Luca Fuchs wird in der
kommenden Zeit einige Filme betrachten und besprechen mit denen ich so meine
Probleme hatte. Der Grund dafür ist, dass wir daran interessiert sind die
Grauzonen in den Filmen zu lokalisieren: Wie subjektiv ist Filmeschauen? Gibt
es objektive Richtlinien anhand derer man Filme bewerten kann?
Sicherlich gibt es
verschiedene Filme, auf die sich eine größere Masse verständigen kann. Damit
meine ich nicht zwangsläufig das Hollywood-Blockbuster-Mainstream-Kino, sondern
es gibt auch sowas wie einen „Film Lover’s Mainstream“. Filme, die einen
gewissen Anspruch vertreten und viele Filmfreunde ansprechen. Dazu gehören
Streifen wie Fincher’s „Fight Club“, Nolan’s „Memento“, „La Haine“ von
Kassovitz oder die Gesamtwerke eines Quentin Tarantino oder Darren Aronofsky.
Filme, die sich in den Grenzgebieten zwischen Unterhaltung, Art-House und Kult
bewegen. Oft scheint bei ihnen ein hoher Identifikationsgrad zwischen Zuschauer
und Filmemacher zu entstehen. Es gibt flammende Verteidiger dieser Regisseure
und Filme, aber auch überzeugte Gegner. Doch in bestimmten Kreisen kann man
sich sehr sicher sein, dass jeder die Filme kennt. Oft scheint es, als würden
Mainstream-Filmemacher zu Autoren stilisiert werden, die sie bei genauerer Betrachtung
gar nicht sind. Oder sind es sehr wohl Autoren, die eine Sprache gefunden haben
im Einklang mit einem bestimmten Publikum? Schließlich muss nicht jeder „Autor“
unzugänglich sein. Also warum Mainstream?
Die Vermutung liegt nahe,
dass der Geschmackskonsens nichts mit den narrativen Kniffen des klassischen
Erzählkinos zu tun hat, sondern im „Film Lover’s Mainstream“ mehr mit
Identifikation, einer bestimmten Form von Bildersprache und einem
dramaturgischen Spagat zwischen Anspruch und Kurzweile zu tun hat. Interessanterweise
liegt in diesen Filmen heutzutage das größte Diskussionspotenzial. Wenn man die
Filmkultur als fast ausgestorben betrachtet, blüht sie mit Filmen wie „Django
Unchained“ wieder auf. Plötzlich haben viele Kinozuseher Lust über diese Filme
zu sprechen, sie zu zitieren, Videos und Bilder zu verlinken. Die großen
Actionblockbuster, Til Schweiger Familienkomödien oder Jennifer-Aniston-Schmonzetten
werden nicht diskutiert, sondern nur ironisch belächelt, nachdem (und das ist
alles, was für diese Filme zählt) man im Kino war.
Wir wollen uns kein
vorschnelles Urteil erlauben sondern zunächst einige Besprechungen von Luca
Fuchs abwarten, bis wir tiefer in das Thema einsteigen. Beginnen wird er mit
„Salinui chueok“(„Memories of Murder“) von Bong Joon-Ho. Ich werde meine eigene
Meinung, in einem kurzem Statement, zusammenfassend vorausstellen und dann soll
die Besprechung von Luca Fuchs kommentarlos folgen. Vielleicht mag man sich
fragen, warum hier nicht einfach zwei Kritiken gegenübergestellt werden. Das
liegt daran, dass es mehr um die Lücke gehen soll, die zwischen den Meinungen
aufklafft und an der so viele Fragen hängen. Deshalb genügt fürs erste ein
gegenteiliges Statement.
Die Grauzone
„Memories of Murder“ ist ein
typischer, am amerikanischen Kino orientierter Kriminalfilm aus Südkorea,
dessen schöne Bilderlandschaften und spannender, origineller Handlungsverlauf,
an einer psychologischen Überbetonung und Konstruktion kranken. Der Film ist
sicherlich nicht schlecht, insbesondere findet er einen sehr eigenen Ton,
Alltäglichkeit und einen ungewöhnlichen Humor in all dieser Ödnis, aber im
Endeffekt scheint mir das ein bloßer Effekt zu sein, der sich weniger mit dem
Durchdringen dieser Geschichte/wahren Begebenheit aufhält, als mit dem Schnüren
eines Paketes für den Zuschauer. Gerade mit seiner dualistischen Zeichnung der
Polizisten orientiert er sich schon fast schmerzhaft am amerikanischen Kino der
90er Jahre. Dramaturgische Schritte, die vielleicht ungewöhnlich erscheinen
mögen sind nicht konsequent genug vorgetragen, um dieser Amerikanisierung
wirklich etwas Neues jenseits von „Fargo“ und „Seven“ beizubringen.
