Sonntag, 16. Dezember 2012

Don't you come back no more




 


Vor einigen Wochen haben wir einiges vom Projekt “Hit The Road Gunnar” gehört. (hier) Der junge Ludwigsburger-Filmstudent Nicolas Ehret ist mit einigen befreundeten Filmschaffenden aufgebrochen, um einen Road-Movie in Schweden zu realisieren. Dabei folgte er einem selbstgeschriebenen Drehbuch. Allerdings hatte er keine Auflösung oder Locations. Von diesem Versuch Film und Freiheit, Roadtrip und Filmdreh zu verbinden, berichtete mir Nicolas Ehret in einem spannenden Skype-Gespräch:

Hallo Nicolas, wie weit seid ihr denn mit dem Film?
Zunächst möchte ich noch sagen, dass ich hoffe, dass ich nicht zu sehr in romantischen Erinnerungen schweife, die ich jetzt habe. Je weiter ein Dreh zurückliegt, desto schöner erscheint einem ja immer alles. Ich hoffe ich bekomme es hin, alles so zu schildern, wie es tatsächlich war. Zur Frage: Wir sind leider noch vor dem Schnitt. Die Uni hat im zweiten Jahr richtig angezogen und es bleibt einfach keine Zeit gerade. Wir haben schon ein bisschen gesichtet, dann gab es Übertragungsschwierigkeiten am PC. Wir haben ein Terabyte an Daten. Im März wollen wir uns an den Rohschnitt machen und ich habe auch immer noch den April als Deadline für die erste Rohfassung. Das sollte auch klappen.

Vielleicht kannst du nochmal ein bisschen den Ablauf schildern. Was habt ihr denn gemacht?
Okay, wir waren unterwegs mit zwei Autos von Berlin nach Schweden. Ohne Drehplan, ohne Locations. Wir hatten zwei feste Termine. Einen Drehtag im Museum, für den wir auch eine Drehgenehmigung benötigt hatten und die Überfahrt mit der Fähre. Und natürlich eine Art Deadline für das Ende der Produktion, weil einige aus dem Team Termindruck hatten. Alles dazwischen war frei raus. Anfang September sind wir dann aus Berlin losgefahren und erst mal nach Kiel in das Museum. Dann sind wir nach Schweden übergefahren. Das muss man sich so vorstellen: Wir kamen in Göteborg an und haben uns gefragt: Was können wir hier machen? Welche Szenen aus dem Drehbuch könnten hier passen? Gerade am Anfang mussten wir uns sehr an diesen ungewohnten Ablauf gewöhnen. Ein großes Problem war das Zeitmanagment, denn wir hatten ja nur zwei Autos und waren mit Zelten unterwegs, weil wir ausschließlich gecampt haben. Da musste immer alles rein und raus. Das kostet halt zu viel Zeit und war gerade zu Beginn ziemlich heftig. Deswegen haben wir unseren ursprünglichen Plan auch gleich ein wenig verändert und sind anschließend raus aus Göteborg, um eine Basis an einem Campingplatz aufzuschlagen. Wir brauchten einfach einen zentralen Punkt, an dem wir uns ausbreiten konnten. Einen solchen Campingplatz haben wir dann in Säffle gefunden. Das hat einige Probleme gelöst. Wir hatten Strom und wir konnten dort leben. Das hat einiges an Zeit eingespart. Sieben Tage sind wird dort geblieben. Immer in der früh, manchmal schon um 5 Uhr, sind wir dann aufgebrochen und haben die Umgebung kennengelernt oder nach Straßen oder Orten gesucht, die wir am Vortag gesehen hatten und interessant fanden. Das war ein toller Prozess. Nach dem Dreh haben wir abends oft noch für den nächsten Tag gescoutet und geprobt. Meistens haben wir in der Autofahrt zum Drehort die Szene mit den Schauspielern durchgesprochen. Insgesamt hat der Dreh drei Wochen angedauert. Länger, als wir geplant hatten.



