„Schlacht um Algier“ aus dem Jahr 1966 ist zweifellos ein
moderner Film. Das liegt zum einen an der offensichtlichen politischen Brisanz
des Filmes, der so außerordentlich detailliert in der Lage zu sein scheint
einen Guerilla-Stadtkampf wiederzugeben, dass ihn sogar das amerikanische
Militär in Folge der Terroranschläge von 2001 als strategische Orientierung
genauer betrachtete. Auf dem DVD-Cover war/ist zu lesen, dass im Film keine
einzige Szene dokumentarischer Natur ist, alles sei gestaged. Ungewöhnlich und
auch ziemlich mutig, aber absolut gerechtfertigt. Was man in den Straßengräben
von Algier sieht, scheint auch heute noch absolut real zu sein. Im Gegensatz zu
den melodramatischen Anwandlungen seiner neorealistischen Vorbilder knüpft
Pontecorvo eher an eine Mischung der Massenszenen der frühen russischen Schule
um Sergej Eisenstein und einer Dramaturgie an,-und hier kommt der springende
Punkt- die ähnlich einer Kriegsreportage geradlinig und sich immer einer
Zeitlichkeit bewusst nach vorne marschiert; einer Dramaturgie, die man in
modernen Videospielen findet. Eisenstein meets Call of Duty? Dabei beweist er
eine unheimliche Nähe zu den Ereignissen und große Detailfreude. (auffällig an
dieser Stelle auch die inszenatorischen Parallelen zu Ben Afflecks „Argo“ mit
den vielen Zwischenschnitten von Nahaufnahmen, die Authentizität und Echtheit
vermitteln.)
Der Film behandelt die Geschehnisse in der Hauptstadt des
französischen Algeriens zwischen November 1954 und Dezember 1957. Omnipräsent
beleuchtet Pontecorvo beide Seiten der blutigen Kriegshandlungen. Die der
Franzosen, die sich nach Indochina einer weiteren aufmüpfigen Kolonie
gegenübersehen und glauben zu wissen, wie sie vorgehen müssen, aber
gleichzeitig ihre eigene Motivation hinterfragen, und die der Algerier, die
sich in der zweigeteilten Stadt auf ihrer Seite (der Kasbah) organisieren und
aus den schmalen, verwinkelten Gassen Vorteile ziehen. In ihrer
Unerschrockenheit liegt eine der wenige Versäumnisse des Films; die Schilderung
der algerischen Seite wirkt zu einheitlich: Zweifler werden leicht bekehrt und
Verräter verraten nur nach schlimmster Folter. Trocken und präzise geht in „Schlacht
um Algier“ eine Handlung aus der nächsten hervor. Ohne unnötige patriotische
oder dramatische Anwandlungen führt eine Aktion immer zu einer Reaktion. Der
Kampf um Autonomie wird nicht heroisiert. Er wird als leichtester Baustein in
einem Turm aus Aufgaben für die Nationalisten rund um die FLN in Algerien
gesehen. Zwar kann die Message des Films am Ende dann als Propaganda verstanden
werden, aber nur weil das Ende für gewöhnlich besonders haften bleibt. Denn
weder werden die Franzosen als unreflektierte „Böse“ charakterisiert, noch
werden die Folgen der grausamen Taten der Befreiungskämpfer verschwiegen. Der
linke Ton des Filmes erklärt sich vielmehr durch die zeitliche Strömung der
60er Jahre, in der er entstanden ist. Die postkoloniale Diskussion ist heute
genauso wenig aus der Gesellschaft verschwunden, wie die scheinbare
Notwendigkeit von Stadtkriegen. Zwar bietet der Film offensichtliche
Zeitgeschichte an, aber aufgrund seiner Genauigkeit besitzt er eine
Allgemeingültigkeit, die sich bis in die heutigen politischen Konflikte
erstreckt. Im Gegensatz zum Neorealismus verklärt er die Welt auch nicht zum
Humanismus; eher ist es eine desillusionierte Sicht, die sich in Nüchternheit
entblößt, statt in Menschlichkeit zu ersticken. Wie auch Terrence Malick in „The
Thin Red Line“ versteht der Film, dass Kriegshandlungen nicht auf der Qualität
einzelner Individuen beruhen, sondern auf ihrer Quantität. Das ändert nichts
daran, dass es sich um Individuen handelt, aber diese sind eben austauschbar in
ihrem Verhältnis zum Krieg. Auch der viel-diskutierte Film „Der Baader Meinhof
Komplex“ von Uli Edel versuchte sich an einer temporeichen Geschichtsabhandlung
mit wechselnden Subjekten, die unter einer gemeinsamen Idee zusammenkommen. Im
Unterschied zu Pontecorvo aber verfiel der deutsche Film der Verführung sich
den charismatischen Rebellen hinzugeben, zeiget trotz der größeren zeitlichen
Differenz zwischen Geschehnissen und Filmproduktion deutlich weniger
Aufgeklärtheit und stand daher-interessanterweise-einem linken Propagandawerk
um einiges näher, als sein italienisch/algerischer Vorgänger.
