In den ungewöhnlichen Einstellungen, die Wong Kar-Wai, in
seinen bislang zehn Langfilmen findet, herrscht Konfusion, Freiheit und Gefühl.
Der komplette Look seiner Filme kann sich von einer Sekunde auf die nächste
ändern. Es gibt eine ganz eigene Konsistenz in einem Film von Wong Kar-Wai,
eine die dem Zuseher ein ästhetisches Empfinden vorschlägt, auf das dieser sehr
leicht aufspringen kann und in das er sich verlieben kann, mit dem er sich
identifizieren kann. Sein langjähriger Kameramann Christopher Doyle flucht in
seinem Tagebuch zu „Happy Together“: „I don’t want realistic images, I want
poetic images!“. Wie in einem Labyrinth
müssen Crew und Schauspieler in vielen Filmen den spontanen und impulsiven
Einfällen eines Regisseurs folgen, der vielleicht eine Struktur im Kopf hat,
wahrscheinlich diese aber erst im Schnitt findet und selbst dann ist Struktur
nicht strukturiert, sondern voller Leben und Spontanität. Die Idee erwächst aus
einzelnen Bildern und vor allem Songs. Lieder, die das Kino des
Hongkong-Regisseurs so sehr prägen. Yo me muero por tu amor. Vielleicht gibt es
wenige zeitgenössische asiatische Filmemacher, über die so viel geschrieben wird
wie über Wong Kar-Wai. Das könnte daran liegen, dass seine Filme die
subjektiven Erfahrungswelten der Filmkritiker und Autoren hervorrufen, die
versuchen zu greifen, was man im Film und im Kopf so schwer zu greifen vermag.
Es bereitet eine ungeheure Freude über die starbesetzten Filme zu schreiben,
man fühlt sich angesprochen und möchte sich ausdrücken. Die Spiegel in seinen
Filmen weisen nicht nur auf Eleganz und Oberflächlichkeit der Figuren hin, sondern
auch immer auf den Film und den Zuseher selbst. Eine Rahmung bei Wong Kar-Wai
ist kein Gimmick, sie ist Wesen seines Kinos, einer verschachtelten Wahrnehmung,
in der sich Poesie in den kleinen Spalten öffnet, die zwischen der blockierten
Sicht entstehen, die Realität als Traum begreifen.
Leslie Cheung kündigt in „Days of Being Wild“ der
schüchternen Soft Drink Verkäuferin gespielt von Maggie Cheung an, dass er in
ihren Träumen vorkommen wird. Er jagt auch die Träume von Tony Leung in „Happy
Together“. Träume und Erinnerungen, die spätestens in „2046“
verschwimmen. I’ve heard
that there’s a kind of bird without legs that can only fly and fly, and sleep
in the wind when it is tired. The bird only lands once in its life…
that’s when it dies. Alles
fliegt und schwebt und ist möglich. Zeitungen wenden sich auf Motorhauben,
Menschen tanzen und töten, ein Flugzeug fliegt durch ein Zimmer, eine Zigarette
wird vom Feuer der Augen alleine angezündet. Dabei sollte man genau zusehen,
denn vielleicht passiert die entscheidende Berührung, der entscheidende Blick
immer dann, wenn man es nicht erwartet.
Im Zentrum fast aller seiner Filme und sicherlich aller
seiner besseren Filme steht die Liebe. Man muss vorsichtig sein mit diesem
Wort, aber sicherlich nicht bei Wong Kar-Wai. Er zeichnet Liebe in ihrer ganzen
romantischen Konnotation und Grausamkeit. Auffällig dabei ist, wie der
Regisseur Liebe als zeitliches Element begreift, wie sich die ganze zeitliche
Struktur seiner Filme über ihre Romantik definiert und wie so das eigentlich
herrschende Chaos zu einer Art Linearität und Chronologie gebracht wird. Der
Grundstoff von Filmen ist Zeit und jener der Filme von Wong Kar-Wai ist die
Liebe. Es liegt also äußerst nahe, dass in „Chungking Express“ über das
Ablaufdatum einer Liebe sinniert wird. Wie ist das Verhältnis von Zeit und
Liebe? Dieser Frage gehen fast alle Filme von Wong Kar-Wai nach. In „2046“
überwältigt die Trauer, der Verlust einer gescheiterten und unmöglichen
Beziehung, von der in „In the mood for love“, einem Film, der seine
romantischen Augenblicke an bestimmten Tagen im Jahr festmacht, eine Strukturierung
der Liebe, zu der Wong Kar-Wai immer wieder zurückkommt. erzählt wird. Liebe
könnte hier eine Erinnerung sein, Liebe könnte eine Dystopie sein, sie scheint
aber auf keinen Fall an die Gegenwart gebunden. Eigentlich müsste man genauer
schreiben, dass Liebe bei Wong Kar-Wai nicht an der Zeit hängt, sondern an der
verlorenen Zeit. Diese läuft eben ab. “Love is all a matter of timing.”, heißt es in
“2046”. Kein Wunder,
dass sich das Liebespaar in “Fallen Angels” in einer zeitlichen Verschiebung
kennenlernt, einem „am selben Ort zu unterschiedlichen Zeiten sein und dabei
die Präsenz des Partners spüren“.
