Mittwoch, 1. Mai 2013

Ekel


Peter Kubelka vergleicht bekanntermaßen das Zubereiten eines Essens mit dem Filmemachen; sein Stichwort: Synthese. Man nimmt verschiedene Dinge, kombiniert sie auf unterschiedliche Art und Weise und erhält so am Ende ein Gesamtprodukt. (stark vereinfacht!) Kochen ist für Kubelka eine der ältesten Künste. Legendär sein Kochkurs „Film und Kochen als Kunstgattung“. Wohin führt uns der assoziative Strom weiter, dem wir hier folgen wollen, auf der Suche nach Essen im Kino…“Eat Drink Man Woman“ von Ang Lee. Ein dampfender Film voller bunter Zutaten, die einem, wie mir ein befreundeter Essens- und Filmfreund sagte, das Wasser schon während des Genusses des Films im Munde zusammenlaufen lassen würden. Film als Genuss oder wie steht es so schön auf der DVD-Hülle von Fatih Akins „Solino“: „Ein Film wie ein dampfender Teller Spaghetti“. Dann geht es auf zur alljährlichen Godfather-Party, zu der nicht zuletzt das Zubereiten von italienischen Spezialitäten gehört. Im Kino gibt es Menschen (nicht wenige), die glauben, dass Popcorn „dazugehören“.  Warum?




Wohin führt die Reise dann? „La Grande Bouffe“ von Marco Ferreri. Die italienische Schauspielspitze des Autorenfilms frisst sich zu Tode. Schön ist das nicht immer, aber unterhaltsam, skurril und existentialistisch. Ah Existentialistisch: „Da hat mich der Ekel gepackt, ich habe mich auf die Bank fallen lassen, ich wusste nicht einmal mehr, wo ich war; ich sah die Farben langsam um mich kreisen, ich hatte einen Brechreiz. Und das ist es: seitdem hat der Ekel mich nicht verlassen, er hält mich fest.“ Das hat Jean-Paul Sartre geschrieben in seinem Buch, das in der deutschen Übersetzung „Der Ekel“ genannt wurde. „Repulsion“ von Roman Polanski wurde in der deutschen Übersetzung „Ekel“ genannt. Essen spielt hier eine große Rolle. Polanski schreibt den psychologischen Horror in seine Objekte ein. Dazu zählt auch das Essen. Mancher hat in den überdimensionalen, verfaulten Formen der Nahrung im Film gar Ähnlichkeiten zu Geschlechtsteilen ausmachen wollen. Jedenfalls isst Carol gespielt von Catherine Deneuve nicht allzu gern. Sie reißt mal ein Stück Brot ab, ansonsten isst sie nicht, sondern sieht das Essen nur an. 


Und dadurch entsteht so etwas wie ein drückendes Gefühl. Wer kennt es nicht keinen Hunger zu haben und dabei beobachtet zu werden. Ein Gefühl des Ekels überkommt einen. Cristian Mungiu verstärkt den Effekt in seinem „4 luni, 3 săptămâni și 2 zile“ dadurch, dass alle anderen Menschen am Tisch einen umso größeren Appetit zu haben scheinen. Aber der Tisch ist hier mehr als nur ein Ort für das Essen. Er ist ein Platz des sozialen Abwägens, des Austestens von Manieren, der gegenseitigen Blicke. Zerstörte Familien sitzen oft gemeinsam am Tisch und würgen ihr Essen in sich hinein von „American Beauty“ über „Buffalo 66“, bis hin zu Ingmar Bergmann. Pärchen gehen oft Essen im Film. Sie lernen sich dort kennen. In „Magnolia“ trennen sie sich auch gleich wieder dort. Oder wenn Robert de Niro in Sergio Leones „Once Upon a Time in America“ ein ganzes Restaurant für seine Angebetete mietet, entsteht dort ein autonomer Raum der gemeinsamen Glückseligkeit: Das gemeinsame Essen als Weg ins Glück.


In „Oldboy“ von Park Chan-Wook frisst sich der Held von Restaurant zu Restaurant um seinen Peiniger zu finden. Irgendwann muss er sich dann auch übergeben. „Eine regelrechte Panik bemächtigte sich meiner.“ Wo ist da der Genuss, wenn Essen zur Qual wird? Oder ist das einfach nur human, weil es das Menschliche ausstellt? So wie Chaplin in „The Gold Rush“ seinen Schuh isst wie einen Teller Spaghetti. Er würgt ihn hinunter, aber er muss essen. Essen im Film wird immer interessant, wenn es zur Qual wird. Wenn man einen Apfelstrudel neben seiner größten Angst essen muss, wenn man eigentlich keinen Hunger hat oder wenn man etwas essen muss, was man eigentlich nicht essen kann. Bezeichnenderweise wird ausgerechnet „The Gold Rush“ auch zitiert in Polanskis „Repulsion“, einem Film, indem jemand viel essen könnte, aber es nicht tun kann. Das Gegenteil des sozialen Dramas. Wohin führt uns das Essen im Kino?


