Dienstag, 19. Februar 2013

Copie conforme von Abbas Kiarostami



Was wir sehen sind Fenster und Spiegel, Türen und Rahmen; was wir sehen ist ein Original, das von Anfang an eine Kopie war: „Copie conforme“ von Abbas Kiarostami ist ein Film über das Wesen der Kunst. Aber es ist auch ein Film über das Wesen der Existenz. Was zählt ist nicht, ob das was wir wahrnehmen einer Echtheit entspricht oder sich in logischen Abfolgen fortsetzt, sondern lediglich ob wir es für wahr halten; alles andere kann man ignorieren. 




 
Dies ist die Meinung des Autors James Miller und ganz ähnlich wie Fellini in „8 ½“ oder Assayas in „Irma Vep“ vollzieht der Regisseur das Werk seines Protagonisten sozusagen im Entstehen. Ein Kunstgriff, der leicht misslingen kann, insbesondere da er sich im Gegensatz zu den anderen beiden Filmemachern weder im Bereich der Filme selbst, noch im Bereich einer satirischen Überzeichnung bewegt, die eventuelle Unstimmigkeiten locker zu überblenden vermag. Denn ist „Irma Vep“ als klare Komödie im Stile eines lustigen Films über einen Filmdreh aufgezogen, die erst gegen Ende an Tiefe gewinnt und „8 ½“ eine Karikatur einer ganzen Ära, so scheint der einzige Humor bei „Copie conforme“ den beiden Protagonisten exklusiv vorenthalten sein und man erfährt nicht mal, ob sie es denn lustig finden oder gar ob es überhaupt zum Lachen oder zum Weinen ist. Jedenfalls ist der Ansatz auch von einer gewissen Arroganz geprägt, schließlich impliziert er, dass die Inszenierung sich derart der Realität verschrieben hat, dass kein Unterschied mehr besteht zwischen ihrer Fiktionalität und dem, was man Realität nennen könnte. Besonders beeindruckend offenbart sich das sogleich in der Eröffnungsszene, in der James Miller an einer Universität über sein Buch sprechen soll. In völlig klaren, einfachen Bildern zeigt Kiarostami das Geschehen; man sieht und hört alles, was passiert, es ist brillant beobachtet: Das Verhalten wartender Leute, die Art und Weise ihres Lachens, ihrer Verlegenheit. Dabei hat man als Zuseher fast dieselbe Antizipation wie die Hörerschaft im Saal. An anderer Stelle befinden wir uns im Auto und Juliette Binoche (deren Charakter namenlos bleibt) und scheinbar läuft eine Frau über die Straße. Der Film lässt völlig unklar, ob dort tatsächlich eine Frau über die Straße ging oder ob es nur gespielt war; sprich: spielt Binoche, dass sie spielt oder nimmt sie die Realität in ihr Spiel auf? Doch wie weit vermag ein Regisseur dieses Spiel zu treiben?



Um in die Falle einer gezwungenen Konsequenz zu tappen, ist Kiarostami ein zu abgezockter Filmemacher. Stattdessen lässt er seine Protagonisten in wundersam existentialistischer Manier durch malerische italienischen Gassen schlendern, ganz so, als würden die beiden in einem Rollenspiel „La notte“ von Antonioni ausprobieren, um festzustellen, dass sie sich selbst nicht kennenzulernen brauchen, weil sie über die Stufe die Celine und Jesse in Linklaters „Before Sunrise“ durchlaufen müssen schon lange hinweg sind. Dabei ist es erstaunlich wie frei und konsequent der Film gleichzeitig wirkt. Frei in der Hinsicht, dass er die Charaktere in einer gefühlten Echtzeit verfolgt, in der Kiarostami seine unheimliche Beobachtungsgabe auslebt, von peinlichen Momenten und ständig klingenden Handys bis zu nüchterner Leere, in der es nichts zu sagen gibt. Konsequent ist „Copie conforme“ in seiner Zirkulation um das Thema Original/Fälschung und der Art und Weise wie diese beiden Felder erst theoretisch und dann ganz praktisch spürbar auch für den Zuschauer verschwinden.