Was den beiden Filmen jedoch gemein ist, ist der
videospielähnliche „Missionscharakter“ der Dramaturgie. So geht es in einer
Sequenz um die Platzierung dreier Sprengsätze im französischen Teil der Stadt.
Drei Frauen werden damit beauftragt. Die Kamera begleitet jede der Frauen in
einer Parallelmontage auf ihrem Weg bis zur Detonation der Bomben. Dabei treten
ähnliche und doch verschiedene Hindernisse auf. Man kann also von
zielorientierten Sequenzen sprechen, die das Fortlaufen des Filmes garantieren.
Das liegt darin, dass das in klassischen Dramaturgien übliche große, finale
Ziel in „Schlacht um Algier“ ein Ideal ist, was geschichtlich bekannt entweder
nie oder erst nach den Ereignissen des Filmes erreicht werden kann. Wie in
einem Videospiel zählt nicht der Charakter, sondern die Motivation eine Mission
abzuschließen. Wie in einem Videospiel gilt die Konzentration des
Rezipienten/Spielers nur der Gegenwart des Films/Spiels und nicht der Zukunft,
auf die die Dramaturgie hinarbeitet. Dieses Gefühl wird noch bestärkt durch das
scheinbare Lernen aus Fehlern, das einer Wiederholung eines Levels nach „Game
Over“ gleicht. So fällt der französische General Matthieu einmal auf einen
Korb, der mit einer Bombe bestückt ist herein, um beim nächsten Mal in einer
ähnlichen Situation vorsichtiger vorzugehen. Eine Art „Learning by Doing“
entsteht, die natürlich in der brisanten Situation dieses spezifischen Krieges
begründet liegt, aber dennoch in ihrer gleichzeitigen Gewalt und Distanz
Ähnlichkeiten zur Wirkung eines Spieles hat. Dabei soll gar nicht die Moral des
Filmes hinterfragt werden, denn es ist vielmehr so, dass man diese
Gleichgültigkeit bemerkt und sie hinterfragt. Sie kommt einfach mit dem
fehlenden Pathos und dem Nicht-Aufhalten am Leid von Individuen, denn das Leid
des Einzelnen stürzt den Nächsten in eine Mission. Ein Kreislauf entsteht und
ein unwiderstehlicher Sog.
Allgemeiner könnte man sich- wie Godard das einmal
tat-fragen, inwiefern die eigenen Sehgewohnheiten und Muster, das was man schon
gesehen hat auf die Wirkung eines Filmes einwirkt oder anders: Sehen wir alte
Filme im historischen Kontext ihrer Produktion, in ihrem gesellschaftlichen
Diskurs oder sehen wir sie im Verhältnis zum „Neuen“, was wir kennen und gesehen
haben, dem zeitgeschichtlichen Diskurs unserer Generation? Inwiefern drehen
sich Filmzitate um? Die Musik in „Schlacht um Algier“ stammt zum Teil von Ennio
Morricone und wurde von Quentin Tarantino in „Inglorious Basterds“ verwendet.
Tarantino zitiert Pontecorvo an mehreren Stellen. Zum Beispiel wartet eine
Gruppe von Rebellen hinter einer Wand versteckt darauf, ob sie entdeckt werden
oder nicht. Für den Fall, dass man das Zitat vor dem Original sehen konnte,
stellt sich nun die Frage der Relativierung. Die Musik ist im Kontext von „Inglorious
Basterds“ in einem humorvollen Kontext eingesetzt worden und wurde von mir
zunächst auch in „Schlacht um Algier“ damit konnotiert. Erst nach und nach
entblößte sich die Vielschichtigkeit dieses musikalischen Zitats bei Tarantino
und ich begann die Musik direkt in ihrem ursprünglichen Kontext zu betrachten.
Die Freude des Wiedererkennens einer bekannten Melodie in einem älteren Film
führte zu einer größeren Anerkennung der Leistung des Originals; die Motivation
für den Einsatz der Musik wurde von einer anderen Perspektive, genauer
betrachtet. Auch in diesem Sinne ist der Film aus dem Jahre 1966 also modern,
weil er es schafft wie ein Zitat zu wirken, obwohl er selbst zitiert wurde; das
liegt hauptsächlich an der Inszenierung, die in einer großen Geschwindigkeit
immer den richtigen Blickwinkel zu finden scheint und daher ganz leicht die
Zeit zu überleben scheint. Frei von Urteilen besitzt er Allgemeingültigkeit
ohne gleichgültig daherzukommen. Deshalb ist „Schlacht um Algier“
filmgeschichtlich mindestens von gleicher Wichtigkeit, wie zeitgeschichtlich.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen