Donnerstag, 30. Mai 2013

Les Salauds von Claire Denis



In jedem düsteren Bild von „Les Salauds“ begibt sich Claire Denis auf die Suche nach einem Hauch von Schönheit. Die Geschichte könnte nicht grausamer sein und dennoch findet sie Momente der Anmut. Nach einem fatalen Unfall mit einem völlig zerstörten Auto entscheidet sich die Regisseurin dafür den Abtransport des Wracks zu zeigen. Der Laster fährt auf der Autobahn und ein loses Band am Wrack weht im Wind. Das Flattern ist zu hören; ein Moment der Poesie in Augenblicken der Grausamkeit.



Im versteckten Kern erzählt Denis von einem Mann, der seiner zerstörten Familie zur Hilfe eilt, als ein sexuell pervertierter Businessmann sie in den seelischen und finanziellen Bankrott treibt. Aber bei all diesen Neo-Noir Spielereien, den Rachefantasien und den Fragmenten einer Geschichte, scheint es im Kino von Claire Denis wie so häufig um etwas anderes zu gehen. Sie erforscht Körper und deren Abhängigkeit, die elektronischen Klänge drücken vielleicht am besten aus, wie man sich „Les Salauds“ nähern könnte, nämlich nicht auf der Suche nach Motiven und Melodien, sondern auf der Suche nach Rhythmen. Elektronische Beats im Kino, Claire Denis bringt avantgardistische Formen in ein narratives Kino und vermag daher zu bewegen. Ihre elliptische Erzählweise treibt den Zuschauer in einen Alptraum. In wunderschönes Licht getauft, torkelt eine junge Frau, nackt und mit High-Heels über die Straße. Sie wurde augenscheinlich vergewaltigt. Ein Mann stürzt sich aus dem Fenster. Die kräftigen Arme von Vincent London stützen sich auf die Bettkante. Jeder Schnitt in „Les Salauds“ verbirgt etwas. Es sind furchtbar harte Schnitte, die wie Schüsse auf die Poesie der Bilder einprasseln. Dennoch ist „Les Salauds“ ein ruhiger Film. Er lässt sich Zeit, studiert die Körper seiner Charaktere oder besser gesagt die Schatten der Körper, denn ein Großteil des Films spielt sich in der Dunkelheit ab.

Denis lässt häufig Dialoge aus. Stattdessen schneidet sie auf die nächste Einstellung. Sie spielt mit der Antizipation des Zuschauers und entwickelt dadurch eine genuin individuelle Filmsprache, die sich vielleicht Anleihen bei großen Meistern wie Robert Bresson nimmt, aber immer einen eigenen Touch behält. Wie in all ihren Filmen zeigt sich auch in „Les Salauds“ eine große Fähigkeit für kraftvolle Musikeinsätze. Bei einer Autofahrt mit ihrem Zuhälter schaltet die suizidale Tochter das Frontlicht aus. Sie fährt immer schneller durch die tiefe Nacht und man ahnt, was kommt. Statt durch Ton und Bild zu erzählen, wird jedoch die pulsierende Musik immer lauter und steigert sich eine schier unerträglich lange Zeit bis zum großen Knall, der dann gar nicht gezeigt wird. Film als Musik. Der Film läuft in einer kaum chronologischen Kreisbewegung ab. Im Gegensatz zu verdaubaren Fragmentfilmen wie „21 Grams“ von Alejandro González Iñárritu erschließen sich aus der Kreisbewegung nicht immer alle Fäden. Es fühlt sich eher an wie ein Gefängnis, aus dem es kein Entkommen gibt. Mit vielen Schärfenverlagerungen und Details von Händen und der Haut verstärkt Denis den Effekt des völligen Verlierens noch. Es ist ein schmerzvoller Film und in der finalen Sequenz schlägt er einem nochmal mit voller Wucht in die Magengrube, als in absoluter Rauheit die Konsequenz der sexuellen Perversion vorgeführt wird. Denis gehört zu einer Generation französischer Filmemacher, wie Bruno Dumont oder Gaspar Noé, die keine Angst haben zu zeigen statt zu erzählen. Die keine Angst haben Grausamkeit zu zeigen. Sie demonstriert eindrucksvoll, dass man über Stimmungen weitaus kräftiger erzählen kann, als über Handlungen. 


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