Samstag, 3. November 2012

Viennale 2012: Beasts of the Southern Wild von Benh Zeitlin



Immer wieder wirkt die Kamera völlig befreit vom Leben; sie übernimmt in diesem Film die Sichtweise eines Kindes: Den Blick der kleinen Hushpuppy, die mit einer unglaublichen Ambivalenz aus Härte und Verletzlichkeit von der neunjährigen Quvenzhané Wallis verkörpert wird. Dabei geht es um das Leben im „Bathtub“, eine von Wasser und Sümpfen durchdrungene, kaum besiedelte Landschaft in Louisiana. Hushpuppy lebt dort mit ihrem Vater. Und man muss ziemlich verrückt sein, um dort zu leben. Die Gesellschaft versorgt sich autonom, die amerikanische Regierung hätte diesen Landstrich am liebsten von Menschen befreit. Aber „Beasts of the Southern Wild“ ist ein Film über die Liebe zur Heimat; er wird nicht müde zu betonen, dass nichts und niemand die Bewohner des „Bathtub“ von dort wegbringen könnte. Und dann kommt ein großer Sturm.

 


Zeitlin gelingt es diese harte Welt des täglichen Überlebens durch die Augen eines Kindes zu betrachten. Das gelingt ihm mit Hilfe dreier Faktoren. Zunächst ist es die Verschmelzung aus Imagination und Realität. Der Film ist gewissermaßen als eine Ode an die Fantasie zu verstehen; sobald die Fantasie das wahre Leben betritt, ist Hushpuppy dem Erwachsenenalter ein gutes Stück nähergekommen. Dieses Stilmittel ist ein bevorzugtes von Regisseuren, die Kindergeschichten für erwachsenes Publikum verfilmen. So liefert auch Guillermo del Toro in seinem viel diskutierten „El laberinto del fauno“ immer wieder Fluchtmöglichkeiten, die durch die Augen eines Kindes realer erscheinen mögen, als durch die Augen von Erwachsenen. Bei Hushpuppy ist es aber keine Flucht. Vielmehr ist es eine beobachtende Weisheit, die beginnt alles aufzusaugen, um dann selbst aktive Schritte zu gehen. Dieses fantastische Element wird noch durch die irrsinnig schnellen Tempofahrten unterstützt, die Hushpuppy dabei begleiten, wie sich mit beängstigender Sicherheit durch die Wälder und über das Wasser springt. Eine Leichtigkeit, wie sie auch Danny Boyle in „Slumdog Millionaire“ darstellen konnte. Der zweite Faktor, ist wie bereits erwähnt, die Hauptdarstellerin. Dramaturgisch ist ihre Aufgabe zunächst recht typisch: Sie lebt alleine mit ihrem Alkoholiker-Vater und ist eigentlich die reifere Person von beiden. Wie oft wurden diese Konstellationen schon in furchtbar gestellten und nervigen Mädchencharakteren aufgelöst? Nicht so bei Quvenzhané Wallis; Zeitlin fängt sowohl die Momente ihrer kindlichen Unschuld und Naivität ein, als auch jene Momente, in denen sie reif und erwachsen wirkt. Er zeichnet das traurige Bild eines Mädchens, das kein Mädchen sein darf und kann, aber im Herzen trotzdem ein Mädchen bleibt. In einer beeindruckenden Szene lernt Hushpuppy, wie sie einen Krebs mit dem Messer aufschneidet. Ihr Vater möchte allerdings, dass sie den Krebs mit den Händen bricht und dann aussaugt. Sie macht, was ihr Vater ihr beibringt und dann schreit sie gemeinsam mit ihm und springt auf dem Tisch herum und posiert mit männlichen Gesten. Ein pures Schauspiel, dessen Ferne zu jedweder Reflektion vor allem deshalb beeindruckt, weil es diese Reflektion (trotz des geringen Alters) an anderen Stellen zu geben scheint. Inzwischen gilt Wallis als sichere Nominierung für den Oscar als beste Hauptdarstellerin. Zudem hat sie eine kleine Rolle im kommenden Film von Steve McQueen. Der dritte Faktor, der „Beasts of the Southern Wild“ gelingen lässt, ist die Durchdringung des Stoffes durch den Regisseur. Zeitlin lebte monatelang im „Bathtub“ zwischen den Menschen, er kam ihnen und ihrer Natur nahe. Was man dann als Zuseher zu sehen bekommt, wirkt manchmal schlicht und ergreifend wie aus einer Dokumentation. Ein Film, der das Prädikat „On Location“ tatsächlich verdient. Selten hat man so viele Tiere in einem Film gesehen, er scheint bevölkert zu sein von ihnen. Dabei regiert immer die Natur. Im einen Moment wird ein Hund gestreichelt, im nächsten Moment wird ein Fisch getötet, indem man ihn auf ein Boot zieht und dann mit der Faust erschlägt. Man merkt dem Film in jeder Sekunde an, dass der Regisseur Teil seiner Welt ist.

 


Wenn es Schwächen gibt, dann sind sie im Plot zu finden. Manchmal springt der Film etwas schnell und oft gehorcht er auch zu sehr den Regeln eines Tragic Feel Good Movies. Dann hilft aber immer noch, dass aus dem Hause Lucas kommenden Sounddesign, das einen in den Kinosessel drückt. Besonders bemerkenswert ist noch, dass Zeitlin sich selbst nicht als alleiniger Regisseur des Projektes sieht. Schon im Abspann ist groß und deutlich „A film by Court 13“ zu lesen. Dabei handelt es sich um eine Vereinigung von Filmemachern mit Basis in New Orleans. Diese haben in gewisser Weise dem „Filmautoren“ abgeschworen und sehen sich als eine kreative „army“, die gemeinsam Filme produziert. Zeitlin äußerte in einem Interview, dass er den Regisseur als verantwortlichen Autoren für ein sehr überholtes Konzept halte. Sicherlich ein interessanter Ansatz, der ja auch bei den Dogma-Regisseuren lange Zeit Einzug hielt. Natürlich profitiert der individuelle Regisseur von diesem Konzept. Hier der Link zu Court 13: http://www.court13.com/home/

 

 

 

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