„No“ vereinigt
filmisches und politisches Understatement. Die Bilder kommen im schmutzigen
Videolook daher, samt Wackelkamera, fehlendem Kontrast und schmalem
Seitenverhältnis. Look also nicht als Spiegel der Zeit wie etwa bei den
unmotivierten Boxkämpfen in David O. Russels „The Fighter“ oder Michael Hanekes
„Das weiße Band“, sondern Stil als politisches Konzept, als filmische Politik. „No“
zeigt ganz im Kontrast zu vielen amerikanischen Wahlkampffilmen einen Wahlkampf
ohne großes Pathos, ohne einen Idealismus, der einem ins Gesicht schlägt und
gar nicht mehr atmen lässt. Trotzdem bekommt man Gänsehaut, etwa als einer der
Offiziellen zunächst verkündet, dass Pinochet in seinem Amt bestätigt wurde und
man die enttäuschten Gesichter im Raum betrachtet. Nur gibt es da zum einen das
Gefühl selbst die Wahl zu haben. Selbst! Nüchtern und trocken scheint der Film
die Werbespots der Opposition und die der Regierung original hintereinander zu
zeigen. Natürlich findet in diesen Szenen bei Larraín ein Auswahlverfahren
statt, natürlich hat er Mittel den Zuseher zu manipulieren, auf die Seite der
Opposition zu bringen. Aber er gesteht auch deren Schwächen ein. Immer wieder
musste ich dabei an die Diskussion gegen Ende von „Aprés Mai“ von Olivier
Assayas denken: Inwiefern sollte eine Revolution sich der (filmischen/künstlerischen)
Mittel der herrschenden Partei bedienen? In anderen Worten: Hier werden Bilder
einer nicht-kapitalistischen Opposition mit den puren Mitteln des Kapitalismus,
werbeästhetischen Bildern, die Freiheit als Produkt bewerben, gezeigt, um die
Menschen politisch zu aktivieren. Keine intellektuelle Montage also und keine
wirkliche Freiheit für den Betrachter/Wähler. Wir holen uns den Wähler, als
würde er Cola kaufen. Doch denkt man beispielsweise an Fernando Solanas‘ „La
hora de los hornos“ einem purem Aufruf in eine Revolution, bemerkt man, dass
Werbeästhetik und Revolution durchaus zusammen gehen. Und irgendwie sind die
klagenden Gesichter in Eisensteins Montageorgien doch auch nichts anderes als
die Umkehrung des lachenden Milchschnitte-Gesichts.
Zum anderen versteckt der Film eigene Schwächen genauso
effektiv wie die No-Kampagne selbst. Gewissermaßen stiehlt die Verfilmung damit
das Erfolgskonzept ihrer realen Vorlage. In einer Szene wird auf einen der
Mängel innerhalb des Wahlkampfes hingewiesen, die scheinbare Willkür des
Regenbogens als Logo. Doch in einer spontanen Interpretation der Farben durch
die kreative Leitung (ähnlich der Ausmessung der Größe von Ausschnitten in „Aviator“
von Martin Scorsese) rund um René flüchtet sich die Kampagne und damit auch der
Film selbst in einen entwaffnenden Humor. Und das Casting von Bernal, der mit
seinen treuen Augen ein absoluter Identifikationsstifter ist, selbst wenn der
Film es gar nicht darauf anlegt, tut sein Übriges. Früher, da hätte Bernal mal
das Milchschnitte-Gesicht sein können. Heute trägt er aber einen Bart und doch
ist er auf merkwürdige Weise Kind geblieben. Ein Playmobil-Zug fährt durch
seine Wohnung und als Vater wirkt er eher wie ein Bruder. Er liebt bunt und
schön und positiv. Genau daraus macht er seine Kampagnen. Aus positiven Werten,
die dieser Charakter (vielleicht ist Bernal auch immer noch in einem seiner
selbstzusammengebrauten Träume aus „Science of Sleep“ von Michel Gondry
gefangen?) lebt, wird das politische Schicksal eines Landes gestrickt. Immer
wenn es droht sich ein wenig zu sehr in einem Überrealismus wie bei Finchers „Zodiac“
zu verlieren, erinnert sich der Film daran, dass er seine Botschaft ja an den Zuschauer
verkaufen muss. Also bauen wir schnell noch einige tatsächlich bewegende Szenen
ein. Nicht weil man so etwas nicht schon tausend Mal gesehen hätte, sondern
weil einem die Vielschichtigkeit des Lebens von René gewahr wird, wenn dieser
Mann, den man so häufig in seinem Job sieht, als Profi, plötzlich eine zutiefst
zerbrechliche Fassade hinter seinem Harmoniedrang offenbart. Das könnte alles
so danebengehen, funktioniert hier aber im Zusammenspiel ganz wunderbar.
Am Ende ist man sich dann auch gar nicht so sicher, was jetzt
gewonnen wurde in dieser medialen Politikschlacht. Das spezielle an diesem Film
von Larraín ist die Überzeugung, die man allen Beteiligten anmerkt. Bis zum
letzten Komparsen vermittelt dieser Film eine Freude und eine Begeisterung für
den Film. Dadurch wirkt der Film lange nicht so gefangen wie etwa Gus Van Sants
„Milk“, der sich alleine auf seinem Hauptdarsteller ausruht und sich ansonsten,
wie so oft im amerikanischen Kino, um die Wiederherstellung einer zeitlichen
Epoche mehr bemüht als um alles andere. Dadurch hat man oft, dass Gefühl, dass
irgendwer gleich „Print“ schreit und all diese schönen Schauspieler nach Hause
gehen und etwas anderes machen. Bei „No“ dagegen wird man überzeugt. Vielleicht
wird man auch manipuliert, aber der Film macht das so unheimlich clever, dass
es einfach nichts dagegen zu sagen gibt.
Auf seine Art bildet der Film sozusagen ein Gegenstück zu
Paul Thomas Andersons „The Master“. Dort wo Anderson aus jeder Pore nach Meisterwerk
schreit, versteckt sich „No“. Dort wo bei Anderson eine politische Brisanz auf
die Charaktere überspielt wird, zeigt „No“ Politik ungekünstelt und einfach.
Dort wo Anderson an allen Ecken lose, auf ihre Art wundervolle Momente kreiert,
ist „No“ an einer ganzheitlichen Struktur interessiert, die sich allerdings nie
in banalen Botschaften oder emotionslastigen Identifikationsnummern verliert,
sondern stets Respekt vor dem Zuschauer zeigt. So und nicht anderes sollte
politisches Kino in unserer Zeit sein. Am Ende fährt René mit dem Skateboard
durch die Straßen: Harmonie und Ästhetik im sozialen Kontext.
Wieder einmal ein großartiger Text! :)
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