Gab es größere Probleme?
Doch schon. Ein Problem war das Festlegen auf bestimmte Locations. Man wusste ja nie, ob hundert Meter weiter nicht doch noch ein besserer Ort ist. Es war ein ständiges Kompromisse abwägen. Dennoch glaube ich, dass wir ein paar sehr coole Ecken gefunden haben. Das Wetter war auch ein Faktor. Es war praktisch durchgehend Außendreh angesagt. Da kommt schon mal ein plötzlicher Platzregen. Das haben wir dann aber alles einfließen lassen und anpassungsfähig darauf reagiert. Daraus ist richtige Kreativität erwachsen.

Wie groß war der Road-Trip-Urlaub Faktor? Das Abenteuer?
Es war ein abenteuerlicher Filmdreh. Mit Urlaub hatte das Nichts zu tun. Die Idee mit dem Urlaub ist also nicht wirklich aufgegangen. Ab und zu sind wir mal ins Wasser gesprungen, aber das war es auch. 




Hast du jetzt eine neue Freiheit beim Filmemachen erfahren?
Im Bezug auf das Filmemachen absolut. Das war deutlich freier, als mit einem größeren Team an festgelegten Orten zu arbeiten. Aber es waren halt auch Non-Stop Kompromisse. Wir mussten sehr viele Abstriche machen. Und man fällt natürlich insbesondere mit dem Zeitdruck doch leicht in Konventionen bezüglich Inszenierung. Der Zeitdruck war das Schlimmste. Perfektion ist da ungleich schwieriger zu halten. Es fehlt die Sicherheit, die einem ein fester Drehplan gibt. Man unter- oder überschätzt sich selbst so leicht und kommt dann nicht immer auf den Punkt. Aber, was mich wirklich stolz macht ist, dass wir alle Szenen im Kasten haben und zwar dem Drehbuch entsprechend. Und wir haben sogar noch einiges Zusatzmaterial gedreht.

Hast du viele Erfahrungen für dich als Regisseur mitnehmen können?
Die Erfahrung war Goldwert. Ich kann das an einem Beispiel erklären. Man hat ja eine Szene im Buch, mit Handlung und einer Umgebung. Dann sucht man den Drehort dazu beziehungsweise muss nehmen, was man halt findet. Und dort wird es spannend. Man muss sich einlassen auf den Drehort. Man muss rausspüren, wie man den Ort für die Szene nutzen kann. Und meistens ist es schlussendlich dann viel besser, als man es sich vorgestellt hat. Die Szenen haben mir oft so viel mehr gegeben, als ich mir im Kopf ausgemalt habe vorher.

Man lernt sozusagen das bewusste Loslassen und Aufgeben der Kontrolle.
Genau. Das ist ein Lernprozess. Eher eine Schwerpunktverlagerung der Kontrolle. Man muss schon noch die Kontrolle über die Essenz der Szene bewahren. Aber gleichzeitig eben offen sein und improvisieren. Weil eben Dinge entstehen, die Größer sind. Der Lernprozess besteht also darin, dass man lernt die Momente zu erkennen, in denen man einen Schritt zurücktreten muss als Regisseur und die Dinge einfach geschehen lässt.



Wie weit wird der Film sich vom ursprünglichen Drehbuch entfernt haben?
Inhaltlich haben wir alles eingefangen. Aber wir haben eben bewusste Zusatzszenen. Das sind oft eher Stimmungsbilder, kleine Szenen, Zwischenbilder. Sie verändern wahrscheinlich nicht die Handlung und wir müssen schauen, welche wir wann verwenden können. Es gab einfach Szenen, die uns zugestoßen sind. Zum Beispiel waren wir auf dem Schiff nach Göteborg und haben von einer Liveband unter Deck gehört. Also haben wir spontan alle Sachen gepackt und sind mit Julien Lickert (spielt den Gunnar) unter Deck. Das Ganze hat sich als Seniorenparty herausgestellt. Alle haben Jive und Discofox getanzt. Das haben wir mitgenommen und eine kleine Szene mit Gunnar am Rande dieser Party gedreht. Es gab einige dieser kleinen  Momente, die wir uns nicht entgehen lassen wollten. Einmal haben wir auch einen Elch gesehen und haben das in den Film einfließen lassen. Inwiefern für diese Momente Platz ist, müssen wir dann im Schnitt sehen. Einige werden uns erzählerisch sicher nicht weiter bringen. Müssen sie auch gar nicht.

