Dienstag, 15. November 2011

Viennale Part 3- Cut und Take Shelter




Als nächstes Cut von Amir Naderi. Ein Film der aus einem ganz besonderen Grund interessant für diesen Blog ist: Er ist nämlich in gewisser Weiße die Verfilmung der hier präsenten Problematik…ein junger Regisseur rennt mit einem Megaphon durch die Straßen und fordert, dass Film weiterhin als Kunst angesehen wird, dass Film nicht zur bloßen Unterhaltung verkommt. Er organisiert auf seiner Dachterrasse Screenings von Filmklassikern, er verteilt Flyer und kritisiert unentwegt die aktuelle Kinolandschaft. Kommt mir bekannt vor…dann kommt die Yakuza ins Spiel, er muss die Schulden seines getöteten Bruders begleichen und er entscheidet sich das zu tun, indem er sich gegen Geld schlagen lässt. Kommt mir nicht mehr bekannt vor. Diese Schläge versucht er zu überwinden, indem er jeden Schlag mit einem Filmerlebnis oder Film assoziiert. Dicke, dicke Metaphorik. Der Film wird nicht mehr Handlung bieten. Er wird gipfeln in einer Sequenz, die mit einem Zwischentitel eingeläutet wird: „A hundred pushes, a hundred movies“. Und das ist wörtlich zu nehmen. Wir sehen immer abwechselnd einen Schlag und dann den Titel eines Films eingeblendet. Eines Filmklassikers natürlich. Das hat natürlich weniger mit einem Film zu tun, als mit einem Youtube-Video. 



Und es stellt sich auch die Frage, wieso dieser durchaus respektable iranische Regisseur nicht versucht hat seinen großen Vorbildern, die er hauptsächlich im japanischen Kino findet auch story- und bildertechnisch nachzueifern. Weil dieser Film als Provokation gedacht ist? Weil er einen nur zum Denken anregen soll? Jedenfalls sieht das im Endergebnis aus wie eine Mischung aus einem Trailer für die Criterion Collection und der vorletzten Runde eines beliebigen Kampfes von Rocky Balboa, in der er für gewöhnlich halb totgeschlagen wird ohne sich zu wehren. Seine stärkste Szene ist der von John Ford inszenierte Schluss von The Searchers. Natürlich ist es in der Nachbetrachtung recht interessant (während man den Film betrachtet, ist es zumeist nur ermüdend). Der Film hat eine klare Message und er verzichtet auf sämtliches schmückendes Beiwerk, um diese rüberzubringen: Film ist Kunst und ihr habt das Vergessen. Ist dieser Film, aber dann ein Film?  Hier unterschiedet sich Cut auch ganz klar von diesem oder zahlreichen ähnlichen Blogs und Internetseiten und Videozusammenstellungen auf öffentlichen Plattformen: Es ist ein Film und der sollte etwas mehr bieten, als nur einen Gedanken zur Filmlandschaft an sich. Hier ist das Internet oder die Zeitung das bessere Medium. Hätte Naderi eine Kampagne gestartet, hätte er diese Dinge nicht fiktional, sondern real behandelt, wäre ich absolut auf seiner Seite. So-und gerade auch weil die Darstellung der Hauptfigur schon etwas von Besessenheit hat, mit der sich kaum wer im Kino identifizieren dürfte- scheitert er und ich kann und will ihm nicht folgen. Hier stellt sich immer wieder die Frage, was ein Film kann und was man damit machen kann. Eine einfache (politische) Meinung zu vertreten, gehört meiner Meinung nach nicht dazu. Und wenn Regisseure ihren ehemals guten Namen dafür verschwenden, ist das eine Schande. Es gibt genug Möglichkeiten mit einem Film das Kino zu zelebrieren, aber sicherlich nicht mit der Verfilmung eines Ideals.  




Zum Abschluss war mir noch der amerikanische Festivalhit Take Shelter von Jeff Nichols vergönnt. Dieser Film ist eine wunderbare Brücke zurück zu meiner Reihe, die ja Filme beleuchtet, die ihren Wert hauptsächlich oder nur wegen ihres Hauptdarstellers haben. (es wird weitergehen mit Ryan Gosling und Lars and the real girl) Michael Shannon. Seine schiere Präsenz, seine Körperlichkeit, die uns ganz tief in die verwirrte, verletzte Seele des Familienvaters Curtis blicken lässt, ist es die diesen Film emporheben und zu mehr machen, als einem netten Indiefilm für zwischendurch. Die Grundprämisse ist so simpel wie spannungserregend: Ein Mann wird von Visionen einen kommenden Apokalypse, eines großen Sturms geplagt und verliert daraufhin langsam die Kontrolle über sein geregeltes Familien- und Arbeitsleben. Ruhige, eindringliche Stimmungen ja, aber ansonsten ist das gerade im Vergleich zum anderen Independent-Weltuntergangsphänomen, welches man auf der Viennale betrachten konnte und welches ich hier schon empfohlen habe, Melancholia von Lars von Trier, inszenatorisch-man möge mir das Wortspiel verzeihen-ein laues Lüftchen. Klischees und eine Charakterisierung biblischen Ausmaßes, die einem aber auch wirklich mit dem Hammer erzählt, dass der gute Mann völlig logisch an solchen Visionen leidet, trüben das Filmerlebnis. Und warum denn die ganze Zeit der Blick zum Himmel? Irgendwann habe ich verstanden, dass ein Sturm kommt, obwohl er doch nicht kommt oder doch oder was? Na jedenfalls habe ich jetzt genug Spezialeffekte von sich zusammenbrauenden Unwettern gesehen, dass ich das nächste halbe Jahr ohne sie auskomme und da ich normalerweise keinen Roland Emmerich Film anschaue, könnte mir das auch gelingen. 



Dennoch ist der Film nicht schlecht. Und das liegt an Michael Shannon. Er generiert den Realismus, den dieser Film so nötig hat, er ist pure Echtheit. Wiedermal bewahrheitet sich, dass eine enge Beziehung zwischen Regisseur und Hauptdarstellers sich nur zum Vorteil ausspielen kann. Ähnlich wie bei Hunger-Regisseur Steve McQueen und seiner Muse Michael Fassbender ist das Ergebnis eine absolut awardverdächtige Performance, die weit über den normalen Einsatz eines Schauspielers für seine Rolle hinausgeht. Nichols und Shannon hatten schon vor Jahren zusammen gearbeitet, sind gute Freunde und werden wohl auch den nächsten Film zusammen angehen. Shannon hatte in der Zwischenzeit mit seinem sensationellen Auftritt als „Wahrheit“ in Revolutionary Road von Sam Mendes schon DiCaprio und Winslet in den Schatten gespielt. Jetzt darf er wieder und es egal, ob er nur Auto fährt, ob er mit seiner tauben Tochter spielt, ob er einen Bunker baut oder ob er (und das wird unvergessen bleiben) einen Anfall hat und gegen die Seitenblicke eines ganzen Ortes wettert wie zuletzt Al Pacino in Scarface, frei nach dem Motto: „You think I am the crazy guy?“; Shannon ist pure Realität, er vereint alles, was den amerikanischen Schauspielstil ausmacht. Man glaubt ihm alles, selbst ohne Erklärung. Dank Shannon war das ein guter Abschluss meiner persönlichen Viennale.



Dann geht man aus dem Kino und merkt, dass es keinen Sturm geben wird. Es ist nur etwas kalt. Man ist sehr müde. Die Plakate und Fahnen verschwinden, das Kino verschwindet aus der öffentlichen Wahrnehmung. Die Säle werden wieder leerer, kaum wer interessiert sich für experimentelles Kino oder künstlerischen Film. Die Filmgeeks verschwinden wieder im Keller und regen sich auf, dass nur Scheiße im Kino läuft, alle anderen erfreuen sich an bescheuerten Komödien und inhaltslosen Actionkrachern und das Kino stirbt. Und ich war weder auf dem Badeschiff, noch habe ich eine Tasche gewonnen. Kann mir bitte mal wer ins Gesicht schlagen? 


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