Momentan ist Jonas Mekas im Filmmuseum Wien zu Gast;
vergangenes Wochenende zeigte er seinen Film „Reminiscences of a Journey to
Lithuania“. Im Endeffekt ein Reisevideo, dass durch die eigenwillige
Bildauswahl zu einer 16 Millimeter-Bolex-Kamera-Poesie wird, spätestens, wenn
Mekas mit seiner eindringlichen Stimme immer wieder das Wort „home“ betont und
melancholische Musik unter die Eindrücke legt. Es ist ein Einfangen von Heimat,
das für das Wiener Publikum auf eine gewisse Art exotisch wirkt. Die Bilder aus
Litauen wirken fremd, fast wie aus einer Parallelwelt. Das liegt nicht nur an
der Tatsache, dass das verwendete Format heutzutage einen gewissen Verfremdungseffekt
mit sich bringt oder daran, dass der Film die Vergangenheit zeigt, sondern
einfach nur daran, dass die Umgebung Litauens, gerade in ihrer Privatheit, so fremd
wirkt. Der Film beginnt in New York und man kann dort weit besser den Emotionen
von Mekas folgen, man kennt diese Welt, diese Gesichter, diese Straßen und Orte,
wogegen Litauen wie ein fremder Planet erscheint, auf den wir und Mekas selbst
fast von oben herab blicken. Das melancholische Gefühl von einer Rückkehr in
die Heimat verliert sich zunehmend in sich selbst, und wird von einer
Reflektion der eigenen Erinnerung auf ein filmisches Zeitdokument reduziert;
Bei Mekas stellt sich die Frage nach der Relevanz des
Gezeigten nicht. Er zeigt, was man sehen kann. Man sieht, was man fühlen kann.
Aber so richtig erstaunt, so richtig auf die Ebene von Mekas gelangt das
Publikum im Kino erst, als der Film Bilder aus Wien zeigt. Kremsmünster und der
brennende Naschmarkt. Und plötzlich steigt der Film wieder auf von diesen
schlicht auf Zelluloid gebannten Bildern einer Zeit zu einer Erinnerung. Konnte
man bei den ländlichen Szenen in Litauen noch eine Distanz wahren, verliert man
sie nun. Plötzlich werden die Bilder auf der Leinwand einverleibt. Warum wird
man direkt angesprochen von den Bildern aus der eigenen Umgebung? „Home“ ist ein wichtiges Gefühl im Kino in
jeder Hinsicht.
"Reminiscences of a Journey to Lithuania" |
Dies kann natürlich nur eine Annäherung sein, da der Begriff
Heimat ja per se schon nicht wirklich definierbar ist. Aber es stellt sich doch
die Frage, inwiefern das Kino ein Heimatgefühl jenseits von „Wir sind Oscar!“
oder „Wir haben die Goldene Palme gewonnen!“ erzeugen kann. Inwiefern wird Kino
selbst zur Heimat?
Vor kurzem habe ich ein schlechtes Video aus meiner
Heimatstadt gesehen. Ein albernes Musikvideo ohne jegliche Qualität, sodass ich
es an dieser Stelle auch nicht nennen oder verlinken möchte. Aber als ich die
Bilder aus Augsburg sah, den Rathausplatz, die Fußgängerzone oder das
Einkaufszentrum entwickelte ich ein Gefühl, das sich wohl am ehesten mit
Heimweh verknüpfen lässt. Ich hatte ein melancholisches Gefühl, als ich sah,
was ich kenne, obwohl ich mich an einem ganz anderen Ort befinde. Wie muss es
New Yorkern gehen? Bei Mekas Film kamen wohl vielen Wienern, die in der Zeit
schon lebten, ähnliche Gedanken in den Sinn. Der Effekt hat sicher noch etwas
stärkeres, wenn Bilder aus der Vergangenheit zu sehen sind. Wir alle kennen die
langsamen Zooms auf Bilder aus der Vergangenheit in fiktionalen Filmen von
Polanski bis Ceylan. Viele besitzen Videoaufnahmen von ihrer Hochzeit, Taufe
oder Urlauben. Man liebt es Momente zu entdecken und je länger man die Filme
betrachtet, desto mehr verschwimmen Film und Erinnerung, bis man irgendwann
glaubt, dass man sich an den Film erinnern kann beziehungsweise die Erinnerung
gefilmt hat.
