Der Ultra-Sozialrealismus des aktuellen
rumänischen Kinos ist um ein weiteres großes Werk reicher geworden. Mit „Jeneits
der Hügel“ knüpft Cristian Mungiu nämlich dort an, woran er und seine Kollegen
(u.a. Cristi Puiu oder Corneliu Porumboiu) seit einigen Jahren arbeiten: Offenlegung sozialer
Strukturen und existenzielle Charakterstudien, die in einer farblosen Form
wiedergegeben wären. Dass dabei neue
Höhen des Autorenfilms erreicht werden, mit regelmäßigen großen Gewinnen bei
internationalen Festivals, ist der volle Verdienst einer erdrückenden
Konsequenz. Der Mut zur Alltäglichkeit in Extremsituationen und das Begreifen
der Tatsache, dass die erzählte Geschichte nur Teil einer größeren, meist
uninteressierten Welt ist; das spielt auch in Mungius letztem Werk eine große
Rolle. Nach seinem Abtreibungs-Drama „4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage“ widmet sich
sein Blick wieder der Vergangenheit. Diese Vergangenheit findet er aber in den
verkrusteten Strukturen der orthodoxen Kirche. Wenn man seinen letzten
eigenständigen Film schon als Abtreibungs-Drama klassifizieren muss, dann
handelt es sich bei „Jenseits der Hügel“ wohl um ein Exorzismus-Drama.
Dialoge
über Nichts und Gesichter über Alles. Mungiu konstruiert seine Szenen, in denen
sich in der scheinbaren Banalität vor dem Publikum große menschliche Dramen
abspielen. Menschen sitzen um einen Tisch und führen einen Smalltalk. Im
Hintergrund sitzt die Protagonistin Voichita und man wartet, dass alles aus ihr
ausbricht, man will ihr zurufen, weil man alleine glaubt sie zu sehen und zu
fühlen unter all diesen schwarzgekleideten Nonnen. Aber sie fühlt sich nicht mal
selbst. Voichita ist ein passiver Charakter, der eben keine innere Wandlung
erfahren kann. „Jenseits der Hügel“ ist die Beschreibung eines inneren
Gefängnisses, welches sich von außen manifestiert, er beschreibt das Verhängnis
von falschem Glauben. Dabei wird nicht zimperlich mit der orthodoxen Kirche
umgegangen, denn nicht zuletzt ist das rumänische Kino auch ein politisches
Kino, ein Meinungs-Kino. Aber diese Meinung wird einem nicht aufgetragen.
Stattdessen brennt sich der Druck unter dem die Charaktere leiden in langsamen,
zehrenden Bildern in die Sensibilität der Zuseher. Wenn Menschen bei Mungiu
lieben, dann zeigen sie das nicht, wenn Menschen trauern, dann zeigen sie das
nicht. Wie lange kann man diesen Druck aushalten? Er vermischt seinen Inhalt zu
einem Grad mit seiner Form, dass sie nicht mehr zu unterscheiden sind. Immer
wieder erzählt er in Halbtotalen, die nah genug sind, um zu Leiden und weit
genug, um zu Denken. Dann fällt Schnee und alles beginnt unter einer Decke zu
liegen, dann fahren sie in die Stadt und die Schönheit des Klosters offenbart
sich von einer ganz neuen Seite. Ähnlich wie in Hans-Christian Schmidts „Requiem“,
welcher mit einer ähnlichen Thematik aufwartete, vollzieht sich der Weg in den
Exorzismus als fehlender Ausblick in einer festgefahrenen Situation. Es ist
nicht so, dass hier böse Mächte am Werk wären, sondern einfach irrgeleitete
Menschen, die Gefahren nicht einschätzen können. Wenn nicht alles so gewollt
wirken würde, könnte man fast darüber diskutieren, ob der Film diesen Schritt
in den Exorzismus einen Moment zu lange hinauszögert. Jedenfalls liegt im
Mittelteil vielleicht ein kleiner rekursiver Drang, der den Film nicht zu dem
Meisterwerk macht, wie es bei „4 Monate, Wochen, 2 Tage“ noch der Fall war.
Cristian Mungiu |
Anderen
dagegen scheint der Fall um das Kloster einfach nur egal zu sein. Der
behandelte Arzt hat keine Verwendung für seine Patientin, die nächste Ärztin
macht in distanzierter, markiger Weiße darauf aufmerksam, dass alle verhaftet
werden, die Polizisten unterhalten sich über Gott und die Welt in einer
bemerkenswerten Schlusssequenz, die man als Antonioni-Zitat verstehen kann. Alle
sind interessierte oder desinteressierte Zuseher, wie eigentlich jeder
Charakter. Selbst der ausführende Priester wirkt noch passiv. Die Genauigkeit
der Beobachtung lässt sogar kleinste Regungen zum Vorschein kommen. Natürlich
gibt es dort auch sowas wie Humor, denn was sich abspielt, erweckt den Eindruck
wirklichen Lebens (was auch immer das heißen mag); das Verhalten ist derart
konstruiert, dass es jederzeit logisch wirkt, aber unmotiviert bezogen auf den
Plot. Das erinnert dann sehr an Nuri Bilge Ceylans „Once Upon a Time in
Anatolia“, den man einfach nicht oft genug erwähnen kann. Menschen agieren
nicht zielgerichtet, sie agieren eigentlich gar nicht. So wird durch die
Verweigerung klassischer Erzählformen vermieden, dass das eigentliche
Klischeethema zu einem solchen verkommt. Denn neben dem Exorzismus spielt auch
Homosexualität eine wichtige Rolle. Die Liebe zweier Frauen, die nur in der
Luft zu schweben scheint, die jeder zu bemerken scheint und gleich wieder zu
vergessen. Dafür verwenden Mungiu und
sein Kameramann Oleg Mutu eine Farbpalette von drei Farben: Blau/Schwarz/Weiß.
Jeder anders gesetzte Farbton hat Bedeutung. Minimalismus, der niemals zum Selbstzweck
verkommt. Das neue rumänische Kino bleibt sicherlich kein leichtes Kino, aber
es ist ein Kino, das sich scheinbar ohne Bedenken in diese schweren Formen
stürzen darf. Ein wichtiger Aspekt, warum dieser Stil bei Mungiu so aufgeht,
ist die Wucht seiner Bilder: Nach einem Vorspann werden die
Hintergrundgeräusche eines Bahnhofes langsam lauter. Fade In Handkamera
Verfolgerperspektive, eine Frau kämpft sich gegen den Strom durch eine Masse an
graugekleideten Menschen (hauptsächlich Männer), am Gleis trifft sie auf ihre
Freundin. Sie umarmen sich lange, bis es der Frau peinlich wird. Im Hintergrund
fährt unfassbar Nahe ein naher Zug vorbei. Man erschrickt fast. Kein Schnitt.
Man muss es gesehen haben.
Porumboiu, nicht Porumboius
AntwortenLöschenDanke für den Hinweis, wird ausgebessert
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