Porumboiu.
Seine Filme diskutieren das Nicht-Diskutierbare. Das „Nicht“ ist wohl das
zentrale Motiv in seinen beiden Langfilmen auf Drehbuch- und Regieebene. Ist es
oder ist es nicht?
A fost sau n-a fost?
Poliţist,
Adjectiv
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