Uzak von Nuri Bilge Ceylan |
Wie in der Frühzeit des Kinos scheint es immer noch attraktiv
zu sein sich selbst oder seine Orte auf der Leinwand zu sehen. Und das obwohl
man sich doch sowieso jederzeit selbst filmen kann und das online stellen kann.
Kann man das Internet auch filmen und sich so daran erinnern?
Freunde, die Neuseeland bereisten, berichteten mir von den Drehorten
von „The Lord of the Rings“. Hier ist etwas ganz anderes passiert. Der Landschaft
wurde der Film einverleibt. Orte, die sicher nichts mit Mittelerde zu tun
haben, werden nun als Orte in Mittelerde wahrgenommen. Das Kino kann auf Orten
schreiben. Als ich auf den Gaudi-Dächern in Barcelona war, dachte ich auch an „Professione:reporter“
und sucht verzweifelt Maria Schneider zwischen den gigantischen Wasserspeichern
oder hoffte Vicky oder Cristina zu sehen. Besonders attraktiv scheinen Filme wie Iñarritus „Biutiful“,
die statt konkreter Orte ein Gefühl einfangen für den Ort. Ähnlich also wie
Mekas, der „Glimpses“ festhält und uns so Teil seines persönlichen
Heimatgefühls werden lässt. Denn wenn in „The International“ der Berliner
Hauptbahnhof bespielt wird, dann wird er tatsächlich nur bespielt und nicht
durchdrungen. Es entsteht nur das kurze: „Schau mal, der Berliner Hauptbahnhof“
Gefühl statt der Identifizierung mit der Lokalität, zu der das Kino in der Lage
ist. Das Fernsehen scheint zumindest in Deutschland die Aufgabe dieser
eingefangenen Heimat übernommen zu haben. Der „Tatort“ oder andere Serien
definieren sich sehr stark über ihr Lokalkolorit. Doch sie betten oft die
Örtlichkeiten in ihr Genre ein, statt ihr Genre in ihre Örtlichkeiten
einzubauen. Es gibt natürlich Ausnahmen. In seinem TV-Krimi von 2003 „Der
Mörder ist unter uns“ hat es Regisseur Markus Imboden beispielsweise geschafft den Ort der
Ermittlungen durch den Kriminalfall durchblicken zu lassen. Eine normal
amerikanische Spezialität, die sich in zahlreichen Thrillern findet. „Fargo“, „Seven“
oder „25th Hour“ wären ohne ihre Umgebung nicht denkbar. Es liegt auch an der
Körperlichkeit, der amerikanischen Schauspieler, die sich die Orte mehr oder
weniger antrainieren und so ein Gefühl von Heimat erzeugen, dass über das bloße
Aussagen von Dialekt hinausgeht. Man muss eine Heimat leben, um sie zu
vermitteln.
"Der Mörder ist unter uns" von Markus Imboden |
Deshalb funktioniert Mekas so gut, weil es tatsächlich seine Heimat
ist. Erstaunlich, dass dies gerade „displaced persons“ wie Mekas oder auch
Roman Polanski so gut gelingt. Dagegen hat Ingmar Bergman immer betont nur
Filme in seiner Heimat machen zu wollen, da er sich total mit Schweden
identifizierte. Schließlich kann Film noch eine ganz andere Heimat sein. Kino
kann überall gleich sein, die Filme können überall gleich sein. Zwar ist jedes
Erlebnis mit einem Film ein neues, aber sieht man an einem weitentfernten Ort
von seiner Heimat einen Film, kann er das gleiche in einem auslösen, wie sonst
irgendwo auf der Welt. Kino hebt die Grenzen auf und dann gehen die Lichter aus
und man verliert sich in einer anderen Welt und plötzlich wird diese andere
Welt zur Heimat. Die Musik von Georges Delerue erweckt dann Paris am Nordpol
zum Leben, die Stimme von Elio Germano erweckt ein italienisches Lebensgefühl
in einem Kanadier und man bekommt Lust
auf asiatisches Essen, wenn man „Eat Drink man Woman“ von Ang Lee ansieht.
Professione:reporter" von Michelangelo Antonioni |
Dabei sind es immer nur „Glimpses“ und trotzdem hat man das
Gefühl dort zu sein. Im Kino, alleine, unter vielen, daheim.
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