Samstag, 4. Mai 2013

Aurora von Cristi Puiu



Eine amoklaufende, sehr langsame Variation eines Charakters aus einem Camus-Roman geht in diesem Film von Cristi Puiu meistens zwei Schritte vorwärts und dann wieder einen zurück. Entscheidungen werden lange verzögert, dann aber mit jener Härte und Konsequenz vorgetragen mit der auch der Film selbst operiert. Beobachten statt Erzählen, Distanz statt Drama. Das sind die Prinzipien eines Kinos von Puiu, dessen „Aurora“ man deshalb auch nicht versuchen sollte zu lesen, sondern einzig beobachten kann. Man beobachtet also einen Mann, der sich auf ein Verbrechen (den Mord an dem Geliebten seiner Ex-Frau und deren Eltern) vorbereitet, dieses vollzieht und sich dann, bevor er noch einige ihm wichtige Menschen sieht (seine Mutter, seine Tochter), der Polizei stellt.
 

Da gibt es diese Kamerabewegung. Eigentlich gibt es sie ja nicht, aber es gibt diesen kurzen Schwenk auf Menschen und Objekte, auf die der Protagonist blickt. Auf Handlungen, die sich hinter Wänden und Mauern vollziehen. Die Kamera lebt hier autonom, weil sie sich für Dinge zu interessieren scheint, die eigentlich nur Randerscheinungen in dieser Ansammlung von Randerscheinungen sind; aber sie ist gleichzeitig in einem Gefängnis, denn Puiu nimmt einen ganz bewussten, meist unübersichtlichen Standpunkt ein, der den Protagonisten immer in einer Umwelt verortet.  Wie in seinem „Moartea domnului Lăzărescu“ betont Puiu das Milieu ohne es zu thematisieren. In neorealistischer Manier verorten seine Filme eine Handlung an konkreten Örtlichkeiten, die Landschaften schreiben sich fast ein in den Bewegungen und Geräuschen seiner Filme. Außerdem spürt man immer zugleich die ganze Stadt, sei es wie bei „Lăzărescu“ unter anderem durch einen handlungsrelevanten Unfall aus dem Off oder wie bei „Aurora“ alleine durch Geräusche, ferne Lichter und eine ganz merkwürdige Beliebigkeit der Handlungsorte, auf der sich die Beobachtungen von Puiu vollziehen.

Realismus ist dieses Wort, das immer wieder missbraucht wird in Diskussionen um das Neue Rumänische Kino. Alltäglichkeit trifft den Nagel vielleicht weit mehr auf den Kopf. Alltäglichkeit auch im Sinne einer Banalität. Jede Handlung muss bei Puiu erst mal vollzogen werden. Damit meine ich das Klingeln an einer Tür (Ja oder Nein?), das Aufräumen von Büchern oder eben der etwas plakativ-komische Moment, indem der Protagonist, der von Puiu selbst verkörpert wird, versucht sich mit einem Gewehr zu erschießen beziehungsweise den Selbstmord theoretisch ausprobiert, aber bemerkt, dass das Gewehr zu lang ist, um den Abzug betätigen, als er es sich an die eigene Brust hält. Hierin liegt auch ein gewisser Pragmatismus, der sich eben auch in Form und Inhalt findet. Einfach nur zeigen, was passiert, von A nach B ohne zu viel zu überspringen. Schnitte kommen bei Puiu erst, wenn er sie Essenz der Szene in der Zeit gefunden hat. Montage ist wie bei Cristian Mungiu und seinem „După dealuri“ der Feind; keine Beeinflussung der Realität, einzig eine Abbildung ihrer Alltäglichkeit und Banalität. Umso erstaunlicher und irgendwie unpassend, dass sich sowohl Puiu als auch Mungiu dann doch immer wieder Grausamkeiten zuwenden. Sie setzen ihre Protagonisten mehr in ein politisches System als in eine Natur wie beispielsweise Bresson das gemacht hat. Sie verorten diese zwar in einem alltäglichen Kontext, machen damit aber auch ein politisches Statement. Würde ihr Fokus auf den Rechtsschaffenden liegen wie Nuri Bilge Ceylan das in seinem „Once Upon a Time in Anatolia“ meisterhaft vollzogen hat, wäre ihre Alltäglichkeit weitaus glaubhafter. So hat man jedoch immer das Gefühl, dass in den Filmen eine gewisse Resignation liegt: Seht her, es passieren schlimme Dinge, aber das ist normal? In den Beobachtungen liegt natürlich der Wunsch nach einer möglichst freien und nicht-beeinflussenden Ästhetik jenseits des Regimes, indem die Regisseure dieser Generation aufgewachsen sind, aber irgendwie liegt dort auch eine gewisse Nähe zur Resignation. Hier wird ein Beobachten in den eigenen Mauern eingesperrt (insbesondere bei Puiu), so wie die Kamera, die eben nicht um die Ecken schauen kann, nicht um die Ecke fahren kann und schon gar nicht um die Ecke springen kann.  Ich möchte das nicht als Schwachstelle der Filme begriffen sehen, sondern eher als Schwäche in der Besprechung jener Filme und auch ihrer Diskussion von Seiten der Regisseure. Wenn man einfach nur zeigt, warum zeigt man dann doch derart extreme Formen der Existenz?


