Wieder habe ich zusammen mit Luca Fuchs versucht die Grauzonen in der Betrachtung eines Films zu finden. Dieses Mal haben wir uns mit „Moonrise Kingdom“ von Wes Anderson beschäftigt, dem Eröffnungsfilm von Cannes 2012. Wie immer wollen wir dabei so vorgehen, dass ich zunächst ein paar einleitende Gedanken formuliere und kurz darlege, warum mir der Film nicht gefallen hat, bevor Luca Fuchs sich mit einer positiveren Besprechung an den Film annähert.
Wes
Anderson ist momentan einer der absoluten Könige des amerikanischen
Independent-Kinos. Mit seinen abstrusen Geschichten und absurden Charakteren
trifft er den Nerv vieler Filmliebhaber. Seine Kinderpuppenhaus-Szenarien und
Hipster-Farben machen einen Wes Anderson Film schon aus weiter Entfernung als
solcher erkennbar. Ich kann diese Beliebtheit zwar nachvollziehen, schließlich
freut man sich immer wieder auf die Performances in seinen Filmen, die sich so
weit außer Norm zu bewegen scheinen. Doch alleine die Tatsache, dass sein mit
Abstand vielschichtiges Werk bis heute ein Kurzfilm, nämlich „Hotel Chevalier“
war, zeigt, dass Wes Andersons Charme sich mit der Zeit in sich selbst zu
verlieren droht. Beinahe in allen seinen Filmen nutzen sich seine Formen und
visuellen Ideen so sehr ab, dass er sich immer wieder in grausame
Hollywood-3.Akt-Beschleunigungen rettet. Seine Ästhetik entspricht der von
Werbungen oder Musikvideos und für weit mehr muss die Aufmerksamkeit in seinen
Filmen auch nicht reichen.
In
„Moonrise Kingdom“ sehen viele jene Parabel auf Kinder und Erwachsene, die sich
durch sein ganzes Werk ziehen scheint, wie Michel Gondry scheint man hier einem
Kind, wenn auch einem sehr „kontrolligem“ Kind bei der Arbeit zuzusehen. Das
macht sicher Spaß, doch manchmal würde man sich doch wünschen, dass diese
Spielereien sich entweder im völligen Irrsinn verlieren, wie er es zum Teil in
„Rushmore“ konsequent umgesetzt hat, oder dann doch eine gewisse Reife hinter
ihrer Fassade vermuten lassen, statt immer die gleiche Melancholie, die derart
billig nach den Herzen greift, dass man fast vergisst, was man in den ersten
Minuten für eine kindliche Freude
entwickelt hat. „Moonrise Kingdom“ ist ein sehr kalkulierter Film und das ist
sein Fehler. Spätestens mit dem Sturm am Ende geht jede Anarchie verloren und
Anderson selbst verliert sein paradoxes Bündnis mit den Kindern. Sein großer
Vorteil ist sein Cast, der bereit ist ihn in jeder Sekunde aus dem Sturm zu
retten.
In
seiner technischen Perfektion verliert der Film viel Seele und vieles seiner
angestrebten Nähe zur Nouvelle Vague. Wes Anderson scheint seinen Ausflug in
den Animationsfilm („ Fantastic Mr.Fox“) noch immer nicht ganz verarbeitet zu
haben, schließlich wirkt „Moonrise Kingdom“ fast wie ein Animationsfilm, die
Charaktere erscheinen in ihrer Überzeichnung nicht mehr real, sondern eher wie
Versuchsprototypen in der Welt von Anderson. Das kann man mögen, aber wenn man
sich an die Echtheit in den Blicken von Gene Hackman in „The Royal Tenenbaums“
erinnert, weiß man, dass Anderson durchaus in der Lage ist seinen Humor und
seine symmetrische Zwangsneurose mit einem realistischen Anspruch in Verbindung
zu bringen. In diesem realistischen Anspruch liegt glaube ich eine Grauzone bei
„Moonrise Kingdom“ und bei Wes Anderson allgemein. Wer bereit ist die Parabeln
des Regisseurs mitzugehen und sich in der Absurdität selbst zu erkennen vermag,
der wird sein Glück mit den Filmen finden. Wer vom Kino mehr erwartet als
oberflächliche Formen, der wird seine Filme schnell vergessen.
Die Besprechung von Luca Fuchs
Am
Anfang von ''Moonrise Kingdom'' stehen die Erläuterungen eines kleinen Jungen
zu einem Musikstück. Dieser beschreibt das musikalische Geschehen derart
detailgetreu, dass sich dem Zuschauer die Frage aufdrängt: Woher nimmt dieses kleine
Genie sein Wissen? Und nimmt es mit seinem Handeln nicht eigentlich einen Platz
ein, der schon längst für die
Erwachsenen mitsamt ihrer Reife und Bildung reserviert ist? Die Antwort, die
uns Wes Anderson in seinem farbenfrohen Lehrstück über Kindheit, Eigenheit und
die kalte Welt der Großen da draußen gibt, lautet: Nein.
