Nun ist er also in den Kinos: Der neue Film des größten
Kinofanatikers unserer Zeit. Dabei kann man sich auf drei Dinge verlassen, wenn
man in einen Tarantino-Film geht: Musik, Gewalt und Dialoge. Aber das sind nur
oberflächliche Methoden und Begriffe für das, was sich darunter abspielt. Die
Musik bei Tarantino steht in der Art und Weise wie er sie verwendet für eine
Reflexivität des Films allgemein und seiner Genres. Die Gewalt steht für das
Fest des Kinos, das Tarantino mit jedem Film abzufeuern versucht. Und die
Dialoge stehen für seine Charaktere.
Man könnte auch sagen: Tarantino, das ist der letzte
Autorenfilmer für die Massen. Seine Filme haben sich inzwischen schon ein Label
erarbeitet, sie atmen eine ganz bestimmte Luft, in der alles möglich scheint
und die sich mit dem Zuseher verbündet; eine Luft, in der Gewalt zu Lachen
führen kann, weil sie stilisiert und kommentiert wird. Da gibt es ein
pointiertes, den Schnitt unterstützendes Sounddesign, Zeitlupensequenzen und
eine popkulturelle Orgie der Anspielungen und Referenzen, der Verbeugungen und
Erwähnungen. Seine Geschichten filmt er fragmentarisch, in kurzen Episoden, ja
fast Sketchen. Doch macht immer noch der wahnsinnige Videonerd diese Filme?
Oder ist etwas passiert?
„Django Unchained“ ist auf dem Papier ein Western, der sich
mit der Sklaventhematik kreuzt. Aber nur auf dem Papier. Filmisch verarbeitet
ist da kein Western mehr, sondern lediglich ein Tarantino-Film. Aber ist das
schlimm? Im Folgenden werde ich die oben genannten Aspekte
Musik
Gewalt
Dialoge
in „Django Unchained“ betrachten.
MUSIK
Um es philosophisch auszudrücken: Tarantinos Bezüge zu
anderen Filmen haben sich so in ihr Gegenteil verkehrt, dass ein Bezug zu
irgendeinem Film nicht mehr als typisch für diesen oder jenen Film anzusehen
ist, sondern als typisch für Tarantino. Wenn plötzlich Filmmusik aus anderen
Filmen oder Johnny Cash im Wilden Westen zu hören sind, dann ist das schon
lange keine Besonderheit mehr, bei der man nach Gründen und Motiven sucht,
sondern es ist schlicht und einfach Tarantino. Damit eliminiert sich das
Meta-Kino gewissermaßen selbst. Die Zitate werden gar nicht mehr als solche
wahrgenommen. Wenn man die zahlreichen Anspielungen zu den Django-Filmen,
diversen Spaghetti-Western, „Birth of a Nation“, „Butch Cassidy and Sundance
Kid“ usw. sieht, dann bemerkt man sie für die Dauer einiger Sekunden, manchmal
völlig aus dem Kontext gerissen. Ein Zitat dem Zitat zu Liebe. Das Bedauerliche
daran ist, dass dadurch wiederkehrende Motive in den Filmen von Tarantino
selbst wie Zitate wirken. Ein Beispiel aus „Django“ wäre das Thema des
Rollenwechsels und Rollenspiels, dass er unter anderen in „Reservoir Dogs“ oder
„Inglorious Basterds“ mehr oder weniger gleich anwendet. Soll ich das jetzt als
Handschrift eines Autors oder als gelangweiltes Selbstzitat sehen? Eigentlich
wirkt der ganze Film wie eine möglichst geschickte Aneinanderreihungen von
Zitaten, egal ob auf das Westerngenre, irgendein Genre oder sich selbst
bezogen. Das ist aber nicht ausschließlich negativ, denn damit wird auch ein
eigener Kosmos erschaffen, eine eigene Welt.
