Eine amoklaufende, sehr langsame Variation eines Charakters
aus einem Camus-Roman geht in diesem Film von Cristi Puiu meistens zwei
Schritte vorwärts und dann wieder einen zurück. Entscheidungen werden lange
verzögert, dann aber mit jener Härte und Konsequenz vorgetragen mit der auch
der Film selbst operiert. Beobachten statt Erzählen, Distanz statt Drama. Das
sind die Prinzipien eines Kinos von Puiu, dessen „Aurora“ man deshalb auch
nicht versuchen sollte zu lesen, sondern einzig beobachten kann. Man beobachtet
also einen Mann, der sich auf ein Verbrechen (den Mord an dem Geliebten seiner
Ex-Frau und deren Eltern) vorbereitet, dieses vollzieht und sich dann, bevor er
noch einige ihm wichtige Menschen sieht (seine Mutter, seine Tochter), der
Polizei stellt.
Da gibt es diese Kamerabewegung. Eigentlich gibt es sie ja
nicht, aber es gibt diesen kurzen Schwenk auf Menschen und Objekte, auf die der
Protagonist blickt. Auf Handlungen, die sich hinter Wänden und Mauern
vollziehen. Die Kamera lebt hier autonom, weil sie sich für Dinge zu
interessieren scheint, die eigentlich nur Randerscheinungen in dieser
Ansammlung von Randerscheinungen sind; aber sie ist gleichzeitig in einem
Gefängnis, denn Puiu nimmt einen ganz bewussten, meist unübersichtlichen
Standpunkt ein, der den Protagonisten immer in einer Umwelt verortet. Wie in seinem „Moartea domnului Lăzărescu“
betont Puiu das Milieu ohne es zu thematisieren. In neorealistischer Manier
verorten seine Filme eine Handlung an konkreten Örtlichkeiten, die Landschaften
schreiben sich fast ein in den Bewegungen und Geräuschen seiner Filme. Außerdem
spürt man immer zugleich die ganze Stadt, sei es wie bei „Lăzărescu“ unter
anderem durch einen handlungsrelevanten Unfall aus dem Off oder wie bei „Aurora“
alleine durch Geräusche, ferne Lichter und eine ganz merkwürdige Beliebigkeit
der Handlungsorte, auf der sich die Beobachtungen von Puiu vollziehen.
Realismus ist dieses Wort, das immer wieder missbraucht wird
in Diskussionen um das Neue Rumänische Kino. Alltäglichkeit trifft den Nagel
vielleicht weit mehr auf den Kopf. Alltäglichkeit auch im Sinne einer
Banalität. Jede Handlung muss bei Puiu erst mal vollzogen werden. Damit meine
ich das Klingeln an einer Tür (Ja oder Nein?), das Aufräumen von Büchern oder
eben der etwas plakativ-komische Moment, indem der Protagonist, der von Puiu
selbst verkörpert wird, versucht sich mit einem Gewehr zu erschießen
beziehungsweise den Selbstmord theoretisch ausprobiert, aber bemerkt, dass das
Gewehr zu lang ist, um den Abzug betätigen, als er es sich an die eigene Brust
hält. Hierin liegt auch ein gewisser Pragmatismus, der sich eben auch in Form
und Inhalt findet. Einfach nur zeigen, was passiert, von A nach B ohne zu viel
zu überspringen. Schnitte kommen bei Puiu erst, wenn er sie Essenz der Szene in
der Zeit gefunden hat. Montage ist wie bei Cristian Mungiu und seinem „După
dealuri“ der Feind; keine Beeinflussung der Realität, einzig eine Abbildung
ihrer Alltäglichkeit und Banalität. Umso erstaunlicher und irgendwie unpassend,
dass sich sowohl Puiu als auch Mungiu dann doch immer wieder Grausamkeiten
zuwenden. Sie setzen ihre Protagonisten mehr in ein politisches System als in
eine Natur wie beispielsweise Bresson das gemacht hat. Sie verorten diese zwar
in einem alltäglichen Kontext, machen damit aber auch ein politisches Statement.
Würde ihr Fokus auf den Rechtsschaffenden liegen wie Nuri Bilge Ceylan das in
seinem „Once Upon a Time in Anatolia“ meisterhaft vollzogen hat, wäre ihre
Alltäglichkeit weitaus glaubhafter. So hat man jedoch immer das Gefühl, dass in
den Filmen eine gewisse Resignation liegt: Seht her, es passieren schlimme
Dinge, aber das ist normal? In den Beobachtungen liegt natürlich der Wunsch
nach einer möglichst freien und nicht-beeinflussenden Ästhetik jenseits des
Regimes, indem die Regisseure dieser Generation aufgewachsen sind, aber
irgendwie liegt dort auch eine gewisse Nähe zur Resignation. Hier wird ein
Beobachten in den eigenen Mauern eingesperrt (insbesondere bei Puiu), so wie
die Kamera, die eben nicht um die Ecken schauen kann, nicht um die Ecke fahren
kann und schon gar nicht um die Ecke springen kann. Ich möchte das nicht als Schwachstelle der
Filme begriffen sehen, sondern eher als Schwäche in der Besprechung jener Filme
und auch ihrer Diskussion von Seiten der Regisseure. Wenn man einfach nur
zeigt, warum zeigt man dann doch derart extreme Formen der Existenz?