Terrence Hill, der in unfassbarer Geschwindigkeit Bohnen in sich löffelt? Carol in „Repulsion“ sieht ihr Essen nur an. Sie lässt es vergammeln, sie verliert den Bezug zu ihrem eigenen Körper und zum Essen. Wie würde sich Carol wohl bei Ang Lee verhalten? Essen kann für die Schauspieler, ganz unabhängig, ob ihre Rolle gerne isst oder ungerne isst, zur Qual werden. Wenn eine Szene 20mal wiederholt wird und der Schauspieler immer wieder essen muss und dabei immer wieder lächeln muss, dann ist das Film und Kochen als Kunstgattung. Wie der junge Jean-Pierre Léaud in „Les 400 Coups“ von Truffaut eine Flasche Milch in sich hinein kippt, lässt einen im Kinosessel mitleiden. 50 Eier wettet Paul Newman in „Cool Hand Luke“, 50 Eier kann er essen. Er wird die Wette gewinnen, mit zwischenzeitlichem Bauchstretching und Rülpsen und Trinken. Aber was ist daran gewonnen, wenn wir hier nur Filme aufzählen, in denen gegessen wird?


„Es gibt nie Anfänge. Ein Tag folgt dem anderen, ohne Sinn und Verstand, ein unaufhörliches, eintöniges Aneinanderreihen.“ In Repulsion gibt es irgendwann begleitend zu den Bildern des langsam vergammelnden Hasen das Geräusch von Insekten zu hören. Fliegen tummeln sich auf dem Teller, den Carol aus dem Kühlschrank genommen hat und dort nie wieder zurückgebracht hat. Das Essen beginnt ein eigenes Leben zu führen und wird tatsächlich lebendig. Body-Horror. Aber der Ekel, den Carol gegenüber dem Essen verspürt, kommt von innen. Bilder von einem Essen als Qual sind im Kino zumeist innere Bilder. Wenn jemand nicht isst oder besonders viel isst, dann erzählt uns das etwas über den Charakter. Regelrecht in Kommunikation treten die Charaktere dann mit ihrem Essen. Aber Essen ist auch alltäglich. Es ist ein Grundbedürfnis dessen filmisches Potenzial längst nicht erschöpft wird. Essen stört die Handlung, hält sie auf und gibt visuell nicht zu viel her. Das führt uns zu Andy Warhol und seinem „Eat“. Er zeigt einen befreundeten Künstler über knapp 40 Minuten beim Essen eines Pilzes. Bei ihm führt der Prozess des Kauens zu einer Entleerung des Bildes. Paradox?


Man sagt „Das Auge isst mit“. In der ersten und letzten Einstellung von „Repulsion“ spielt das Auge auch eine besondere Rolle, das Auge spielt im Kino immer eine besondere Rolle. Essen ist deshalb gleichzeitig ein so faszinierendes und schwieriges Objekt für das Medium Film, weil es sich trotz offensichtlicher struktureller, visueller, ja dramaturgischer Parallelen auf Sinne bezieht, die Filme nicht einfangen können. Sie versuchen den Affekt von Geschmack, Geruch und Konsistenz zu ersetzen, indem das Essen narrativ und visuell aufladen. Der Giftbecher dampft, damit wir seinen Geschmack nachempfinden können, die Pfanne brutzelt mehr als sonst, damit wir die Wärme nachempfinden können. Essen zu filmen ist oft die Kunst der Übertreibung. Filmischer Exzess, um etwas als besonders wenig, besonders viel oder besonders eklig darzustellen. In „Japón“ von Carlos Reygadas ist es sehr heiß. An einem Tag trinkt der Protagonist sehr schnell einen kühlen Tee, bevor ihm ein Stück Kuchen angeboten wird. Man sieht den Schweiß, die Sonne, die Gier, mit der der Mann den Tee trinkt und dann den Kuchen isst. Vielleicht kann man nicht wirklich schmecken im Film, aber man kann den Geschmack erahnen, sich vorstellen. Welche Kraft muss ein Medium haben um das entfalten zu können? Die Kraft der Synthese? Oder ist es die Fähigkeit im Zuseher eine imaginative Kraft auszulösen, einen Affekt der weit über das bloße Sehen hinausgeht. Eine Vorstellung, die alle Sinne anspricht. Oder zumindest eine Vorstellung, die die Vorstellung auslöst etwas zu fühlen, zu schmecken, zu riechen. Dabei sind Fantasien eines Fühlkinos, das sich Steven Spielberg für seinen „Minority Report“ von so manchem Science-Fiction Autoren geborgt hat völlig zwecklos. Ich zumindest habe schon gerochen im und geschmeckt im Kino. Und deshalb habe ich dort auch schon den Ekel verspürt.


„Der Ekel gönnt mir eine kurze Atempause. Aber ich weiß, dass er wiederkommen wird: das ist mein Normalzustand.“, hat dieser Sartre geschrieben und wenn man Carol dabei zusieht wie sie ihr Essen ansieht, dann ekelt man sich genauso vor ihr wie sie vor dem Essen. Man kann nicht wegschauen.








Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen