Sonntag, 9. Juni 2013

Tore tanzt von Katrin Gebbe



Einen quälenden Blick in die dunklen Abschnitte der menschlichen Seele wirft Katrin Gebbe in ihrem aufschreienden Film „Tore tanzt“, der mit seiner Einladung nach Cannes hoffentlich vielen in Deutschland einen Weg aufzeigt anspruchsvolles, alternatives und individuelles Kino jenseits der Berliner Schule (die es ja nicht gibt) zu machen. Das paradoxe daran ist, dass „Tore Tanzt“ eigentlich ein Fernsehspiel ist. Das sieht man dem Film auch an in seiner deutschen Schrebergartenästhetik. Aber die Vorbilder von Gebbe liegen sicherlich nicht im gewöhnlichen TV-Brei. Ein langsamer Herabstieg in Erniedrigung und perverse Machtspiele vollziehen sich, als der junge „Jesus Freak“ Tore per Zufall an den Gartensiedler Benno gerät und beginnt bei ihm zu leben beziehungsweise beginnt bei ihm leben zu dürfen. Was Benno mit dem gläubigen Einzelgänger in der Folge veranstaltet, ist Teil dieser Studie sadistischer Tendenzen. 

Das Frische an diesem Film ist seine Furchtlosigkeit vor den menschlichen Extremen. Damit ähnelt „Tore Tanzt“ in gewisser Weiße Philip Kochs „Picco“, der eine ähnliche Spirale der Gewalt und Machtausübung in einem anderen Mikrokosmos, den des Gefängnisses entfaltete. Die Vorbilder von Gebbe liegen in diesem Kino der Provokation, das immer auch ein Kino der Konsequenz ist. Sie hat einen Film gemacht, der einem im positivsten Sinne mit voller Wucht in den Magen schlägt. Pasolini, Von Trier oder Miike stehen hier wohl Pate. Die Gewalt vollzieht sich in der Zeit bei Gebbe. Keine Schnitte oder Schwenks, die einen in die (zurecht) vielgerühmte eigene Imagination fliehen lassen, sondern ein beinhartes Zusehen, das einen reflektieren lässt über menschliches Verhalten und das ständig fragt, wie man sich selbst wohl verhalten würde. Die Gartenlandschaft dient dabei gleichermaßen als Keller und als Schaufenster der Gesellschaft. Sie ist weit genug weg, um wahrgenommen zu werden, bietet aber ein System,  das genauso in der herkömmlichen Stadt/Gesellschaft funktioniert. Die große Leistung im Drehbuch ist, dass das Verhalten zu keiner Zeit unrealistisch wirkt, selbst dann nicht, wenn es in die absoluten Extreme geht. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist der Film auch eine psychologische Studie. Allerdings spielt der Film in wunderbarer Weise mit einer Parabelhaftigkeit, die Anklänge in der Lebensgeschichte von Jesus findet. Auf eine merkwürdige Art hilft Tore seinen Mitmenschen, lebt ein nach konservativ-christlichen Standards vorbildliches Leben. Wenn er geschlagen wird, dann hält er auch die andere Backe hin und am Ende wird er im übertragenen Sinne gekreuzigt. Ganz so einfach ist es zwar nicht, aber Parallelen sind nicht zu übersehen. Der Jesus unserer Zeit wird nicht als solcher erkannt. Er wird belächelt oder niedergemacht. Ein unheimlicher Assoziationsspielraum eröffnet sich, den Gebbe mit der Betitelung ihrer Kapitel in „Glaube“, „Liebe“ und Hoffnung“ auf die Spitze treibt. Damit ähnelt der Film auch Audiards „Un prophete“, der sich wohl aus politisch-religiösen Gründen immer einem Bekenntnis zur Parallelität mit der Geschichte des Propheten Mohammeds verweigerte in Interviews.


Als später auch die Frau von Benno und ihre Freunde in die brutalen Spiele mit Tore einsteigen, weiß man, dass es kein Entkommen aus diesem Film gibt. Fluchtartig verließen Menschen das Kino. Ein großes Lob, wenn man sich ansieht bei welchen Regisseuren diese Reaktion sonst so auftritt. Gaspar Noé und Lars von Trier sind zwei Regisseure, die in den letzten Jahren ähnliche Reaktionen hervorgerufen haben in Cannes. Es handelt sich nämlich um alles andere, als eine reine Provokation der Provokation zur Liebe; man spürt in jedem Moment, dass etwas über menschliches Verhalten vermittelt wird. Welche Vorstellung Leute vom Kino haben, die sich darüber aufregen, dass es ihnen in einem Film nicht gut geht, ist mir ein Rätsel. Soll es immer um Humor, Harmonie und Weltflucht gehen? In der Darstellung von Menschen wird man unweigerlich auf dunkle Seiten stoßen. Sie wettern dann „Skandal“ und leugnen damit zur gleichen Zeit die Kraft des Kinos, wie sie Werbung dafür machen. Muss das sein? Ja, denn Kino ist mehr, als dramaturgisch komponierte Glückseligkeit, Kino kann ein Spiegel sein, ein Röntgengerät und im besten Sinne ist „Tore tanzt“ ein Röntgenbild, das sich traut Dinge zu offenbaren, die eigentlich versteckt werden. Am Ende gibt es tatsächlich „Hoffnung“, aber diese ist durchdrungen von jener realistischen Grausamkeit, die den ganzen Film auszeichnet.

Trotz einer spürbaren bildgestalterischen Limitierung, die sich auch nicht in eine besondere Sprache transformiert, wie etwa mit der engen, Steadycam-Gefängnisästhetik in „Picco“, erzählt Gebbe mit filmischen Mitteln. Die Isolierung von Tore wird mit einem hohen Schärfekontrast betont, häufig ist der junge Tore von hinten zu sehen und seine komplette Umgebung in völlige Unschärfe getaucht. Die pulsierende, basslastige Musik erzeugt vom ersten Moment an eine bedrohliche Stimmung; in kleinen, scheinbar zufälligen Momenten erzählt Gebbe etwas über ihre Charaktere, etwa wenn das Tatoo von Benno kurz zu sehen ist. Das Casting ist der Kern dieses Films, denn Julius Feldmaier gibt den Jesus-Punk alleine schon durch sein hageres, blasses, immer um ein lächelnd bemühtes Äußeres mit erstaunlicher Glaubwürdigkeit. An dieser Glaubwürdigkeit hätte der ganze Film scheitern können, es ist die schmale Linie zwischen Trash/purer Provokation und Tiefsinn, wenn man so will. Und Gebbe tanzt gekonnt entlang der Linie. 


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