Die Besprechung von Luca
Fuchs
,,Memories of Murder'' von
Bong Joon-Ho, aus dem Jahr 2003, beginnt mit recht ruhig gehaltenen
Naturbildern, in denen sich umso unruhigere Menschen tummeln. Tatsächlich handelt es sich bei der
dargestellten Szenerie um einen Tatort. Es wird die Leiche einer Frau geborgen, welche das Opfer
einer Vergewaltigung mit anschließender Tötung wurde.
Schon am Umgang mit den
ansässigen Kindern wird in Kurzfassung das Charakterbild der Polizisten
gezeichnet, welches sich im Laufe der ersten Hälfte des Films manifestiert.
Hierbei gilt es zu unterscheiden zwischen den einheimischen, ländlichen
Polizeibeamten und dem ,,Großstadtcop'' aus Seoul. Dieser dient zunächst als Abbild städtischer, moderner Vernunft.
Genau diese emotionskarg wirkende Vernunft stößt den neuen Kollegen von Anfang
an herb auf. Sie stellt den Kontrast zur einheimischen Verhörmethoden dar,
deren integraler Bestandteil unter Folter erpresste Geständnisse sind. Der neue
Mann im Bunde dagegen beteiligt sich nicht an derartigen Aktionen, verhindert
sie jedoch auch nicht. Er geht seiner eigenen Fährte nach und beäugt die
rabiaten Kellersitzungen der Kollegen aus der Distanz.
Das Erzähltempo des Films ist
zu diesem Zeitpunkt ein eher gemäßigtes. Indizien werten ausgewertet, Leichen
werden geborgen und hin und wieder schaukelt sich der Konflikt unter den
Kollegen hoch. Die erzählerische Gemächlichkeit bleibt jedoch keineswegs
bestehen, vielmehr wird sie immer wieder unterbrochen von Szenen, denen die
Kamera Authentizität verleiht, wie Trommelschläge, die den Zuschauer aus seiner
Bequemlichkeit reißen. Es wird uns anhand dieser Szenen vor Augen geführt, was
sich auf den tagsüber so friedlich wirkenden Kornfeldern wirklich abspielt.
Weiß der Zuschauer erst einmal um die Existenz dieser rasanten Einschnitte in
das klassische ,,Spurengelese'' eines Kriminalfilms, beginnt er an der ruhigen
Grundstimmung des idyllisch porträtierten Dorfs zu zweifeln. Es verdichtet sich
eine Atmosphäre, die wie der ländliche Nebel über der Provinz liegt.
Doch nicht
nur Spannungsbogen und Atmosphäre weisen bei fortschreitender Laufzeit des
Films Wendungen und Einschnitte auf. Zunehmend werden die Protagonisten durch
ihre andauernden, kriminalistischen Misserfolge, sowie ihrer Ohnmacht des Falls
gegenüber in neuen Konturen gezeichnet. Und genau hier liegt der Kern von
,,Memories of Murder''. Es geht nicht hauptsächlich um die spannende
Darstellung wahrer Begebenheiten. Vielmehr ist dieser Film ein Portrait über
Verrohung durch Misserfolg, Einöde und die grausamen Umstände in denen Menschen
leben. Nicht umsonst ist der uneinfühlsame Prügelknabe der örtlichen Behörden,
wie in einem Nebensatz abgehandelt, ein Kind ohne Eltern. Doch warum die
Behandlung eines so zentralen Themas der ,,Menschformung'' in einem beiläufigen
Satz? Wie vieles teilt Bong Joon-Ho auch solche Schlüsselbotschaften nur subtil
mit. Ob es der historische Verweis auf die Militärdiktatur Koreas per im
Hintergrund laufender Fernsehsendungen ist, oder die Folter im Keller durch
die Darstellung eines mit einem Handtuch versehenen Stiefels: ,,Memories of
Murder'' lebt durch das Verborgene.
Der Wandel der Figuren schleicht wie der
Mörder durch das Gestrüpp des Waldes und trifft uns am Ende mit aller Härte:
Aus dem rationalen ,,Großstadtcop'' ist ein emotionales Wrack geworden, welches
die Grenzen seines Handelns nur noch mit Gewalt zu bewältigen weiß. Dieser
Umgang mit Problemen ist ebenso auf die politischen Hintergrunde der
dargestellten Zeit zu beziehen: Das koreanische Regime, welches sich nur noch
durch Gewalt stabilisieren lässt, ist dem Untergang geweiht und in seinen Bestrebungen ähnlich erfolglos wie die
Folterversuche der Ermittler. Was entsteht ist südkoreanisches Kino fern jedes
Genrestempels. Intelligent und überraschend.
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