Fast wissenschaftlich wird man eingeführt in das Thema, denn es handelt sich auch um ein kunsthistorisches Buch, bevor man sich schließlich mitten in einem Beziehungsfilm befindet, der exemplarisch das Thema vorführt. „Vorführt“ ist hier wörtlich zu nehmen, denn wer führt hier etwas vor? Die Faszination des Films liegt darin, dass die Charaktere sich vor den Augen des Zuschauers auflösen und man gar nicht anders kann als zu akzeptieren, dass man nicht mehr weiß wer sie sind, was sie sind und ob das was man sieht Original oder Kopie ist. Juliette Binoche flirtet zudem mit der Kamera, streift den direkten Blick, nimmt den direkten Blick, lächelt und weint und wechselt ihre Stimmungen in sekundenbruchteilen mit einer derartigen Glaubhaftigkeit, dass man erschauert; sie lädt den Zuschauer förmlich zur Interpretation ein; hier spielen die Charaktere nicht nur mit der Liebe, sie spielen mit dem Zuschauer. 



Dialoge werden in jeweils frontalen Schuss/Gegenschuss Aufnahmen gefilmt; lange Einstellungen, die die Charaktere nicht in Relation zu ihrem Gesprächspartner, sondern in Relation zu ihrer Umwelt und zur Kamera einfangen. Unechtheit, die einen gefangen nimmt. Einmal steht Miller in einem Türrahmen und im Hintergrund ist unscharf ein Hochzeitspaar zu erkennen. Die Braut hat ein Problem mit ihren Augen, bekommt Tropfen, während die Welt an ihm vorbeizuziehen scheint. Oder beobachtet er etwas Off-Screen? Am Ende steht mise en scène vor dem Namen von Kiarostami. Selten schien dieser Begriff so gerechtfertigt, denn die Tableaus, die Kiarostami um seine Figuren baut, die Welt durch die frei zu gehen scheinen, ist durchzogen von einer Planbarkeit, die einen schlicht an das wahre Leben erinnert. Fenster versperren die Möglichkeit zur Kommunikation, ein großer Baumstamm verhindert die Sicht auf den einzigen zärtlichen Moment im Film. In seiner architektonischen Präzision erinnert Kiarostami an Michelangelo Antonioni; auch Miller scheint einem Antonioni Film zu entspringen; seine Egozentrik, sein Intellekt, seine Passivität. Am Ende beschäftigt sich der Film mit Erinnerungen, die es vielleicht nie gegeben hat. Als wären sie in Marienbad spielen Frau und Mann hier ein verwirrendes Versteckspiel. Die Bewunderin wird zur Muse und die Muse übernimmt die Kontrolle über den machtlosen Autor. Miller blickt aus dem fenster, wie in einer Erzählung, die er vorher im Film rekonstruierte. Aber er kann sich nicht erinnern.



Oberflächlich betrachtet erzählt der Film viele dieser Dinge. Aber in dieser Betrachtung liegen die Fenster und Spiegel in der Welt von Kiarostami und auch die Frage, wann ein Leser dem Autor schon voraus ist. Immer wieder sagt Miller, dass er das Buch irgendwann habe abschließen müssen. Doch er erfährt-wie wir-dass die Welt durchdrungen ist von einer Offenheit, die mehr Spielraum lässt, die Spielraum lässt, die Raum lässt, die spielt. Wenn sich am Ende von „Irma Vep“ das Bild auflöst, wenn sich am Ende von „Our beloved month of August“ die Grenzen zwischen Fiktion, Realität und Dokumentation auflösen, dann lösen sich am Ende von „Copie conforme“ Denkmuster des Zuschauers auf. Ein Film, der einen durch die Nacht jagen wird. Wer diesem Film Künstlichkeit vorwirft, hat ihn nicht gesehen. Wie lange kann man etwas anschauen ohne es richtig zu sehen? Welch ein kurzer Blick genügt, um alles zu sehen, was es zu sehen gibt?  












 

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