Der nächste Film kommt aus dem Jahr 2010; Black Swan von Darren Aronofsky.
Man könnte die Liste jetzt konsequent fortführen und wieder auf den Wahnsinn, die verlorene Kontrolle der Hauptfigur eingehen. Aber anhand von Black Swan lassen sich noch ganz andere Auffälligkeiten darlegen.
Die Hauptrolle wird von Natalie Portman gespielt, die für diesen Film (trotz einiger Diskussionen bezüglich der Echtheit ihrer Tanzszenen) zu Recht den Oscar erhielt. Sie spielt Nina, eine verbissene Balletttänzerin, die im Schwanensee sowohl den weißen, als auch den schwarzen Schwan spielen soll. Wie bereits erwähnt spielt dabei wieder der Wahnsinn eine nicht zu kleine Rolle. Realitätsverlust wie ihn schon Christian Bale und Ryan Gosling in den besprochenen Rollen erlitten haben. Der Feind ist in ihr selbst. Sie verliert das Vertrauen in ihre eigene Wahrnehmung und auch der Zuseher verliert dieses Vertrauen. Eine schon immer faszinierende Ausgangsposition im Kino, die in den letzten zwei Jahrzehnten bis zur Ermüdung erprobt wurde und der Aronofsky in Black Swan auch keine neuen Facetten abgewinnen kann. Stattdessen flüchtet er sich in recht billigen Horror. Aber der Film und die Rolle haben noch mehr zu bieten.
1. Die Mutterfigur
Zum ersten Mal hat eine der Rollen in unserer Reihe eine wichtige Beziehung zu einer anderen realen Person. Die Mutter ist das Gift in Nina’s Leben. Sie beeinflusst sie in allem was sie tut, lässt sie nicht los. Figuren, die sich aus den Fesseln ihrer eigenen Familie, Vater- oder Mutterfiguren befreien müssen, haben Konjunktur. Haneke’s Die Klavierspielerin oder Audiard’s Ein Prophet sind als Beispiele zu nennen.
Mutter und Tochter in La pianiste (Haneke) |
Dieses dramaturgische Stilmittel ist eine Variation des im Mainstreamkino üblichen Verlustes von eben jenen Eltern. Von Bambi, über Braveheart, hin zu Harry Potter. Die enge Wohnung wird in Black Swan wie ein Gefängnis inszeniert. Türen spielen eine wichtige Rolle, alles wird vom Weiß und Rosa verschlungen. Aber die mädchenhaften Farben dienen im Film als Fesseln. Hier schwingt auch bereits der ständig präsente sexuelle Unterton des Films mit. Der Clou in der Beziehung zwischen Mutter und Tochter, liegt in der Schwäche der Mutter. Es ist keine bösartige Mutter (auch wenn es manchmal so aussieht), sondern nur eine schwache Mutter, die nicht sieht, was ihre Tochter wirklich braucht, die sie nicht loslassen kann, weil sie selbst besessen ist von der Idee des Erfolges. Aber bitte ohne die Nebenwirkungen. Wir selbst schieben unser eigenes Verhalten gerne auf unsere Umwelt. Diesem Bedürfnis kommt der Film so leicht nach. Wir verstehen den Wahnsinn von Nina. Zumindest genug, um ihr weiter zu folgen.
2. Das Talent
Schon im ganz frühen Kino wurde ein bestimmtes Talent besonders bewundert. Mit Internetplattformen wie youtube ist diese Faszination im ganz großen Stil zurückgekehrt. Egal was, wenn es perfekt beherrscht wird, begeistert es zuzusehen. Ballett übt eine große Faszination aus (insbesondere bei derartiger Inszenierung). Niemals zuvor habe ich so viele Freunde über Tanzszenen nach einem Psychothriller reden hören. Und es ist auch nicht wichtig, ob Frau Portman die Szenen selbst getanzt hat, bis zu einem gewissen Grad getanzt hat oder gar nicht getanzt hat, weil es schlicht und ergreifend nicht auffällt. Es ist immer dieselbe Rolle, die wir vor uns sehen und damit muss man zum ersten Mal in der Reihe einen großen Kredit dem Regisseur geben, der an der Kreation der Rolle mit der Schauspielerin gleichwertig beteiligt war.
Allerdings ist das typisch für Aronofsky, der seine Schauspieler an Grenzen bringt und auch mit deren Starmodus spielt. So verhalf er zum Beispiel in seinem Film The Wrestler Mickey Rourke zu einem Comeback aus dem Nichts. Dabei spielt die Person hinter der Rolle immer eine große Rolle. Natalie Portman war schon vor diesem Film eine bekannte und herausragende Schauspielerin, gewissermaßen „Everybody’s Darling“, eine Traumfrau in alternativen Szenen. Keine klassische Prinzessin oder Hollywooddiva und gerade deshalb attraktiv. Aber etwas hat ihr noch gefehlt, um in diesen so furchtbar überschätzten Kreis von großen Frauen in Hollywood zu kommen, der nichts mit Schauspielerei zu tun hat, sondern mit Publicity, mit der Wahl der Kleider und Männer. Und das war dieser Film. Was dieser Ruhm mit ihr macht, wird sich zeigen, aber zu ahnen ist nichts Gutes. Jedenfalls führt uns diese Beobachtung zu:
3. Der doppelte Boden
Es ist nicht nur das Spiel mit der Person des Stars, die uns fasziniert, sondern auch die Doppelbödigkeit der Rolle innerhalb des Films. Natalie Portman ist nämlich nicht nur Nina, sondern eben auch der Schwan in Weiß und auch in Schwarz. In ihrem Fall ist das tatsächlich wörtlich zu nehmen und daher bietet sich dieser Film besonders an für jenes Spiel mit dem doppelten Boden. Portman scheint in Perfektion zu wechseln zwischen der guten Nina und der bösen Nina, der unterdrückten Nina und der nach Befreiung schreienden. Sich fallen lassen in eine Welt in der Lügen und Spiele dazu gehören.
Wir kennen ihr Spiel nur zu gut. Es ist einerseits der Traum sich selbst zu verlassen, von heute auf Morgen wegzufliegen und ein anderer Mensch zu sein und andererseits die Not der Lügen, das Verstellen um respektiert zu werden, um nach vorne zu kommen, um uns selbst zu finden. Der Film treibt dieses Spiel gewissermaßen bis zur Verschmelzung aller Ebenen und es endet in Weiß. Wie ein leeres Blatt, auf dem man sich als eine Person entfalten kann? Dieser Film ist ein Selbstfindungspsychotrip und gerade deshalb dient er als ebensolcher auch für den Zuschauer, der jeden Tag diesen Trip über sich ergehen lässt, egal ob absichtlich oder unabsichtlich. Wirf eine Pille ein und entdecke dich selbst, schaue einen Film und entdecke dich selbst.
Weiter wird es gehen mit 21 Gramm von Alejandro González Iñárritu.
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