Lief das immer harmonisch ab oder gab es viele Diskussionen?
Ganz einfach war es nicht immer. Unterm Strich war es aber großartig. Alle 7 Teammitglieder (2 Kamera (Chris Hirschhäuser und Sebastian Ehret), 1 Ton (Florian Hermanns), 1 Regieassistenz (Kim Düsselberg), 2 Schauspieler (Odine Johne und Julien Lickert) und Regie) haben an einem Strang gezogen. Jeder hat sich immer um alles gekümmert. Wir haben alle angepackt und den Dreh gerockt. Insbesondere die Arbeit mit Julien Lickert und Odine Johne war fantastisch und unheimlich inspirierend für mich persönlich. Die beiden haben so viele Dinge mit eingebracht, mich so viele Dinge aus einem neuen Blickwinkel sehen lassen. 



So harmonisch?
Dadurch, dass es keine Auflösung gab, kam es natürlich schon zu Diskussionen. Oft war es einfach schwer die Mitte zu finden oder herauszufinden, was wichtig war und was nicht. Leider musste ich dann oft selbst in die Rolle dessen schlüpfen, der knallhart sagt: Wir haben keine Zeit mehr, wir müssen das jetzt so drehen. Das will ich eigentlich gar nicht. Aber wir wussten, dass wenn wir jetzt noch weiter über den Drehort oder das Bild diskutieren, wir den Film nicht fertigbekommen. Das ist schon eine ambivalente Situation gewesen. Und du sitzt natürlich drei Wochen aufeinander. Keine anderen Menschen, keine Rückzugsorte. Mir zumindest fiel das nicht immer leicht.

Ihr hattet ja verschiedene Nebenrollen noch nicht besetzt und wolltet die in Schweden finden. Hat das geklappt?
Und wie! Das ganze stand unter einem riesigen Glücksstern. An einem Nachmittag haben wir am Straßenrand gedreht und ein Schwede kam die Straße mit dem Fahrrad runtergefahren, um zu schauen, was wir da machen. Wir haben uns ein wenig mit ihm unterhalten und unsere Regieassistentin Kim Düsselberg hat blitzschnell reagiert und ihn gleich gefragt, ob er eine Tankstelle in der Nähe kennt, weil wir noch eine kleine Tankstelle für eine Szene gesucht hatten. Er hat uns eine empfohlen und während er so da stand, dachte ich mir, dass er eigentlich einen guten Autodieb geben könnte. Also fragte ich ihn, ob er sich vorstellen könne mitzuspielen. Und was macht er? Er ruft seinen Chef an, um sich für den nächsten Tag den Vormittag freigeben zu lassen: „Klar. Bin dabei.“ Also fragen wir ihn, ob er noch einen Freund habe. Auch kein Problem. Am nächsten Morgen schlagen wir an der Tankstelle auf und der Typ kommt erst mal nicht. Da hatten wir natürlich große Angst, dass er uns sitzen lässt. Nach einiger Zeit kommt er dann aber zusammen mit seinem Freund, der auch noch wunderbar auf die Rolle passt. Die Szene, die die Zwei spielen mussten, war keine einfache. Es kommt zu einem richtigen Handgemenge und es musste eine kleine Choreografie  erarbeitet werden. Aber die Beiden haben das so super gemacht. Also wirklich richtig, richtig gut gemacht. In der Tankstelle selbst hatten wir auch eine tolle Erfahrung mit einer Laiendarstellerin. Wir haben eine Frau spontan gefragt, ob sie die Kassiererin in einer Tankstelle spielen möchte. Die hat das dann gemacht und die hat sich von Anfang an kleine Aufgaben gegeben. Wahnsinn. Die stand nicht einfach da und hat den Text wiedergegeben, sondern die stand dort, als würde sie ihr ganzes Leben in einer Tankstelle gearbeitet haben. Absolut natürlich und authentisch. Wir waren irgendwann eine richtige Attraktion in diesem kleinen schwedischen Ort. Ein Lokalreporter hat einen Artikel über uns geschrieben. Das hat denen richtig gut gefallen, dass mal was los war.



