Montag, 3. Oktober 2011

Im Kino

Vor kurzem habe ich mir im Kino den österreichischen Cannes-Beitrag "Michael" von Markus Schleinzer angesehen. Er behandelt das heikle Thema Pädophilie aus der Sicht des Täters. Und er verstört damit in gleicher Weiße wie das Matthias Glaßner vor einigen Jahren in "Der freie Wille" (Thema hier war Vergewaltigung) getan hat.


Im Gegensatz zu Glaßner hat sich Schleinzer dafür entschieden die wirklichen Vergehen im Off geschehen zu lassen. Die Wirkung ist umso schockierender. Der Zuseher wird ähnlich wie bei einem Haneke-Film dazu gezwungen sich vorzustellen, was genau hinter der großen weißen Türe zum Zimmer des Jungen im Keller geschieht. Die Verstörung entsteht durch die Normalität des Alltags. Die Arbeit, das Essen, das Singen zum Radio im Auto, der Skiurlaub. Würden wir diesen Mann als Vergewaltiger erkennen? Dieser Michael ist keineswegs ein sympathischer Mann. Er ist introvertiert und lächelt kaum. Er hat perfektioniert nicht aufzufallen. Die Beobachtungsgabe von Schleinzer ist absolut beeindruckend. Allerdings hat er es leider nicht vermeiden können die gerade zu Beginn unheimliche Präzision beizubehalten. Eine eher makabere Szene mit einer Katze scheint eher aus einem amerikanischen Psychothriller zu stammen, genauso wie ein für mich in keinster Weise nachvollziehbarer Geschlechtsakt im Skiurlaub. Deshalb halte ich "Der freie Wille" trotz seiner deutlich spürbareren Dramaturgie für den besseren, in sich stimmigeren Film. Wer aber einen Blick in die Seele von Michael wagen möchte, kann dies bedenkenlos tun. Aber man sollte gewarnt sein. Im Gegensatz zu den gewollten Provokationen eines Lars von Triers wird man hier von der Realität provoziert. Deshalb stellt sich auch lange nicht so eine Befriedigung an der Depression ein, wie beim Dänen.

Das Highlight des Kinobesuchs war allerdings eine Familie, die sich schon im Foyer merkwürdig benahmen. Sie machten Fotos voneinander und waren ganz aufgeregt. Schon in den ersten Sekunden des Films meinte die Frau, dass ihr schlecht werden würde. Die Söhne (ca. 20 Jahre alt) tippten über den ganzen Film in ihrem Handy herum. Der Vater äußerte sich immer wieder schockiert. Noch bevor ich mich ernsthaft fragen konnte, wieso sie sich denn dann als Familienfilm etwas derartiges ausgesucht hatten, löste sich das Rätsel von selbst: Sie waren bei einer Szene an einer Gokart-Bahn als Komparsen zu sehen. Und da freuten sie sich dann auch ungemein. Das ist doch mal ein Grund ins Kino zu gehen und sich anspruchsvolle Filme anzusehen! Mein Tipp an alle, die mehr Leute ins Kino bringen wollen: Lasst sie alle mitspielen. Erstaunlich allerdings, dass sie den Film zu Ende sahen bzw. ihre Fotos im Kinosaal zu Ende twitterten. Ich glaube der Vater fand den Film sogar gut. Zurecht.




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