All die Frische, all das Chaos, das Arnaud Desplechin
normalerweise in seinen Filmen entfaltet, all die Lebensfreude und all die
Verzweiflung, gehen in seinem „Jimmy P.“ irgendwo zwischen einer übertriebenen
Sentimentalität und einer Kultur, die dem Regisseur anscheinend fremd ist,
verloren. Spielt es tatsächlich selbst in der globalisierten Welt 2013 noch
eine Rolle woher ein Regisseur kommt? Ingmar Bergman hat sein Leben lang
betont, dass er keine Filme außerhalb Schwedens machen könne. Es geht wohl um
die kleinen Details, die kleinen Beobachtungen, die man als Fremder doch ganz
anders wahrnimmt, denn als Heimischer. Die Sprache, aus der man nicht die
letzten Details heraus kitzeln kann. Als Truffaut „Fahrenheit 451“ in England
drehte, hatte er dieses Problem auch. Jetzt ist es aber so, dass Desplechin für“
Jimmy P.“in die USA ging, ein Land, in das viele Filmemacher sehr erfolgreich
übersiedeln, da die amerikanische Kinosprache überall bekannt ist und der
Transfer lange nicht so holprig gehen sollte. Außerdem erlaubt das
amerikanische System durchaus noch so etwas wie eine individuelle Seele des
Filmemachers, wenn auch an der Grenze des Erstickens, wie zuletzt bei Park
Chan-wooks „Stoker“ gesehen. Die Gründe liegen also wo anders. Es hat sicher
nichts mit dem gerne aufgegriffenen Problem der Verfilmung einer Psychoanalyse zu
tun, denn Desplechin ist ein Meister des Verfilmens des „Unfilmbaren“.
Hier beschäftigt er sich mit Jimmy Picard, einem
Plains-Indianer, der nach dem 2.Weltkrieg unerklärliche Krankheitssymptome aufweist.
Auf Anraten seiner Schwester unterzieht sich Jimmy daraufhin einer
psychologischen Therapie bei dem neurotischen Ethnologen George Devereux. Wer
den anhaltenden Output mittelmäßiger Psychotherapie-Filme der letzten Jahre mit
verfolgt hat, weiß in der Folge in etwa, was zu erwarten ist. Wie in „The King’s
Speech“ von Tom Hooper und „A Dangerous Method“ von David Cronenberg wird viel
geredet und prinzipiell dient alles dem zur Schau stellen von
schauspielerischen Talent. Del Toro legt seinen Indianer dabei nur minimal
lebendiger an, als in seinem Kurzauftritt in Sean Penns „The Pledge“. (Polemik)
Mathieu Amalric verliert sich wie seine Landsfrau Marion Cotillard in „The
Immigrant“ in einem Akzent, wobei man dem Franzosen zu Gute halten muss, dass
er es zwischendurch schafft dem Film jenes Leben einzuhauchen, das man
normalerweise aus seinen Kollaborationen mit Desplechin kennt.
Manches macht der Film sehr richtig. So wird Psychoanalyse nicht
als ein dramaturgisches Moment verstanden, an dessen Ende die eine richtige
Lösung steht, sondern durch die Diskussionen, durch das Erzählen von sich
selbst, gewinnt Picard einen neuen Blick auf sein eigenes Leben, der dem
Analytiker selbst vielleicht sogar verschlossen bleibt, aber dem Indianer
heilt. Der Film basiert auf einem Buch und man vermag zu erahnen, was
Desplechin gereizt hat ausgerechnet diesen Text zu adaptieren, ausgerechnet
dafür nach Amerika zu gehen. Die Art und Weise, in der er die Erzählungen von
Picard mal visualisiert, mal nicht, mal traumartig erscheinen lässt und mal
völlig nüchtern, ist beeindruckend. Wenn im Behandlungszimmer von einem grünen
Aschenbecher erzählt wird, gibt es einen Schwenk auf einen grünen Aschenbecher.
Einmal beginnt Picard von einem Erlebnis zu erzählen. Er kam an einem Ort an
und da waren zwei Männer, man sieht die Silhouetten der Männer…plötzlich
korrigiert er sich…nein, es wären Frauen gewesen. Und hinter einem Strohballen
tauchen die Frauen auf. Es geht hier um eine Reflektion des
Geschichtenerzählens. Ganz anders, als bei den anderen genannten Therapie-Filmen
liegt das Interesse von Desplechin tatsächlich auf der Vergangenheit seines
Protagonisten und nicht auf seiner Gegenwart. Fühlt sich der Film deshalb so
angestaubt und trocken an? Man sollte auch nicht ignorieren, dass es nicht nur
der erste amerikanische Film von Desplechin ist, sondern der erste Film bei dem
er Kultur mehr betont, als Familie. Ein neues Feld also, diese Unmöglichkeit
des Rückzugs in den familiären Konflikt. Die Charaktere haben nur eine oder zwei
Vertrauenspersonen. In den Beziehungsmomenten mir Amalric blüht diese ungeheure
Beobachtungsgabe von Desplechin wieder auf; und diese Freiheit, wie ein Brief,
der einmal geschrieben direkt in die Kamera vorgetragen wird, da fliegt ein
gutes Stück „Rois et Reines“ oder „Comment je me suis disputé…(ma vie sexuelle)“
mit. Normalerweise bauen sich ganze Filme von Desplechin so auf, dass sie
Momente der Freiheit betonen, dass sie nicht nach dramaturgischen
Gesichtspunkten zusammengesetzt werden, sondern nach Lebensbeobachtungen, die
in filmischer, ja fast musikalischer Art zusammengesetzt werden.
Doch in „Jimmy P.“ folgt er einem streng sentimentalen
dramaturgischen Muster. Der Filmemacher Desplechin hat sich in seiner Vorlage
verheddert. Mit grausam unpassenden, gefühlsbetonten, epischen Tönen von Howard
Shore wird das ganze untermalt; in all dieser emotionalen Rundheit des Treffens
zweier Männer steckt die Liebe zu einer ganz bestimmten Art von Kino, die
Desplechin zugegebenermaßen mitbringt, die aber auf seine eigene Sprache nicht
passt. Das Herz will dieser Film wohl ansprechen und bleibt dabei äußerst
blass, weil die Charaktere nur als verfilmte Figuren eines Buches, nicht aber
als Menschen auftreten. Es wirkt nicht so, als hätte man den Film viel besser
machen können. Es ist die Vorlage, die wenig hergibt und aus der sich der Film
zu selten emanzipiert. Die Geschichte von Picard wird einfach erzählt, wie in
einem Buch. Weder wird sie passend zur dramatischen Musik in Emotionen
verwandelt, noch wird sie mit einer gewissen Lebensweisheit und/oder ironischen
Distanz erzählt. Die Nähe, die Desplechin normalerweise aufbaut zu seinen
Figuren, existiert hier nicht. Der Film ist mehr mit Werktreue und seinem
Kostüm- und Szenenbild beschäftigt. Alles muss stimmen, alles wirkt korrekt.Und er ist eben mehr mit der Herstellung von Gefühlen, als mit der Herstellung von Leben, das Gefühle erzeugt, beschäftigt. Es
liegt nicht am bösen Amerika, dass Desplechin keinen Desplechin-Film gemacht
hat. Vielleicht kehrt dieser Bob Dylan ja wieder zurück zur Folkmusik.
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