War diese Art Filme zu machen für dich ertragreicher? Hast du die bessere Erfahrung gemacht und würdest du es dem „klassischem“ professionellem System bevorzugen?
Ich denke, dass es die Mischung aus beiden Formen macht. Freiräume zu lassen ist total wichtig, das habe ich mitgenommen aus dem Dreh. Bei der technischen Arbeit weiß ich nicht. Auflösung und Konzept sind schon wichtig. Ich werde auf jeden Fall entspannter an Drehs herangehen. Auch wenn es blöd klingt, ich habe ein bisschen gelernt meiner eigenen Arbeit zu vertrauen. Denn egal, was alles passiert ist, am Ende hat es immer noch recht gut geklappt.

Aber würdest du diese spezifische Art des Filmemachens wiederholen?
Ja, es war schon großartig. Vielleicht mit ein bisschen mehr Mitteln wieder auf diese „zufällige Art“ zu arbeiten. Allerdings wissen wir ja noch nicht, wie das Ergebnis ausfallen wird. Daher ist das schwer einzuschätzen. 





Ging es dir nicht mehr um den Prozess, als um das Ergebnis?
Ja. Aber ein Film wächst einem immer ans Herz und man will dann das bestmöglichste Ergebnis haben.

Ist es für dich möglich noch einen Schritt weiterzugehen, also sozusagen zum „totalen Zufall“? Ohne Drehbuch loszufahren.
Das ist schwer. Ich glaube ich brauche immer eine Basis. Ich muss wissen, was der Grund der Geschichte ist. Ich muss wissen, was ich erzählen will. Selbst eine kleine Auflösung und Staging will ich nicht mehr missen. Das ist einfach ein gewisser Anspruch den ich an mich und meine Filme habe. Filme sollen für mich was bedeuten in ihrer Aussage, eine vertretbare Aussage oder ein Lebensgefühl, das ich vermitteln möchte. Das ist meine Motivation zum Filmemachen. Ich brauche das. Zumindest die Aussage muss ich wissen.  Außerdem habe ich eine Verantwortung gegenüber Team und Schauspieler. Ich muss schon wissen, was ich mache. Als Filmregisseur bist du schon derjenige, der alles überblicken muss und von allem Ahnung haben muss. Wenn mir jemand eine Frage stellt, möchte ich ihm eine möglichst klare Antwort geben können. Im Theater ist das anders. Da hat der Schauspieler selbst die Kontrolle. Beim Film ist das nicht so. Da weiß der Schauspieler nicht alles und muss mir daher vertrauen können. Daher ist es für mich eine Aufgabe der Regie den roten Faden zu halten.

Aber zum Beispiel ein Regisseur wie Mike Leigh, der erarbeitet ja das Drehbuch mehr oder weniger in Improvisation mit den Schauspielern. Dennoch haben seine Filme einen roten Faden.
Ja. Aber er bleibt derjenige, der diesen roten Faden kennt. Er geht vielleicht noch einige Schritte weiter, aber am Ende ist er derjenige, der die Geschichte kennt. Mir sind auch die feinen Nuancen wichtig. Und die finde ich nur, wenn ich die Geschichte kenne.

Es bleibt absolut beeindruckend zu sehen, welchen mutigen Schritt Nicolas Ehret mit seinem Team und „Hit the Road Gunnar“ unternommen hat, um die Lust am Filmemachen neu- und wieder zu entdecken. Hier noch ein kleines Making-Of:


Wann der Film zu sehen sein wird, werde ich auf der Facebook-Seite posten.

1 Kommentar:

  1. Hallo, liebster Nico... BRAVO!!!... Das Interview macht Lust, den Roadmovie bald zu sehen... all my love... Deine Uschi

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