Man drückt einfach auf Pause. DVD, Youtube, VLC, Quicktime…überall.
Einmal holt man sich etwas zu Trinken, dann schläft man eine Runde bevor es
weitergeht. Man kocht, telefoniert und starrt aus dem Fenster. Man fühlt eine
Macht über den Film. Ist das immer schlecht? Roland Barthes hat von zwei
Körpern gesprochen, die sich im Kino befinden. Dem narzisstischen Körper und
dem perversen Körper.
Roland Barthes |
Ersterem ist es möglich sich völlig mit dem Geschehen auf der
Leinwand zu identifizieren, sich mehr oder weniger zu verlassen. Vor kurzem
Lindsay Andersons „This Sporting Life“ im Filmmuseum Österreich gesehen und
mich völlig verloren. Im Kino gewesen. Geweint. Die Gesichtsregungen von
Richard Harris, die eigenwillige Bildsprache, die Körperlichkeit und Poesie,
die Musik. All das hat dazu beigetragen, dass ich mich vergessen habe. Aber
natürlich auch die Dunkelheit des Saals, die schiere Präsenz der Bilder, die im
Filmmuseum besonders wertgeschätzt wird (die Ansage vor jeder Vorstellung:„Ich
bitte sie Ihre Mobiltelefone ganz auszuschalten. Nicht nur lautlos, sondern
ganz ausschalten. Das leuchtende Display kann auch stören.“) Filme schauen der
Filme wegen.
Dagegen ist sich der perverse Körper immer seiner Anwesenheit
im Kino, seiner eigenen Körperlichkeit bewusst. Das muss nicht schlecht sein.
Brecht oder Kluge fördern dieses Bewusstsein sogar. Gesetzte Langeweile, um den
Zuschauer zu aktivieren. Das Gegenteil des Identifikationskinos Hollywoods, ein
Überwältigungskino, dass es einem ermöglicht zu verschwinden. Doch der perverse
Körper existiert immer. Deswegen wird es auch als so hohes Gut gesehen, wenn
man nach dem Film feststellt: „Die Zeit verging wie im Flug.“; es ist eher die
Ausnahme denn die Regel, dass ein Film das mit uns machen kann. Es scheint eine
gewisse Länge zu geben für die unser Körper sich verlieren kann. Dann spüren
wir ihn. Spüren Hunger, spüren Müdigkeit. Trotzdem gibt es Epen wie Peter
Jacksons „Lord of the Rings“, bei denen viele Menschen keine Langweile
verspüren. Aber ist es schlimm Langweile zu verspüren und den Film zu
unterbrechen?
This Sporting Life |
Überwältigungskino |
Zuhause drückt man auf den Pausenknopf. Man rennt durch den
Raum, um seine Füße zu erwecken, man kocht sich schnell etwas. Und weiter geht
es. Man folgt der Dauer des Films vielleicht sogar effektiv mit mehr
Aufmerksamkeit? Es ist jedenfalls eine distanzierte Aufmerksamkeit, eine
Konzentration, die nie völlig aufzugehen scheint, weil sie ständig die Tür
offenlässt zu gehen. Nur durch diese Distanz ermöglicht sie uns auch die Filme
nüchterner zu betrachten, kritischer damit umzugehen. Die Tricks der
Filmemacher offenbaren sich im digitalen Zeitalter einfacher, die Werte haben
sich auch dementsprechend verschoben: War das Blockbusterkino der 90er Jahre „Terminator
2“, „Batman Forever“ oder „Jurassic Park“ noch pures Entertainment, so spielen
heute immer auch kritische Töne in die Blockbuster mit rein, von Öko-Thrillern
ist dann die Rede oder politischen Allegorien. Filme, die auch auf dem Laptop
funktionieren. Einzig technische Spielereien, scheint es, erlauben noch jene
Überwältigungsstrategien von James Camerons „Avatar“ (oder ist das auch eine
Öko-SciFi-Pocahontas-Remake?) zu stupiden Michael Bay Explosionsorgien (oder
sind das fortschrittskritische Sozialstudien?). Dafür muss man dann ins Kino?
Avatar |
Was geht verloren, wenn man Filme auf dem Laptop sieht? Der
Reichtum der Bilder, ihre Tiefe und Schönheit, ihr Potenzial sich darin zu
verlieren; das Kino als Maschine, das die alle Sinne einzufangen mag. Doch
gewonnen wird sicherlich eine einfachere Möglichkeit zur kritischen Reflektion,
die den Film womöglich aus seiner Kohärenz reißt, aber welche Kritik, welche
Theorie, ja welche Praxis macht das nicht. Es ist nicht das Ideal sich Filme im
eigenen Bett mit einem Laptop auf dem Schoß anzuschauen, aber es ist auch kein
Verbrechen. Und manchmal ist sogar ein ähnlich hoher Identifikationsgrad wie im
Kino möglich, denn gewissermaßen löst das Heimkino, egal wie klein es ist das
Versprechen ein, das Filme von je her zu geben scheinen: Man ist alleine mit
den Charakteren, sie gehören einem ganz alleine. Ähnlich wie in einem
Videospiel beginnt man sie zu kontrollieren, man wird nicht lachen nur weil der
ganze Saal lacht; die Protagonisten scheinen mit einem zu reden.
Nur zwei Verbrechen gibt es in diesem Zusammenhang und damit
möchte ich auch schließen: Vor einiger Zeit war ich im Zug auf einer längeren
Strecke unterwegs. Ein junger Mann saß in meinem Abteil und sah sich auf seinem
Laptop einen Film an. Es war Ridley Scotts „Robin Hood“. Er begann den Film zu
sehen und nach einiger Zeit bemerkte ich, dass er ungefähr alle 10 Minuten
etwas auf seinen Tasten herumdrückte. Es waren gleich zwei Verbrechen, die der
junge Mann am Film beging:
1.
Surfte
er während der Film lief im Internet. Verstoß gegen Regel Nr.1: Wenn ein Film
am Laptop angeschaut wird, ist jedes andere Programm zu schließen.
2.
Übersprang
er „langweilige“ Stellen im Film. Verstoß gegen Regel Nr.2: Der Film bleibt als
Ganzes zu betrachten, selbst wenn er unterbrochen werden kann.
Robin Hood |
„Verbrechen“ sei hier definiert als etwas, was gegen das
ursprüngliche Wesen des Films arbeitet. Ein Wesen, das schon immer zugleich
unseren perversen wie unseren narzisstischen Körper angesprochen hat.
Am Laptop gewesen. Geweint.
Das Laptop-Beispiel erinnert mich ein wenig an die Bedenken vor gut 10 Jahren, ein Musikalbum werde nicht mehr wertgeschätzt und auseinandergerupt, weil einzelne Songs aus dem Internet heruntergeladen werden. Gefühlt gibt es von aktuellen Majoralben aber wieder mehr Vinylausgaben als damals. Der Musikkultur wird also andererseits höher Rechnung getragen.
AntwortenLöschenDas Ritual als solches kann wohl nicht pervertiert werden. Die Veränderung gibt den Menschen eher die Möglichkeit, sich in die Untergruppen zu teilen, deren feine Unterscheidung vorher nicht möglich gewesen wäre.