''Moonrise
Kingdom'' erzählt die Geschichte zweier Außenseiter, die den Zwängen der
Konformität (seien es die hänselnden Kinder im Pfadfinderlager oder die Obhut
der unfähigen Eltern ) bewaffnet mit einer Landkarte, einem Fernrohr und
anderen Utensilien zu entfliehen versuchen. Die Kinder in Moonrise Kingdom
verblüffen uns wo sie nur können. Sie sind die Handelnden eines Miniatur-Universums in dem kleine
Menschen große Gefühle zur Schau stellen. Permanent zeigt sich hier ein
überspitzender Kontrast: es werden Reden geschwungen in pathetischer Hollywood-Manier,
von kleinen Pfadfindern; es werden bewaffnete Konflikte ausgetragen, mit einer
Linkshänderschere: Willkommen in der Playmobilwelt von Wes Anderson.
Schon
der schrullige Anblick der Erwachsenen präsentiert uns die Absurdität ihrer
Existenzen.: Da wäre Bruce Willis, der in seinem eng geknöpften Polizeihemd einem
traurigen Nussknacker ähnelt, Edward Norton der als Zinnsoldat super in jedes
Kinderzimmerregal passen würde und Bill Murray, der aussieht, als wolle er von
einer Pyjamaparty abgeholt werden. Dennoch sind eben diese Menschen Vertreter
der Vernunft und verfügen über die Rechte, mit denen sie den Kindern ihre
Rechte entziehen. Sie schlafen in getrennten Betten, vermeiden den Austausch
untereinander so gut es geht und scheinen desinteressiert am Leben in ihren
kleinen, ökologischen Nischen aufzugehen. Diesen Kontrast zwischen den kleinen
Großen und den großen Kleinen
durchbricht Anderson zunächst nicht: das Jugendamt agiert blind für die
Umstände der Kinder, die Eltern beantworten die Fluchtversuche ihrer Kinder mit übermäßigem Ärger und Hausarrest.
Dass sich die kindliche Revolte jedoch nicht mehr eindämmen lässt, zeigt uns
die zweite Flucht.
Mit
ihrem zweiten Ausbruch zeigen uns die beiden Protagonisten des Films, dass
ihrem Wunsch nach temporärer Freiheit ein grundsätzlicher Wunsch nach
Veränderung anhaftet. Sie sind nicht länger dazu bereit den aus streitenden Eltern,
mobbenden Mitpfadfindern und mangelnder Zuneigung bestehenden Status Quo mitzutragen.
Hier bietet Anderson uns einen Lösungsansatz für eben diesen Status Quo: Die erwachsenen Charaktere spitzen ihre
Ohren für die Kinder und lernen. Sie lernen, wie sie mit ihren Nachkommen
umzugehen haben und lernen letztlich auch, wie sie ihre eigenen Lebensentwürfe
wieder lebenswert machen können. Dass am
Ende des Films dennoch die Konterrevolution (der Hausarrest) steht, verhält
sich keineswegs widersprüchlich dazu. Die Revolte war ein Impuls. Ein Impuls
der sich in der Erziehung bereits bemerkbar macht und einen Wandel herbeiführen
kann. Dass der Hausarrest nie siegen wird, beweist das Ende.
Die
Landschaft, in die Wes Anderson seine beiden Rebellen versetzt gleicht der
Visualisierung des Titels: eine idyllische Insel, die in ihrer Unberührtheit den Kindern ein Gefühl
vermittelt, welches wohl auch den amerikanischen Gründungsväter gegeben war.
Das Bild der Landschaft wird durch Andersons fetischisierten Aufnahmen
hervorragend in Szene gesetzt: wie ein Kind, das die Rillen zwischen den
Pflastersteinen des Bodens nicht berühren darf, achtet er auf eine fast schon
neurotisch anmutende Symmetrie der Bilder. Hier wird der Regisseur selbst zum
Spielkind und Form und Inhalt verschmelzen.
Dies wird untermalt durch einen Soundtrack der, wie eigentlich alles in
''Moonrise Kingdom'' die Essenz des Films in eben seinen spezifischen
Aggregatszustand umwandelt. Alexandre Desplat bleibt mit seinem Score stets
minimalistisch und doch ausdrucksstark. Er verhilft uns dazu, Anderson in
seinem Miniaturspiel von Freiheit, Krieg und einem aller Kämpfe würdigen Zustand
von Frieden glauben zu können.
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