Schade ist nur, dass deshalb so
gar kein Western-Feeling aufkommen mag. Hierbei geht es mir nicht, um die
offensichtlichen mit Hip-Hop Musik untermalten Sequenzen, sondern um ein
ganz spezielles Versäumnis, das man bei einem solchen Cineasten niemals
erwartet hätte: Die Ruhe der Wüste, die Breite des Bildes und das epische
Potenzial des Stoffes, dass sich IMMER um einen einsamen Helden bewegt. Diese
werden allesamt nicht eingefangen, sind aber fester Bestandteil von einer
amerikanischen Western-Mythologie. Vielmehr scheint Tarantino zu versuchen das
Genre zu brechen. Letztlich bricht er sich aber damit selbst, weil sein
Drehbuch eben all jenen nicht-visuellen, rein narrativen Westernmotive enthält;
oder soll man besser sagen: Alle Zutaten? Und genauso wirkt auch die Musik in
„Django Unchained“. Egal wie ungewöhnlich oder mutig, es ist eben gewöhnlich
für Tarantino, er scheint sich mehr oder weniger selbst zu zitieren; die Art,
wie er insbesondere durch die erste Hälfte des Films schneidet, zeigt wie
abgekocht er schon mit dem Publikum umgeht. Man hat fast das Gefühl, dass der
Film Pausen für Lacher lässt, es geht Tarantino nicht mehr darum einem Genre
oder bestimmten Konventionen gerecht zu werden beziehungsweise damit zu
spielen, es geht ihm nur mehr um den Effekt, den er damit erzielt. Die Folge
ist, dass es sich bis zur Ankunft in Candyland um eine sehr gute Komödie
handelt; nicht aber um einen Western und deshalb auch nicht um einen
Tarantino-Film, wie es ihn schon gab.
GEWALT
Allerdings finden sich viele Aspekte des klassischen
Tarantino-Kinos auch in „Django Unchained“, der auch weit davon entfernt ist
ein schlechter Film zu sein. Eine dieser Aspekte ist Gewalt oder anders
ausgedrückt: Die Art und Weise, wie Tarantino das Kino zelebriert. Verzögerung
und Beschleunigung, Laut und Leise, Schnelle Bewegungen und Bedachte
Bewegungen; diese Kontraste präsentiert der Film in Perfektion. Immer wieder
wartet man auf die Explosion, man spürt die Umgebung, in der sich die
Charaktere befinden. Die Einstellungen sind völlig klar und selbst wenn man
merkt, dass hier und da gekürzt wurde, um den Film wenigstens knapp unter drei
Stunden zu halten; es ist auch die Art und Weise, wohin die Kamera blickt: Ein
Mann wird auf einem Pferd reitend erschossen. Man folgt nur den Hufen des
Pferdes. Einzelne Schüsse sind zu hören und das Schnauben und Galoppieren des
Pferdes. Ab und an spritzt etwas Blut durchs Bild, dann fliegt am linken
Bildrand der Mann vom Pferd. Die Kamera folgt aber weiter den Hufen und
schwenkt hoch, um das blutüberströmte weiße Pferd zu zeigen. In den Augen von
„Django“ spiegelt sich in einer grausamen Mordszene tatsächliches Mitgefühl;
eine seltene Geste dieses Regisseurs, die die Gewalt für einige Momente aus der
Komik und aus dem Comic reißt. Langweilig kann einem praktisch nicht werden.
Entweder wartet man auf einen Ausbruch oder verfolgt gespannt seine
Antizipation. Die Vollendung jener ungestillten Konsequenz im Kino des Quentin
Tarantino vollzieht sich im letzten Drittel des Films. Die Gewalt macht den
Film erst aus, eine Flut der Farben und Eindrücke, die den Zuseher in einen
euphorischen Rausch versetzen mag. Und da man diese Freude im ganzen Kinosaal
spüren kann, entwickelt man selbst eine Freude. Hier scheint jeder eingeweiht
zu sein in einen Wahnsinn und in ein wahnsinniges Bildermeer.