Einmal steht Puiu in „Aurora“ unter der Dusche und bemerkt einen nassen Fleck an seiner Decke. Er starrt und starrt und rührt sich nicht. Irgendwann klettert er auf seiner Badewanne herum und greift tief in ein schwarzes Loch in der heruntergekommenen Wand seiner zu renovierenden Wohnung. Ein anderes Mal muss er mit seinem Auto zurücksetzen als er einen LKW auf dem Parkplatz nicht passieren kann. Angestrengt und ohne zu Blinzeln blickt er nach hinten fährt rückwärts bevor es weitergeht. Er beschwert sich darüber, dass er seiner Meinung nach zu rau gefilzt wird nachdem er sich bei der Polizei gestellt hat. Immer wieder und bei jedem. Er versteckt sich hinter einem Auto um seine ehemalige Familie zu beobachten. Depeche Mode gibt bald ein Konzert, wie ein Plakat verkündet. Er möchte lieber doch keinen Nestea trinken. Er stellt seine Spielzeugautos in seinem ehemaligen Kinderzimmer auf und dann schießt er halt seinen Schwiegervater über den Haufen als dieser nach Hause kommt. Alles ist immer nur eine Bewegung oder das Ausbleiben einer Bewegung. Die Handlungen haben alle die gleiche Bedeutung. Darauf reduziert, erscheint das Motiv selbst, das normalerweise eine riesige Rolle in solchen Filmen spielt, völlig irrelevant. Warum muss man wissen weshalb, wenn man sieht wie? Ein bisschen erinnern die Gänge und unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten in „Aurora“ auch an „Elephant“ von Gus van Sant.  Doch wo Van Sant gewissermaßen nach einem unauffindbaren Portrait einer Jugend sucht, vergnügt sich Puiu schon fast in der Absurdität der Existenz. 


Die große Kunst dieses nicht-lesbaren Films ist nämlich, dass man ständig zum Lesen gezwungen wird. Das liegt zu vielen Teilen eben an diesem latenten Humor, der sich insbesondere durch die Darstellung seines eigenen Charakters zieht. Wie eine tragisch-komische Figur, die sich in einen Antonioni-Film verirrt hat, vollziehen sich die Handlungen von Puiu in einer seltsamen Passivität. Manchmal scheint er fast zu gut zu beobachten, um noch glaubhaft zu sein. Beispielweise als er vor der Tür seiner Geliebten steht (er steht oft vor Türen und überlegt, lauscht oder schaut) und ein junger Mann durch den Gang kommt und ihm einen leichten Seitenblick zuwirft. Natürlich passieren diese Dinge, aber der ganze Film wirkt wie eine Zusammenstellung absurder Situationen und daher wird er seinem eigenen Anspruch der bloßen Abbildung nicht immer gerecht. Eine Rekonstruktion der Realität, die dann doch mehr Konstruktion ist als Wirklichkeit? Nun wirkt meine Besprechung deutlich verhaltener als sie sein sollte, aber bei einem derart erdrückenden, in seiner Konsequenz bis zur Spitze getriebenen Film, der weit jenseits jeglicher Normen und Pseudo-Regeln schwebt, in dem die Auffassung eines Regisseurs von seinem Medium und seines Lebens durch jede Pore dringt, werden natürlich Widerstände in einem geregt. Ein einfaches: „Danke für so ein Kino, Cristi“ hätte es vielleicht auch getan, aber dafür ist dieses schwarze Loch in der Wand dann doch zu tief. Zumindest war das meine Beobachtung.


PS: Ich warte auf einen Film von Puiu, der 24 Stunden das Leben eines Menschen zeigt, in dem nichts Großartiges passiert. Das klingt vielleicht unattraktiv und nicht durchführbar, kommt der kommunizierten Auffassung von Film (der ich völlig zustimme) allerdings sehr nahe.Ich würde ins Kino gehen und Puiu für eine Konsequenz ein Denkmal setzen, die manche gefeierte europäische Regisseure, wie Michael Haneke, irgendwo zwischen ihren zahlreichen Interviews schon lange nicht mehr in ihren Filmen haben.

Hier noch eine geradezu lächerlicher Trailer in seinem Versuch den Film zu verkaufen:


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