Auch am Ende
des 2.Tages tauschen sich Rainer und ich wieder über unsere Erlebnisse auf der
Diagonale aus. Der erste Tag war geprägt von vielen unterschiedlichen
Filmerlebnissen und dem Kennenlernen des Festivalablaufs im beschaulichen Graz.
Rainer: Ich
weiß du magst so etwas nicht - aber: Was war dein Favorit für den heutigen Tag
2?
Patrick: Das
ist insbesondere heute eine schwere Frage, weil ich selten einen Tag erlebt
habe, an dem ich so zufrieden war. „La Vie rêvée des anges" in der Agnès
Godard Retro hat mich tief getroffen und mitgerissen. Das Kino hat da pulsiert.
Wahnsinn. Aber „Calle López" von Lisa Tillinger und Gerardo Barroso Alcalá
war einfach nur einer dieser Filme, die ich selbst gerne gemacht hätte.
Dokumentarfilm wie er sein sollte. Hast du auch weitere Dokus gesehen?
Rainer: Ja!
Stefan Ruzowitzkys "Das radikal Böse" - den würde ich dir gerne ans
Herz legen - nicht nur weil er mir gut gefallen hat (das wäre vielleicht eher
ein Grund der dagegen sprechen würde), sondern weil ich gerne wüsste, was du
davon hältst, wenn Ruzowitzky sämtliche Mittel des Dokumentarfilms ins Feld
führt (von Talking Heads bis Reenactments und Voice-Over Narration war alles
dabei). Darüber hinaus behandelt der Film den Prä-Gaskammer-Holocaust - ein
Thema das meines Erachtens oft vernachlässigt wird, obwohl es für ein Drittel
aller Opfer verantwortlich ist. Ebenfalls am heutigen Programm stand Ruth
Beckermanns "Those who go Those who stay", eine Art Travelogue, der
durch Raum und Zeit mäandert (O-Ton Alejandro Bachmann). Für mich war es eine
Art Rätselrallye, aber der Film ist sehr von der subjektiven Perspektive des
Rezipienten abhängig.
Patrick:
Also Beckermann interessiert mich sehr viel mehr als Ruzowitzky, aber mal
sehen. Zusammen waren wir ja in Benjamin Heisenbergs "Über-Ich und
Du". Wie hat er dir gefallen?
Rainer: Eine
launige Buddy-Komödie, die sehr viel an Potenzial verschenkt. Für mich sah der
so aus, als ziele man auf leichtverdauliche Kost, die gut fürs
Hauptabendprogramm wiederverwertet werden kann. Deshalb wird die Psychologie
als Gimmick und Gag-Garant eingebracht, aber nicht wirklich näher darauf
eingegangen. Ohne die beiden tollen Hauptdarsteller könnte man sich den Film
wohl kaum ansehen.
Patrick: Ich
denke, dass da schon noch mehr Qualitäten waren wie etwa der wundervoll jazzige
Score, den man so sehr selten in unseren Gefilden zu hören bekommt und der
merkwürdige Dialog zwischen Berliner Schule Ästhetik durch die Kamera von
Reinhold Vorschneider und der eigentlich leichten Kost. Ich glaube auch nicht, dass
da Potenzial verschenkt wurde, weil Heisenberg genau sowas machen wollte.
Besonders die bemühte Buddy-Konstellation im französischen Stil hat dieses
Bemühen um eine konstruierte Intelligenz angezeigt, die zur Über-Intelligenz
und Nichts geführt hat. Im Werk von Heisenberg eine interessante Entwicklung,
die er nicht fortführen muss in meinen Augen. Jedenfalls habe ich heute kaum
wirklich österreichische Filme gesehen. Hat sich deine Meinung zum Publikum
denn heute verbessert?
Rainer: So
leicht kommst du mir nicht davon. Selbst wenn Heisenberg darauf abgezielt hat
ist es, wie du ja selbst feststellst, nicht unbedingt ein begrüßenswerter
Schritt. Die Buddy-Konstellation an sich hätte mich ja gar nicht gestört, aber
diese seltsame Sache mit der psychischer Übertragung und was zum Teufel sollten
die Heißluftballons? Für mich steht dahinter ein großes "Warum?" Aber
um noch kurz deine Frage zu beantworten: das Publikum war heute ganz brav (bis
auf zwei läutende Handys).
Patrick: Ich
habe die Heißluftballons genau wie die vermischten Dialekte und manches mehr
als eine ironische Kritik am Identitätsbegriff und am Identitätssuchen in
Deutschland verstanden. Das Sprechen über die Vergangenheit, obwohl wir immer
wieder davon sprechen, war auch Teil dieser Strategie. Diese Leute, die von
dort oben herab sehen, die Lokalitäten von außen betrachten, die nicht wirklich
in der Welt sind. Das ist ein zutiefst deutsches Phänomen. Das größte Problem
für mich war, dass der Film kaum lustig war.
Rainer: Ich
konstatiere Faulheit: Die Schauspieler alle ihren eigenen Dialekt sprechen zu
lassen, und sich dann noch dafür zu feiern - dem kann ich mal gar nicht ab. Die
Heißluftballons (waren die eigentlich animiert oder sahen die aus anderen
Gründen so Scheiße aus?) als Schenkelklopfer zwischendurch, etc. Wie gesagt
finde ich es schade, dass die Akribie mit der bei der Wahl der Räume und der
Ausstattung vorgegangen ist, sonst kaum im Film zu sehen ist.