DIALOGE
Herzstück des Filmes sind seine Charaktere. Vor allem Django
selbst, Dr. King Schultz und Calvin Candie. Django wird gespielt von einem
Jamie Foxx, der seit langer Zeit mal wieder eine vielschichte Figur verkörpert.
Er ist der mit Abstand „unlustigste“ der drei wichtigsten Figuren, aber er
trägt die emotionale Last des Films. Nicht immer gelingen diese ernsteren Töne,
aber sie gelingen vor allem dann, wenn er sie unter einer Maske verstecken
muss. Dann offenbart sich hinter seiner Sonnenbrille ein wütend-ängstliches
Gesicht oder ein kalter Blick im Angesicht des Todes. Dr. King Schultz wird
verkörpert von Christoph Waltz, der hier noch viel mehr macht, als nur seinen
Hans Landa aus „Inglorious Basterds“ zu kopieren. Er legt Menschlichkeit in die
Rolle und das gelingt vor allem deshalb so gut, weil man sie von ihm nicht
erwartet. Tarantino hat seine Charaktere also mal wieder so ausgelegt, als
würden sie sich selbst ihrer Künstlichkeit bewusst sein. Dr. Schultz pflegt seinen
eigenen Sinn für Coolness; die Selbstverständlichkeit mit der er durchs Leben
stolziert ist in ihrer Abgebrühtheit kaum zu überbieten. Genauso wenig die
wiederkehrende Geste des durch den Bart Streichens, die entspannte Art, wie er
von Siegfried und Brunhilde erzählt und der Stolz, den er mit seiner Herkunft
aus Deutschland verbindet. Calvin Candie ist der Bösewicht, was liegt da ferner
als ihn mit Leonardo DiCaprio zu besetzen. Interessant an der Anlage des
Charakters ist, dass seine Bösartigkeit sich nur am Rande auf Django und Dr.
Schultz bezieht. Im eigentlichen Sinne erfährt der Zuschauer von seinem
tatsächlich boshaften Charakter gleichzeitig wie die Protagonisten. Und wer
daran gezweifelt haben sollte, dass DiCaprio eine solche Rolle mit einer diabolischen
Kälte und Arroganz in bester Manier abliefern kann, der sollte sich „Django
Unchained“ ganz schnell ansehen. Welch ein großartiger Schauspieler er ist
zeigt sich spätestens, als er Django zum ersten Mal ganz nahe kommt; er bringt
derart viele Elemente in seinen Zügen zum Vorschein, dass ein wahrhaftig
lebendiger Mensch entsteht, der dennoch in das comichafte Universum seines
Regisseurs zu passen scheint. Ein Monster, das nur durch die Art des Spielens
motiviert wird. Dr. King Schultz hat die meisten Lacher mit seinen
scharfsinnigen, absurd-argumentieren Schlussfolgerungen, während Candie zum
Teil anstößt, aber schnell in einen unheimlichen Wettbewerb mit seinen
Kontrahenten tritt.
Sobald der Film Candyland betritt wird es ein Tarantino-Film
mit allem was dazugehört, positiv wie negativ. Davor sind es unheimlich lustige
Christoph Waltz Festspiele und der erfolglose Versuch eine Atmosphäre zu
schaffen. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass Dialoge gar nicht so
viel verloren haben in einem richtigen Western. Was bleibt ist der 8.Film eines
Kinoliebhabers, der sich wunderbar eingliedert in dessen Gesamtwerk; eine
Ansammlung von filmischen Highlights und Kultszenen, ein Film, den man
problemlos häufiger sehen kann. Nur wenn nicht noch etwas Großes in Tarantino
schlummert, muss er aufpassen, dass er am Ende nicht doch in völliger
Selbstverliebtheit untergehen wird. Aber selbst dann müsste man sagen: „I like
the way you die, boy.“
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