Im Falle von
„Her“ kommt die „Misery“ vor der „Music“. Denn wir sehen Theodore (Joaquin
Phoenix) zuerst allein, gedankenverloren, traurig in seinem Büro sitzen, bevor
er im Aufzug sein Computer-Smartphone-Device-Dings (dazu gleich mehr) anweist
einen melancholischen Song zu spielen. „When You Know You’re Gonna Die“ von
Arcade Fire ertönt, Theodore entscheidet sich dann doch für Will Collins‘
„Alien Child“.
Der Film
spielt in einer nahen Zukunft, in der, und so abwegig ist das gar nicht,
personalisierte Betriebssysteme („operating systems“, kurz OS) als persönliche
Assistenten fungieren. Sie empfehlen Lieder und Restaurants, verwalten E-Mails
und Termine und geben auch sonst hilfreiche Tipps. Gesteuert werden sie mittels
Sprachsteuerung und kommunizieren über Sprachausgabe mittels eines kleinen
Ohrhörers. Das OS ist plattformübergreifend (Arbeits-PC, Home-Entertainment,
und ein Smartphone-artiges Gerät sind alle miteinander verknüpft) und
allgegenwärtig im Leben von Theodore, und vermutlich dem Rest der Welt.
Annahmen über die Lebensumstände anderer Menschen in der Welt von „Her“ zu
machen, ist jedoch schwierig. So allgegenwärtig wie das OS in Theodores Leben
ist, so allgegenwärtig ist Theodore im Film. Kaum eine Einstellung kommt ohne
ihn aus, selbst „establishing shots“ arrangiert Regisseur Spike Jonze oft so,
dass Theodore im Bild ist.
Theodores
Lebenswelt bietet aber faszinierende und daher lohnende Einblicke in eine
nicht-so-ferne Zukunft. Medieninstallationen sind allgegenwärtig, die
Architektur ist farbiger wenn auch klinischer geworden und elektronische Helfer
dominieren den Alltag noch stärker als heute. Oberflächlich betrachtet, mag
„Her“ wie Kritik an der fortschreitenden Technologisierung des Privaten wirken:
Statt das echte Leben zu leben, stürzt man sich in eine virtuelle Parallelwelt.
Ich würde nicht sagen, dass es so einfach ist. Vielmehr haben wir es hier mit
einer Charakterstudie zu tun, die fantasievoll und teils mit
Science-Fiction-Elementen, ähnliches thematisiert wie wir es aus der Filmgeschichte
bereits kennen. Einsamkeit, Trennungsschmerz und unorthodoxe sexuelle Vorlieben
sind nichts Neues, die technischen Neuerungen der letzten Jahre haben Jonze
aber zu etwas inspiriert, das so noch nicht da war.
Theodore ist
von seiner Frau verlassen worden, und als wir ihn treffen, noch nicht annähernd
über diese Trennung hinweg. Um sich abzulenken besorgt er sich die aktuellste
OS-Version. Diese hat eine natürliche menschliche Stimme, so etwas wie eine
Persönlichkeit und ist lernfähig. Wieder einmal ein Film, in dem der Traum von
A.I. in Erfüllung gegangen ist.Theodores OS
spricht mit der sexy, leicht kratzigen Stimme von Scarlett Johansson und tauft
sich selbst Samantha.Mit Charme,
Wortwitz und einem großen Verständnis für Theodores Probleme erobert Samantha
sein Herz und die beiden befinden sich schon bald in einer Beziehung. Der echte
Mensch und die körperlose, künstliche Entität.Wie so oft
in derlei Anordnungen entpuppt sich das künstliche Wesen schon bald als
menschlicher und emotionaler als der Mensch – das ist die tragische Seite von
„Her“.
Der Film hat
aber eine absurde, komische Seite. Ich würde in diesem Fall nicht von einer
Komödie sprechen, aber Theodores bizarre Beziehung zu seinem OS führt zu ein
paar netten One-Linern („…and now he’s madly in love with his laptop!“) und zu
sehr skurrilen Situationen (mein Favorit: das Double Date-Picknick). In diesen
Momenten meint man sich in einem Drehbuch von Charlie Kaufman. Die letzte
Zusammenarbeit der beiden ist zwar bereits über zehn Jahre her, Jonze kann
dessen Einfluss aber nicht abstreiten.Ein
Kaufman-Film ist es aber dann doch nicht. Dafür fehlen die großen Ideen und
eine Prise Wortwitz. Wie bereits erwähnt ist „Her“ zwar ein erfrischend neuer
Versuch eines Liebesdramas über einen leicht nerdigen Einzelgänger, aber Jonze
erfindet das Rad nicht neu.
Dafür kann
man den Film auf der visuellen Ebene zu den Großen zählen. Wer Liebesfilmen
keine großen Bilderwelten zutraut, wird hier eines Besseren belehrt. Der Stil
des Films ist vom Hochhaus bis zum Lampenschirm stimmig. Die nicht-näher
spezifizierte Zukunft sieht aus wie die neue Wirtschaftsuniversität in Wien.
Wem das nicht gefällt, muss wenigstens zugeben, dass es etwas ungezwungen
Futuristisches an sich hat. Man kann nur hoffen dass DP Hoyte van Hoytema
dieses Niveau auch in Christopher Nolans nächstem Film „Interstellar“ hält,
wenngleich er es dort wohl mit einer weniger farbenfrohen Umgebung zu tun haben
wird (v.a. wird der Hauptcharakter nicht andauernd rote Hemden tragen).
Hinzuzufügen ist vielleicht noch, dass in Jonzes Zukunftsvision der ehemals
alternative Hipster-Style den Mainstream endgültig erobert hat, weshalb die
Mehrzahl der Menschen im Film wie Idioten angezogen ist – da wünscht man sich
fast körperlos zu sein.
Na, wenn du es sagst.
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