Patrick:
Dagegen muss ich nochmal was einwenden. Faulheit ist das sicher nicht. Ich hatte
beim Film eher den Eindruck, dass zu viel nachgedacht wurde über verschiedene
Dinge. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass man sich bei so einer krassen
Vermischung an Dialekten (München, Österreich, Frankreich…) nichts überlegt
hat? Ich glaube nicht, dass ein Schenkelklopfer am Schluss auf den Film stürzt.
Rainer: Also
wenn die Heißluftballons nur im Film sind, dass am Ende einer auf die beiden
abstürzen kann, ohne dass es (noch) willkürlich(er) wirkt, dann hat der Film
sowieso jeglichen Kredit bei mir verspielt.
Patrick:
Warum sie dort sind, habe ich versucht dir zu erläutern. Und meine These wird
unterstützt davon, dass es am Ende zu einer Vermischung des Über-Ich und des
Dus kommt. Aber lassen wir das. Ich mochte ihn ja auch nicht besonders.
Rainer:
Jetzt haben wir so viel über Filme gesprochen. Ein Festival ist aber natürlich
mehr als die Filme, die gezeigt werden. Meine Highlights des heutigen Tages:
Die Festivaldirektorin fährt mit dem Rad, Kebab kostet hier 2,50 und nach vier
Langfilmen frischt mich ein Kurzfilmprogramm mit anschließendem einstündigem
Publikumsgespräch noch so richtig auf. Außerdem hab ich es geschafft am ersten
echten Festivaltag allen vier Spielstätten einen Besuch abzustatten, was bei
den Entfernungen zwischen den Kinos her einen beträchtlichten Reiseaufwand zur
Folge hatte.
Patrick: Ich
habe jetzt schon wieder einen Hass auf Q&As entwickelt. Insbesondere bei
Agnès Godard, einer hochsensiblen und wunderbaren Künstlerin hat es mir fast
Leid getan, dass sie nach diesem Magenschlag des Films dort vorne in einer
spannenden Art über den Film sprach und ich einfach nichts hören konnte und
wollte.
Rainer: Ich
mag Q&As eigentlich ganz gerne. Da bekommt man dann ein Gesicht zum
Filmemacher. Und im Falle des Innovativen Kino 1-Programms war es auch echt
witzig. Kurdwin Ayub und auch Friedl vom Gröller waren echt lustig und gerade
bei Avantgarde Filmen macht es Sinn, die Filmemacher danach auch darüber reden
zu hören. Auch Beckermanns Ausführungen zu ihrem Arbeitsprozess waren sehr
erleuchtend.
Patrick: Ich
würde gerne erst fühlen, dann reflektieren und dann andere Meinungen hören. Bin
schon interessiert an den Filmemachern logischerweise, aber diese Momente
unmittelbar nach dem Film werden davon zerstört. Es war sehr wenig los bei
meinen Vorführungen, selbst „Grand Central“ mit Starpotenzial und zu einer
guten Zeit war nicht ganz gefüllt. Was Godard und auch Heisenberg über ihre
Filme gesagt haben, war wertvoll und gut, aber es hat meine eigenen Reaktionen
auch direkt beeinflusst. Und darauf habe ich keine Lust. Aber ich muss ja nicht
bleiben. Ein letztes würde ich dann noch ansprechen: Heute in „Calle López“ ist
mir noch etwas zum Eröffnungsfilm „Das große Museum“ aufgefallen: Der Blick von
Johannes Holzhausen kommt da von sehr weit außen und er blickt auf Menschen,
die sich seinem Blick bewusst sind, die zu teilen in der Öffentlichkeit stehen
und er blickt auf Menschen, die sich kaum bewegen. Ein Blick auf eine ständige
Unruhe, arme Menschen am Rande der Zivilisation scheint mir da deutlich einfacher.
Die Frage muss aber immer auch sein wie begegne ich meinem Subjekt. Und das
fand ich bei Holzhausen respektlos und wenig ausbalanciert und in „Calle López“
eigenwillig, zurückhaltend und trotzdem unendlich viel näher. Ich weiß, dass du
den Film nicht gesehen hast, aber vielleicht kannst du etwas dazu sagen wie die
beiden Dokus heute deinen Blick auf die gestrige Doku womöglich verändert
haben.
Rainer:
Freue mich schon auf "Calle López", der steht eh noch auf meinem
Plan. Am offensichtlichsten ist wohl ein Vergleich mit "Those who go Those
who stay" - Holzhausen saß da sogar im Publikum und die beiden Filme sind
beide vom Cutter Dieter Pichler geschnitten worden, der auch am Q&A
teilnahm. Beckermann hat gesagt, und das sieht man dem Film auch an, dass Filmemachen
für sie ein organischer Prozess ist, der zwar eine lange Vorlaufzeit braucht,
aber wo Pläne nicht allzu konkret werden dürfen. Rigide Drehpläne schließen den
Zufall aus, der in Dokumentarfilmen so unendlich wichtig ist. "Those who
stay Those who go" ist natürlich ein Extrembeispiel, da er bewusst
fragmentiert gebaut ist, aber auf was ich eigentlich hinauswill ist, dass diese
Spontanität "Das große Museum" fehlt. Das wirkt alles klarer,
stringenter, geplanter. Das stört mich vielleicht mehr an dem Film, als die
Kritikpunkte, die du gestern hervorgebracht hast. Mit "Das radikal
Böse" ist der Film eigentlich nicht zu vergleichen.
Patrick: Aus
fehlender Spontanität kommt dann doch aber ein solcher reduzierender und
reduzierter Blick. Also so weit weg ist das nicht von meinen Kritikpunkten von
gestern. Ich glaube an die Poetik einer Beobachtung und ich habe sie heute an
vielen Stellen gesehen. Ich freue mich auf morgen.
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