Montag, 5. November 2012

Viennale 2012: Après Mai von Olivier Assayas



Olivier Assayas ist derzeit einer der angesehensten europäischen Regisseure. Der gebürtige Pariser spezialisiert sich für gewöhnlich in sehr persönlichen Filmen auf die Probleme von Jugendlichen und Außenseitern. Dabei gelingt es ihm in fast jedem seiner Filme eine aufregende Vitalität auf die Leinwand zu bannen. Die Musik aus der jeweiligen Zeit ist zu hören und die Kamera fährt, schwenkt und atmet pausenlos. Lange Zeit tat er dies und war außerhalb seines Heimatlandes nur wenigen ein Begriff. (Einzig noch Irma Vep, ein grandioser Film über das Filmemachen schwappte in deutschsprachige Gefilde) Als er im Jahr 2010 dann aber Carlos drehte, eine als dreiteilige Miniserie Biographie über den berühmten Terroristen Ilich Ramírez Sánchez alias Carlos, änderte sich das ziemlich schlagartig. Durch die Kinoauswertung wurden die drei Teile zusammengefügt und der wahre Kern der epochalen Erzählweise von Assayas trat zum Vorschein. Außerdem betonte der Film die sonst häufig unter der schieren Wucht seiner Persönlichkeit und Offenheit vergrabenen Fähigkeiten des Regisseurs eine Ära zum Leben zu erwecken. Wer Carlos sieht, atmet die 70er. Nun war auf der Viennale sein neuer Film Après Mai zu sehen. (Premiere war in Venedig) Gewissermaßen kann man den Film als einen Versuch von Assayas lesen die Persönlichkeit seiner früheren Werke mit seinem Gefühl für die Zeit zu verbinden.



Wieder sind es die 70er Jahre. (vor der Vorführung entschuldigt sich Assayas fast dafür.) Nur dieses Mal übertrifft sich Assayas an Detailtreue fast selbst. Stolz bemerkt er, dass vieles im Szenenbild von ihm erarbeitet wurde. Alle Farben, Bauten, Bücher, Platten, eigentlich alle Requisiten sind derart natürlich im Film, dass sich dort wahrhaftig eine völlig glaubhafte Welt auftut. Vielleicht ist das auch eine philosophische Frage, weil es natürlich eher um die Vorstellung bzw. Erinnerung von einer Zeit geht. Vielleicht ist Assayas also auf der Suche nach der verlorenen Zeit? Im Anschluss gibt er grinsend zu, dass Marcel Proust eine wichtige Inspiration gewesen sei. Erstaunlich jedenfalls für mich, wie er es schafft, dass eine schon so oft in Film und Fernsehen thematisierte Epoche, die ich auch nur aus diesen Medien kenne, nochmal so frisch und lebendig wirkt. Die Auswahl der Schauspieler alleine wirkt, als wäre man in einer Zeitmaschine zurück in die 70er und hätte diese (Laien-!) Darsteller aufgetrieben. Und wieder fährt die Kamera unaufhaltsam und die Musik der Zeit erklingt im Kinosaal. Im Zentrum der Handlung steht Gilles, ein junger passiver Revoluzzer, der sich eigentlich zur Kunst (insbesondere zur Malerei und zum Filmemachen) hingezogen fühlt, aber nicht so recht weiß, wohin mit sich. Ein typischer Assayas-Charakter. Gilles ist Teil von Demonstrationen, von Diskussionen, von terroristischen Aktionen und von Liebe. Aber er wird hindurch gezogen durch diese Zeit, wie der Zuseher auch. Der Film ist eine Initiation in die Kunst, sowohl für den Protagonisten, den man als niemand anderen, als das Alter Ego des Regisseurs verstehen muss, als auch für den einzelnen Zuseher, der verstehen lernt, was es heißt eine Entscheidung zu treffen und Künstler zu werden.

Olivier Assayas



In der Halbherzigkeit der politischen Momente des Films und in der Fokussierung auf Details statt auf den Zusammenhang, das „Große Ganze“, wenn man so mag, zeigt sich einerseits, warum der Film nicht jeden in gleicher Weise berühren kann und anderseits, dass Assayas hier tatsächlich eine Biographie mit den Mitteln des Films schreibt. Das persönliche Element dringt praktisch durch jede Szene. Besonders aufregend wie er immer wieder bei den zahlreichen Frauen bleibt, als sich sein Protagonist schon von ihnen verabschiedet hat. Man sieht einen traurigen Blick, ein Nachdenken oder eine Verzweiflung. In seiner Erzählung versucht Assayas Dinge zu sehen, die er eigentlich nicht erfahren hat. Vielleicht Wunschvorstellungen, vielleicht Ängste. Er selbst meint, dass er von seiner eigenen Biographie ausgegangen sei, aber die Perspektive dann erweitert habe, weil  es für den Film wertvoller gewesen wäre. Es ist nicht gerade ein perfekt ausbalancierter Film, aber das Weglassen von scheinbar unwichtigen Szenen hätte Après Mai seiner Essenz beraubt: Persönlichkeit und Zeitstudie. Interessant allerdings, dass dieses detailorientierte Beschleunigungskino in Venedig den Drehbuchpreis gewinnt. Oder ist dieser Film etwa so detailgetreu geschrieben?




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen