Donnerstag, 28. März 2013

Paradies: Spring Breakers





Momentan sind zwei Darstellungen von Teenagerinnen und ihren Befindlichkeiten im Kino zu sehen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Einmal ist Ulrich Seidls letzter Teil seiner Paradies-Trilogie im Kino zu sehen, „Paradies: Hoffnung“. Darin geht es um die 13jährige Melanie, die in ein Diät-Camp geschickt wird und dort alles daran setzt ihre Unschuld mit dem örtlichen Doktor zu verlieren. Dagegen präsentiert Harmony Korine in „Spring Breakers“ vier amerikanische Freundinnen, die in den Ferien nach Spring Break fahren, um dort in einem Exzess aus Party und Gewalt zu landen. Der Blick auf Teenager ist kein ungewöhnlicher, allerdings wird es ein sehr individueller, wenn er von Filmemachern wie Ulrich Seidl und Harmony Korine vollzogen wird. Eigentlich ist es nicht möglich beide Filme in eine Besprechung zu packen, aber da beide gewissermaßen ein jugendliches Doppelleben zeigen auf einer vergebenen Suche nach sich selbst, kann man zumindest den Versuch wagen.


Das Doppelleben der Jugendlichen in „Paradies: Hoffnung“ findet sich in der Diskrepanz zwischen dem Leben, das sie laut Autoritäten wie Eltern und Übungsleitern zu führen haben, und jenem, das sie hinter verschlossenen Türen oder beim Ausbüchsen aus dem Diät-Camp tatsächlich leben wollen. Dabei fällt ein hoher Grad an Menschlichkeit auf, der für Seidl-Verhältnisse schon fast erschreckend anmutet. Melanie fehlen die perversen, (unabsichtlich) menschenverachtenden Neigungen, die Seidl ansonsten fast jedem seiner Protagonisten mitgibt und die es auch in den anderen beiden Paradies-Teilen zu sehen gab. Ganz im Gegenteil verzweifelt man an ihrer Ungeschicklichkeit in ihren Annäherungsversuchen an den viel älteren Arzt, der allerdings sehr wohl jene seidlschen Neigungen aufweist, zum Beispiel als die bewusstlose Melanie auf den Waldboden legt und sie von oben bis unten beschnuppert. Die Jugendlichen bei Seidl sind normal. Sie reden über Sex und ihre Eltern, sie trinken und haben keine Lust auf Sport. Fast schon rund wirkt das Geschehen. „Hoffnung“ scheint am meisten darunter zu leiden, dass die drei Filme eigentlich als einer geplant waren. Die Geschichte eines Mädchen, dass in ihrem Diät-Camp ihre Jungfräulichkeit verlieren will, übersteigt in keiner Minute das, was man erwartet, wenn man die Tagline in Verbindung mit dem Namen Ulrich Seidl hört. In typisch frontalen Totalen zeigt er die täglichen Schindereien für die übergewichtigen Kinder. Der Stoff mutet lange nicht so brisant an wie Sextourismus oder Glaubenskrieg in den eigenen vier Wänden. Schließlich verzichtet Seidl auch zu großen Teilen auf die Ausstellung der Körperlichkeit seiner Protagonisten, ja fast ist da ein Respekt zu spüren, wenn er aus sicherer Entfernung Jugendliche zeigt, die versuchen ihre Körper zu ignorieren. Natürlich ist dieser Respekt auch angemessen, aber es ist nicht der Respekt, den man von Ulrich Seidl kennt. 


Das krankhaft-realistische Element seines Films dringt dann durch seine Nebenfiguren. In einer unfassbar gut beobachteten Szene sitzen zwei junge Männer hinter einer Scheibe eines heruntergekommenen Tanzlokals und beobachten Melanie und eine Freundin beim tanzen. Die beiden unterhalten sich über die Frauen, kündigen an, was sie mit ihnen machen wollen, trinken, spielen ihre Nervosität mit Coolness herunter und man fragt sich tatsächlich, ob in dieser Szene weit mehr steckt als nur die bloße Handlung. Die Präzision, die Seidl ausgerechnet mit Charakteren erreicht, die hinter einer Scheibe auf die Protagonistin blicken, steht sinnbildlich für seinen Stil. Es ist der kalte-satirische Blick eines Mannes, der eine Trilogie dreht, in der er die Schwächen und Krankheiten einer Gesellschaft thematisiert und damit immer auch ein Gefühl von Perversion vermittelt. Unweigerlich muss man lachen in dieser doch so alltäglichen und gleichzeitig widerwärtigen Szene. Man lacht, man ekelt sich, man kennt die Situationen. Diese drei Stimmungen zugleich auszulösen, ist die große Kunst von Seidl. Michael Thomas als Sporttrainer und Joseph Lorenz als Diätarzt sind die klassischen Charakter des Kinos von Ulrich Seidl, sie spielen mit Erwartungen und ähnlich dem hinlänglich thematisierten Warten auf die Gewalt bei Quentin Tarantino oder Takeshi Kitano, wartet man bei ihnen auf eine krankhafte Handlung. Ab und an fragt man sich, ob jeder Mensch unter dem Auge von Seidl solche Neigungen erfährt, ob es immer so merkwürdig anmutet, wenn ein Mann einen Schluck Wein trinkt, wie bei Joseph Lorenz. Aber Ulrich Seidl blickt auf diese Welt von außen. Er thematisiert nicht die moderne Jugend, sondern ihre Rolle in der Gesellschaft; bei ihm laufen die Teenager durch einen Tunnel, sollen nicht nach links und rechts blicken, sie sind zum echten Leben verdammt, aus dem sie nicht fliehen können. Jeder ihrer Fluchtversuche wird unterbrochen. Sei es durch Autoritäten oder die eigenen Körperlichkeit. Ihre Welt fühlt sich seltsam normal an. 