In “Chungking Express” müssen gerade mal sechs Stunden
vergehen bis aus einer Intimität mit einem Mann, eine Liebe zu einem anderen
Mann entsteht. Dagegen scheint es in „Ashes of Time“ unmöglich zu vergessen,
weil die Erinnerung, wie ein Geheimnis, das wir in einen Felsen sprechen eben
nicht stirbt. Das ist die melancholisch-romantische Rettung für Wong Kar-Wai,
der seine Liebe mit Zeit zerstört und dann in der Zeit konserviert. In „Days of
Being Wild“ kann eine Minute alles verändern. Man kann sich in ihr verlieben
oder in ihr Liebe vergessen. Was ist diese Minute? Ich denke dabei an Ingmar
Bergmans „Vargtimmen“ und wie man eine Minute erleben muss, darf und soll. Das
Ablaufen der Zeit ist bei Wong Kar-Wai ein Verlaufen der Gefühle. Gleichzeitig
aber eine Art Karte, die durch das Labyrinth seiner emotionalen Bilder führt,
denn wenn Zeit so sehr zersetzt und zersetzt wird, dann müssen mit ihm auch die
Räume zerfließen, wie die Iguazú-Lampe in „Happy Together“ oder die nassen
Fensterscheiben in „My Blueberry Nights“.
„Wir könnten es nochmal versuchen“, sagt Leslie Cheung. Was
heißt nochmal? Bei Wong-Kar Wai kann das nicht für immer heißen, es kann auch nicht
in Zukunft heißen, nochmal heißt immer jetzt in dieser Sekunde. In
sekundenlangen Blicken, nur von Zeitlupen und Walzertönen spürbar gemacht in „In
the mood for love“ herrscht die absolute Gegenwart, die sich vor den Augen des
Zusehers und der Protagonisten im Moment ihrer Entstehung verflüchtigen. Es ist
als würde uns der Regisseur sagen, dass Liebe in Momenten entsteht, in denen
sie schon wieder vergangen ist. Liebe ist ein hypnotischer Zustand in
seinem Kino. We overcome in sixty seconds with the strength we have to together.
But for now, emotional
ties, they stay severed. Die Zeitlupensequenzen, die Vordergrund und Hintergrund
in unterschiedlichen Geschwindigkeiten wiedergeben, sind nicht nur ein stilistisches
Markenzeichen der Filme, sondern auch ihr Herzschlag, denn die Liebe und Zeit
in den Filmen unterliegt auch immer einer subjektiven Wahrnehmung, die je nach
Pulsschlag des Zusehers verschieden wahrgenommen wird. Wenn Film eine Form der
Wahrnehmung ist und Zeit dafür essentiell ist, dann ist die Wahrnehmung bei Wong
Kar-Wai, die eines oder mehrerer Liebender. Sie ist durchzogen von kräftigen Farben, von Helligkeit und Dunkelheit, sie ist in jeder Sekunde immer völlig auf ein inneres Gefühl gerichtet.
Aber man muss ehrlich sein. Die Figuren bei Wong Kar-Wai sind
meist alleine, sie sind eitel und ich-bezogen, sie sind grausam und einsam.
Seine Liebe besteht selten aus Nähe und Ehrlichkeit, sondern meist aus
Melancholie und Sehnsucht, im Endeffekt aus Schmerzen. Hinter dem romantischen
Ansatz seiner träumerischen Farben und Figuren versteckt sich die
Hoffnungslosigkeit eines fatalen Ideals, einer Romantik, die nie zur Vollendung
kommen wird. Wenn es bei Gaspar Noé heißt: „Die Zeit zerstört alles“, dann
heißt es bei Wong Kar-Wai „Die Liebe zerstört alles“.
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