Freitag, 7. Juni 2013

Jimmy P. von Arnaud Desplechin



All die Frische, all das Chaos, das Arnaud Desplechin normalerweise in seinen Filmen entfaltet, all die Lebensfreude und all die Verzweiflung, gehen in seinem „Jimmy P.“ irgendwo zwischen einer übertriebenen Sentimentalität und einer Kultur, die dem Regisseur anscheinend fremd ist, verloren. Spielt es tatsächlich selbst in der globalisierten Welt 2013 noch eine Rolle woher ein Regisseur kommt? Ingmar Bergman hat sein Leben lang betont, dass er keine Filme außerhalb Schwedens machen könne. Es geht wohl um die kleinen Details, die kleinen Beobachtungen, die man als Fremder doch ganz anders wahrnimmt, denn als Heimischer. Die Sprache, aus der man nicht die letzten Details heraus kitzeln kann. Als Truffaut „Fahrenheit 451“ in England drehte, hatte er dieses Problem auch. Jetzt ist es aber so, dass Desplechin für“ Jimmy P.“in die USA ging, ein Land, in das viele Filmemacher sehr erfolgreich übersiedeln, da die amerikanische Kinosprache überall bekannt ist und der Transfer lange nicht so holprig gehen sollte. Außerdem erlaubt das amerikanische System durchaus noch so etwas wie eine individuelle Seele des Filmemachers, wenn auch an der Grenze des Erstickens, wie zuletzt bei Park Chan-wooks „Stoker“ gesehen. Die Gründe liegen also wo anders. Es hat sicher nichts mit dem gerne aufgegriffenen Problem der Verfilmung einer Psychoanalyse zu tun, denn Desplechin ist ein Meister des Verfilmens des „Unfilmbaren“.


Hier beschäftigt er sich mit Jimmy Picard, einem Plains-Indianer, der nach dem 2.Weltkrieg unerklärliche Krankheitssymptome aufweist. Auf Anraten seiner Schwester unterzieht sich Jimmy daraufhin einer psychologischen Therapie bei dem neurotischen Ethnologen George Devereux. Wer den anhaltenden Output mittelmäßiger Psychotherapie-Filme der letzten Jahre mit verfolgt hat, weiß in der Folge in etwa, was zu erwarten ist. Wie in „The King’s Speech“ von Tom Hooper und „A Dangerous Method“ von David Cronenberg wird viel geredet und prinzipiell dient alles dem zur Schau stellen von schauspielerischen Talent. Del Toro legt seinen Indianer dabei nur minimal lebendiger an, als in seinem Kurzauftritt in Sean Penns „The Pledge“. (Polemik) Mathieu Amalric verliert sich wie seine Landsfrau Marion Cotillard in „The Immigrant“ in einem Akzent, wobei man dem Franzosen zu Gute halten muss, dass er es zwischendurch schafft dem Film jenes Leben einzuhauchen, das man normalerweise aus seinen Kollaborationen mit Desplechin kennt.


Manches macht der Film sehr richtig. So wird Psychoanalyse nicht als ein dramaturgisches Moment verstanden, an dessen Ende die eine richtige Lösung steht, sondern durch die Diskussionen, durch das Erzählen von sich selbst, gewinnt Picard einen neuen Blick auf sein eigenes Leben, der dem Analytiker selbst vielleicht sogar verschlossen bleibt, aber dem Indianer heilt. Der Film basiert auf einem Buch und man vermag zu erahnen, was Desplechin gereizt hat ausgerechnet diesen Text zu adaptieren, ausgerechnet dafür nach Amerika zu gehen. Die Art und Weise, in der er die Erzählungen von Picard mal visualisiert, mal nicht, mal traumartig erscheinen lässt und mal völlig nüchtern, ist beeindruckend. Wenn im Behandlungszimmer von einem grünen Aschenbecher erzählt wird, gibt es einen Schwenk auf einen grünen Aschenbecher. Einmal beginnt Picard von einem Erlebnis zu erzählen. Er kam an einem Ort an und da waren zwei Männer, man sieht die Silhouetten der Männer…plötzlich korrigiert er sich…nein, es wären Frauen gewesen. Und hinter einem Strohballen tauchen die Frauen auf. Es geht hier um eine Reflektion des Geschichtenerzählens. Ganz anders, als bei den anderen genannten Therapie-Filmen liegt das Interesse von Desplechin tatsächlich auf der Vergangenheit seines Protagonisten und nicht auf seiner Gegenwart. Fühlt sich der Film deshalb so angestaubt und trocken an? Man sollte auch nicht ignorieren, dass es nicht nur der erste amerikanische Film von Desplechin ist, sondern der erste Film bei dem er Kultur mehr betont, als Familie. Ein neues Feld also, diese Unmöglichkeit des Rückzugs in den familiären Konflikt. Die Charaktere haben nur eine oder zwei Vertrauenspersonen. In den Beziehungsmomenten mir Amalric blüht diese ungeheure Beobachtungsgabe von Desplechin wieder auf; und diese Freiheit, wie ein Brief, der einmal geschrieben direkt in die Kamera vorgetragen wird, da fliegt ein gutes Stück „Rois et Reines“ oder „Comment je me suis disputé…(ma vie sexuelle)“ mit. Normalerweise bauen sich ganze Filme von Desplechin so auf, dass sie Momente der Freiheit betonen, dass sie nicht nach dramaturgischen Gesichtspunkten zusammengesetzt werden, sondern nach Lebensbeobachtungen, die in filmischer, ja fast musikalischer Art zusammengesetzt werden.


Doch in „Jimmy P.“ folgt er einem streng sentimentalen dramaturgischen Muster. Der Filmemacher Desplechin hat sich in seiner Vorlage verheddert. Mit grausam unpassenden, gefühlsbetonten, epischen Tönen von Howard Shore wird das ganze untermalt; in all dieser emotionalen Rundheit des Treffens zweier Männer steckt die Liebe zu einer ganz bestimmten Art von Kino, die Desplechin zugegebenermaßen mitbringt, die aber auf seine eigene Sprache nicht passt. Das Herz will dieser Film wohl ansprechen und bleibt dabei äußerst blass, weil die Charaktere nur als verfilmte Figuren eines Buches, nicht aber als Menschen auftreten. Es wirkt nicht so, als hätte man den Film viel besser machen können. Es ist die Vorlage, die wenig hergibt und aus der sich der Film zu selten emanzipiert. Die Geschichte von Picard wird einfach erzählt, wie in einem Buch. Weder wird sie passend zur dramatischen Musik in Emotionen verwandelt, noch wird sie mit einer gewissen Lebensweisheit und/oder ironischen Distanz erzählt. Die Nähe, die Desplechin normalerweise aufbaut zu seinen Figuren, existiert hier nicht. Der Film ist mehr mit Werktreue und seinem Kostüm- und Szenenbild beschäftigt. Alles muss stimmen, alles wirkt korrekt.Und er ist eben mehr mit der Herstellung von Gefühlen, als mit der Herstellung von Leben, das Gefühle erzeugt, beschäftigt. Es liegt nicht am bösen Amerika, dass Desplechin keinen Desplechin-Film gemacht hat. Vielleicht kehrt dieser Bob Dylan ja wieder zurück zur Folkmusik.


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