Einmal steht Puiu in „Aurora“ unter der Dusche und bemerkt
einen nassen Fleck an seiner Decke. Er starrt und starrt und rührt sich nicht.
Irgendwann klettert er auf seiner Badewanne herum und greift tief in ein
schwarzes Loch in der heruntergekommenen Wand seiner zu renovierenden Wohnung. Ein
anderes Mal muss er mit seinem Auto zurücksetzen als er einen LKW auf dem Parkplatz
nicht passieren kann. Angestrengt und ohne zu Blinzeln blickt er nach hinten
fährt rückwärts bevor es weitergeht. Er beschwert sich darüber, dass er seiner
Meinung nach zu rau gefilzt wird nachdem er sich bei der Polizei gestellt hat.
Immer wieder und bei jedem. Er versteckt sich hinter einem Auto um seine
ehemalige Familie zu beobachten. Depeche Mode gibt bald ein Konzert, wie ein
Plakat verkündet. Er möchte lieber doch keinen Nestea trinken. Er stellt seine
Spielzeugautos in seinem ehemaligen Kinderzimmer auf und dann schießt er halt
seinen Schwiegervater über den Haufen als dieser nach Hause kommt. Alles ist
immer nur eine Bewegung oder das Ausbleiben einer Bewegung. Die Handlungen
haben alle die gleiche Bedeutung. Darauf reduziert, erscheint das Motiv selbst,
das normalerweise eine riesige Rolle in solchen Filmen spielt, völlig
irrelevant. Warum muss man wissen weshalb, wenn man sieht wie? Ein bisschen
erinnern die Gänge und unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten in „Aurora“
auch an „Elephant“ von Gus van Sant. Doch
wo Van Sant gewissermaßen nach einem unauffindbaren Portrait einer Jugend sucht,
vergnügt sich Puiu schon fast in der Absurdität der Existenz.
Die große Kunst dieses nicht-lesbaren Films ist nämlich, dass
man ständig zum Lesen gezwungen wird. Das liegt zu vielen Teilen eben an diesem
latenten Humor, der sich insbesondere durch die Darstellung seines eigenen
Charakters zieht. Wie eine tragisch-komische Figur, die sich in einen
Antonioni-Film verirrt hat, vollziehen sich die Handlungen von Puiu in einer
seltsamen Passivität. Manchmal scheint er fast zu gut zu beobachten, um noch
glaubhaft zu sein. Beispielweise als er vor der Tür seiner Geliebten steht (er
steht oft vor Türen und überlegt, lauscht oder schaut) und ein junger Mann
durch den Gang kommt und ihm einen leichten Seitenblick zuwirft. Natürlich
passieren diese Dinge, aber der ganze Film wirkt wie eine Zusammenstellung
absurder Situationen und daher wird er seinem eigenen Anspruch der bloßen
Abbildung nicht immer gerecht. Eine Rekonstruktion der Realität, die dann doch
mehr Konstruktion ist als Wirklichkeit? Nun wirkt meine Besprechung deutlich
verhaltener als sie sein sollte, aber bei einem derart erdrückenden, in seiner
Konsequenz bis zur Spitze getriebenen Film, der weit jenseits jeglicher Normen
und Pseudo-Regeln schwebt, in dem die Auffassung eines Regisseurs von seinem Medium
und seines Lebens durch jede Pore dringt, werden natürlich Widerstände in einem
geregt. Ein einfaches: „Danke für so ein Kino, Cristi“ hätte es vielleicht auch
getan, aber dafür ist dieses schwarze Loch in der Wand dann doch zu tief.
Zumindest war das meine Beobachtung.
PS: Ich warte auf einen Film von Puiu, der 24 Stunden das
Leben eines Menschen zeigt, in dem nichts Großartiges passiert. Das klingt
vielleicht unattraktiv und nicht durchführbar, kommt der kommunizierten
Auffassung von Film (der ich völlig zustimme) allerdings sehr nahe.Ich würde ins Kino gehen und Puiu für eine Konsequenz ein Denkmal setzen, die manche gefeierte europäische Regisseure, wie Michael Haneke, irgendwo zwischen ihren zahlreichen Interviews schon lange nicht mehr in ihren Filmen haben.
Hier noch eine geradezu lächerlicher Trailer in seinem Versuch den Film zu verkaufen:
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