Woody Allen
war es, der in seiner vierten Regiearbeit, „Everything You Always Wanted to
Know About Sex* (*But Were Afraid to Ask)“ die ihm zum endgültigen Durchbruch verhalf,
eine Episode in Form einer Persiflage über das zeitgenössische italienische
Kunstkino einbaute. „Why Do Some Women Have Trouble Reaching an Orgasm?“ hieß
die Vignette, in der es um exakt jenes titelgebende Thema ging und in
existentialistischen Schüben einer Breitbildästhetik mit architektonischem
Framing und rauchend denkenden Männern ihre Verwirklichung fand. Diese Minuten
zeigen einen großen Ironiker an der Schwelle zu dem, was man heute gemeinhin
als seinen Zenit betrachtet, die 70er Jahre. Bo Widerberg dagegen drehte seinen
„Kärlek 65“ (zu deutsch: „Roulette der Liebe“, ein Traum…) in der Hochzeit
jenes Kino der italienischen Existentialisten. Drei Jahre kam „L’eclisse“ von
Michelangelo Antonioni in die Kinos, gar nur ein Jahr zuvor sein erster Ausflug
in eine farbige Extravaganz „Il deserto rosso“. Auch Fellini hatte zwei Jahre
zuvor mit „8 ½“ einen mehr als deutlichen Fingerzeig in die Richtung von
Widerbergs selbstreflexiver Kinomanie gegeben.
Allgemein ist es kein Geheimnis
das jene Zeit von einer großen Bewusstwerdung des Kinos als eine Meta-Figur in
Filmen geprägt ist. Jean-Luc Godard und die Nouvelle Vague allgemein
diskutieren in ihren Filmen die Bedeutung des Kinos an sich, ein Zitat über das
Kino kann plötzlich ein Zitat im Kino werden. Film wird als Filmkritik
verwendet und in Verbindung zu einer opulenten Ästhetik, die den meisten
existentialistischeren Vertretern gemein ist, entsteht so fast ein eigenes
Genre. Zu jenem ist auch Widerbergs „Kärlek 85“ zu zählen, der sich aber
gleichermaßen von Strömungen wie dem Direct Cinema beeinflussen ließ. Außerdem
schwebt in Schweden natürlich das Schaffen von Ingmar Bergman über allem, vor
allem zu jener Zeit als dieser gerade seine dummerweise so genannte „Glaubenstrilogie“
fertigstellte und damit zusammen mit Carl Theodor Dreyer sakrales Filmemachen
spürbar werden ließ. Widerberg dagegen hatte gerade seinen Durchbruch gefeiert
als er mit „Kvarteret Korpen“ unter anderem in Cannes einen Preis gewann. Sein
Filmschaffen zeichnet sich vor allem in der Anfangsphase durch eine
bedingungslose Offenlegung seiner Persönlichkeit aus, die ihn im Zeitalter des
Autorenfilms zu einem gefragten Mann machten. Seine Ästhetik entspricht
eigentlich der von Woody Allen. Er holt sich mehr als nur einmal Inspirationen
bei Fellini oder Antonioni und versucht gewissermaßen die existentialistische
Krise, der sich der Regisseur in Fellinis Magnus Opum „8 ½“ stellt, auf sich
selbst und auf Schweden anzuwenden. Das eigentlich erstaunliche ist, dass es
ihm gelingt neben dem Einfangen eines speziellen Kinomoments in der Geschichte auch tatsächlich so
etwas wie eine tiefergehende Entwicklung in seinem Film anzuzeigen. „8 ½“ wird
hier zwar kopiert, aber scheinbar nur deshalb, weil Widerberg sich tatsächlich
in der Figur des Guido wiedererkannt hat. Er verortet den surrealen Erzählfluss
von Fellini in einer subjektiven Leere, die aus den verschiedenen Frauen im
Leben des Regisseurs (ganz wie bei Fellini, obwohl es nicht so viele sind) eine
Zärtlichkeit und Verletzlichkeit herauskristallisiert, die einmal in
minutenlangen Momenten unmittelbar vor dem Sex mit der Frau eines Freundes zum
Vorschein tritt oder in einer betrunkenen Nacht auf einer Bank.
Ganz wie „Le
feu follet“ von Louis Malle, ein weiterer von Existentialismus durchtränkter
Film, verzichtet Widerberg einige Male auf Subtilität und setzt traurige
Musikpassagen und sehr deutliche Metaphern ein, um seinen Punkt zu machen. Dies
mag man ihm aber genau wie Malle verzeihen, da sein Film dadurch von einer
Stimmung beseelt wird, derer man sich nicht entziehen kann. An dieser Stelle sind
wohl zwei Fragen angebracht. 1. Ist dieser Existentialismus, den man heute als
etwas sehr kinonahes wahrnimmt nicht einfach nur eine Modeerscheinung jener
Zeit? 2. Ist dieser Existentialismus nur deshalb so effektiv für mich, weil ich
mich womöglich im entsprechenden Alter befinde und deshalb auch leicht über die
offensichtlichen Schwächen des Films hinweg schauen kann? Tatsache ist, dass
Widerberg mit seinen formellen Schwankungen zwischen ausladender Bildsprache,
entfremdender Kühle und Direct Cinema Rotzigkeit immer wieder etwas zu
selbstbewusst auftritt. Das Drachensteigen dagegen, ist trotz seiner metaphorischen
Plattheit, ein cineastischer Genuss und Widerberg fängt diese Tätigkeit, der er
schon gemeinsam mit Jan Troell in seinem „Pojken och draken“ nachspürte in
einer wunderbaren Elegie ein, die einen zurückwirft in die romantische
Einsamkeit des Kinos. Und ein Film über das Kino, das ist „Kärlek 65“ mit
Sicherheit. Immer wieder blickt der Regisseur, der von Keve Hjelm gespielt wird
und wie eine intelligentere Version von Nicolas Winding Refn wirkt, durch den
Objektivsucher. Er legt ihn ab, um mit einer Frau zu schlafen. Der Film spricht
mehrfach über Filme und Filmemacher, besonders bemerkenswert in einer sexuell
angeregten Sequenz zwischen der Frau des Regisseurs und dem Schauspieler
Benito, der von Ben Carruthers gespielt wird und mit dem sie sich über seine
Rolle in „Shadows“ von John Cassavetes unterhält. Hier wird die filmische
Realität dann zur Filmrealität und damit zur Realität der Figuren. Vielleicht
mag dieser Film mehr als ein Zeugnis seiner Zeit dienen, für mich aber, spricht
diese Energie, diese Zeit aus einer tiefen Seele und Unruhe, die mich
beschäftigt, inspiriert und verletzt. Wer das Kino todernst nehmen kann, der
könnte sich im Film finden. Es ist vielleicht eine Nostalgie auf eine Zeit, die ich nie erlebt habe. Für alle anderen gibt
es Frauen, die nur an sehr speziellen Orten zum Orgasmus kommen.
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