Dagegen versucht Harmony Korine die Welt seiner Teenagerinnen zu durchdringen, ja förmlich einen Film zu schaffen, der in Stil und Handlung völlig subjektiv in den Köpfen einer Generation stattzufinden scheint, die sich in Videospielen und Aufgeklärtheit ertränkt. Wenn seine Protagonistinnen nach und nach Spring Break verlassen, legen sie ihre Hand auf das Fenster, als ob sie die Außenwelt gar nicht mehr spüren könnten. Wie ein dauerhaftes Spiel, eine dauerhafte Nicht-Präsenz in den Avataren von Facebook und dem Internet. Alles ist möglich, weil es keine Relationen mehr gibt. Die Dialoge überlappen sich, kehren in sich immer wiederholenden Strukturen zurück, es ist ein „Skirting on the surface“, in welchem die Jugend bei Korine ihr Glück sucht und zum Teil auch findet. Die wunderschöne HipHop-Video-Ästhetik von Noé-Kameramann Benoît Debie (Autos und nackte Bitches im Sonnenuntergang am Meer) wirkt in ihrer puren Schönheit genauso surreal, wie die Narration, die sich unterstützt von einem melancholisch-bereuenden Score ähnlich einem fiebrigen Traum stufenweise vorwärts bewegt. Immer ein Schritt zurück und zwei nach vorne, so dass alles wie ein einziger Flashback wirkt. Niemals kann man die viele Nacktheit und Gewalt wirklich greifen, alles wirkt wie hinter einer Glaswand. Abgestorben und doch so schön. In ermüdenden, immer wieder auftauchenden Sequenzen heißt es „Spring Breaks, Spring Breaks, Spring Breaks Forever.“, und man kann sich nur anwidern oder identifizieren. 

Korine wagt hier einen äußerst subjektiven Blick, der, wenn man der Karriere seines Kameramanns folgen möchte, am ehesten noch mit Gaspar Noés „Enter the Void“ zu vergleichen ist, auch wenn Korine mit gänzlich anderen Mitteln arbeitet. Für ihn ist der Stil die Narration, denn die Handlung selbst ist nur ein Spiel; wie bei Seidl findet sich der Gipfel der normalen Krankheit, dann in einem Nebencharakter: „Alien“, gespielt von einem entstellten und völlig irren James Franco, der Britney Spears am Klavier zelebriert und mit Waffen auf seinem mit Geldscheinen überfluteten Bett tanzt und immerzu sagt: „Look at all the shit I have.“. „Spring Breakers“ ist zugleich eine Karikatur und ernstgemeintes Portrait einer Generation, die den Bezug zur Realität verloren hat. Das Doppelleben wird hier nicht geführt, es besteht einfach. Wenn die Folgen der Gewalt sichtbar gemacht werden, dann ist man schon darauf vorbereitet durch kurze Bilder, die einige Minuten vorher auftauchen, wie zum Beispiel der blutige Finger von „Alien“ am Klavier. Dadurch wirkt nichts real in dieser Welt. Wenn die Mädchen ein Restaurant ausrauben, dann blickt man auf sie durch ein Fenster des Fluchtwagens. Die Gewalt wirkt seltsam taub, genauso wie in den sexuellen Traumfantasien des Films kaum Erotik steckt. Man hat das Gefühl, dass Harmony Korine diesen Film mit einem Videospielcontroller gedreht hat. Er bringt damit aber Film zurück zu einer „Alles ist möglich“-Philosophie und dreht vielleicht den besten Film aus Sicht der Party-Generation-Playstation aller Zeiten. Wie in einem Videospiel gibt es keine Konsequenzen. Wie ein Videospiel erschließt sich der Sinn nur für Eingeweihte.


Auffällig ist, dass beide Regisseure auf den so unfilmischen, toten Blick von Teenagern auf ihre Smartphones verzichten. Damit sind beide Filme wohl kein Portrait der zeitgenössischen Jugend, sondern kommen mit 5 Jahren Verspätung. Zeigt sich bei Ulrich Seidl das klassische Handwerk eines Autorenfilmers, der jedem Stoff seinen Blick auf die Welt unterordnet, so wagt Korine sich in seiner Welt zu verlieren. Dennoch spürt man beiden Filmen in ähnlicher Weise Sarkasmus an. Bei Seidl äußert dieser sich paradoxerweise in Hoffnungslosigkeit, bei Korine in Glorifizierung. Steht am Ende von Seidls Film ein großes „Ende“, so ist es bei Korine „Game Over“.

Paradies: Hoffnung

Spring Breakers 
 

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