In meiner dritten Visconti-Besprechung beschäftige ich mich
mit seinem dritten Langspielfilm „Bellissima“ aus dem Jahr 1951. Nach „Ossessione“
und „La terra trema“ betrachtet Visconti darin deutlich weniger subtil zwei
konträre Welten. Auf der einen Seite eine Arbeiterfamilie, in deren verbales
und pochendes Zentrum er die große Frau des Neorealismus, Anna Magnani stellt
und die Welt der Cinecittà, das große italienische Filmstudio, wo Träume verkauft
und unsensible Entscheidungen getroffen werden. Den extremen Wandel von den
armen Fischern in Sizilien aus „La terra trema“ zu dieser hektischen, römischen
Welt ist, muss man erst verdauen. Fast möchte man aufschreien, man sehnt sich
zurück ans Meer, an die stillen Bilder. Davon gibt es in „Bellissima“ nicht
viel. Immerzu wird gerannt, geschrien, mit Fächern gewedelt und gelacht.
Speed-Dialoge geben ein ironisches Bild von der italienischen Seele. Humor ist
dem Neorealismus sicher nicht fremd und hier gibt es eine ganze Menge davon.
Von Streitereien über die Fußballmannschaften Roms bis hin zu hysterischen und
augenzwinkernden Gefühlsausbrüchen und dem Bedienen diverser Frauen- und
Männerklischees verlässt Visconti die dürstende und düstere Kargheit seiner
bisherigen Filme. Dadurch fühlt man sich als Zuseher überlegener, ja fast etwas
distanziert und vermag selten in die Hoffnungslosigkeit, der zu humoristisch
gezeichneten Figuren eintauchen. Es geht um Maddalena, eine filmbegeisterte
Frau aus einer Arbeiterfamilie, die durch einen Castingaufruf die große Chance
für ihre kleine Tochter Maria sieht, dem Arbeiterleben zu entrinnen. Sie
unternimmt alles für den Ruhm, gibt alle Ersparnisse auf, lässt sich auf einen
Flirt mit einem der Filmleute ein, zahlt Bestechungsgeld, versucht alles aus
ihrer Tochter herauszuholen. Dabei verliert sie allerdings nie die Liebe zu
ihrer Tochter. Es ist klar, dass die moralisch-humanistische Keule am Ende des
Films zuschlägt. Ähnlich wie Paul Thomas Anderson in „Magnolia“ stellt Visconti
die Frage nach der Rolle von Kindern im Leben ihrer Eltern und auch die Frage
nach Kindern im Showgeschäft.
In einer zentralen Szene lachen die Filmmenschen über die
echten Tränen von Maria bei einer Projektion der Probeaufnahmen. Maddalena
beobachtet die Männer fassungslos aus dem Projektionsraum. Doch genau diese
falsche Echtheit ist es, die der Regisseur des Films sucht. Was heißt hier
Schönheit? Schönheit als Ausnutzung von Unschuld, die dann auf der Leinwand
festgehalten werden kann. Schönheit als ein persönliches Empfinden. Schönheit
als Schwäche, die man zur Echtheit filmisch verändern kann. Fast richtet Visconti
hier den Spiegel auf sich selbst, sein eigenes Schaffen, denn schließlich
scheint auch er sich der echten Tränen seiner jungen Schauspielerin zu
bedienen. Hierin schlägt das emotionale und auch kritische Herz von „Bellissima“.
Die Filmindustrie und streng genommen das gesamte Filmschaffen werden von
Visconti hinterfragt. Dabei verlässt der Film kaum satirische Bahnen. Das
Drehbuch, das nach einer Idee von Cesare Zavattini („Ladri di biciclette“)
entstanden ist, bewegt sich durchgehend am Rande des Nervenzusammenbruchs. Und
nicht nur hier liegt eine Parallele zum frühen Schaffen eines Pedro Almodóvars,
denn in Anna Magnani findet Visconti eine starke und zugleich zerbrechliche
Frau, einen Magneten für seine Kamera, dem er eine zutiefst weibliche Rolle
gibt, die eben nicht den männlichen Blicken alleine genügt, sondern etwas
darüber hinaus sein darf und will. Es entsteht eine differenzierte Person mit
Stärken und Schwächen und einer erstaunlichen Gabe zur Selbstbetrachtung.
Glaubt man lange Zeit, dass Maddalena naiv ist, wird man eines besseren
belehrt, als sie dem Filmproduzenten in einer weiteren bemerkenswerten
Uferszene im Kino von Visconti zu seinem guten Deal gratuliert und weiß, dass
dieser das Geld lediglich dafür verwendete sich selbst ein Moped zu kaufen
statt es für das Wohlwollen von Maria auszugeben. Eine falsche Heiligkeit
haftet ihr an, wenn sie sich scheinbar damit tröstet, alles für ihre Tochter
getan zu haben. Diese Frau funktioniert allerdings nicht, wenn sie zu sehr
monologisiert und fast selbst eine Lektion im Schauspiel zu geben scheint. Ein
stiller Moment wie in Visconti in seinen beiden ersten Langfilmen gesucht
hätte, wäre auch in „Bellissima“ von Wert gewesen. Spannend dagegen wie Magnani
oft mit dem Off-Screen kommuniziert und dabei zugleich einen unsichtbaren
Partner und den Zuschauer direkt anzusehen scheint. Sie spielt mit uns und
damit wird nicht nur der komödiantische Faktor des Films erhöht, sondern auch
seine Wahrhaftigkeit, denn Magnani vermag sich zu offenbaren.
Zum Teil fühlte ich mich sehr an die jüngsten Autorenfilme
aus Italien von Regisseuren wie Matteo Garrone und Paolo Sorrentino erinnert.
Der satirische Blick auf das römische Leben, der Blick hinter die Kulissen der
Cinecittà, der Traum von einem schönen Leben, der ein Traum bleiben muss, um
weiter zu existieren. Doch statt dem Flüchten in die Fantasie wie in Garrones „Reality“
steht am Ende von „Bellissima“ eine Rückkehr zur Realität. Der Zauber von der
großen Leinwand (bei Garrone dem Fernsehen) atmet selbst, wenn man ihn
durchschaut. Es repräsentiert eben nicht nur den Traum von Gefühlen, sondern
auch einen materialistischen Traum. Berühmtheit steht 2013 J in einer merkwürdigen
Strömung irgendwo zwischen Warhols realisierter Utopie, das jeder für einige
Momente Berühmtheit erlangen kann und eigentlich jeder jederzeit Kunst schaffen
kann, über den Überschwall an Castingshows und der daraus resultierenden
Gleichgültigkeit gegenüber Berühmtheit in großen Teilen der Gesellschaft, die
auch damit zu tun hat, dass es hunderte Stufen von Fame gibt. Trotzdem gereicht
die moralische Keule am Ende von „Bellissima“ zur vollen Entfaltung, während
die kunstvolle Flucht am Ende von „Reality“ eher als Kunstwillen aufgefasst
werden kann. Der Grund dafür ist, dass Visconti etwas über Maddalena erzählt.
Ihre Akzeptanz des eigenen Lebens ist keine Aufgabe, sondern eine neue
Herausforderung. Kommunistische Vögelchen zwitschern da natürlich von den
Visconti-Dächern, aber der Coup von Visconti ist, dass er über die Tochter, das
Kino und 109 Minuten Geschrei tatsächlich etwas über eine Frau herausgefunden
hat.
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