Dienstag, 2. Oktober 2012

Was bleibt von Hans-Christian Schmid



Der 2012 Jahrgang der Berlinale war gewissermaßen ein Segen für die Augen der deutschen Kinolandschaft, denn mit Christian Petzold, Matthias Glasner und Hans-Christian Schmid konkurrierten gleich drei, der herausragenden Filmemacher des Landes, um den Goldenen Bären. Während Barbara von Christian Petzold schon kurz nach dem Filmfestival zu sehen war und Gnade von Matthias Glasner erst in einigen Wochen in die Kinos kommt (bin sehr sehr gespannt!), läuft nun also seit vergangenem Monat Was Bleibt von Hans-Christian Schmid.


In diesem in weiten Teilen an ein Kammerspiel erinnernden Drama geht es um das Zusammenkommen einer Familie, die eigentlich schön völlig auseinandergebrochen ist. Corinna Harfouch spielt eine depressive Mutter, die nach 30 Jahren ihre Tabletten absetzt. Auf der einen Seite wirkt die Familie von dem „Zustand“ der Mutter gebannt, eingenommen und gehemmt, auf der anderen Seite stellt sich nach und nach die Frage, ob die Mutter wirklich die Wurzel des Übels ist oder ob man hier Zeuge einer familiär bedingten Versammlung gescheiterter Existenzen ist. Lose Bruchstücke, die außer ihrer Verwandtschaft und der ein oder anderen gemeinsamen Erinnerung (bestehend aus musikalischen Momenten) eigentlich nichts gemein haben. Harfouch spielt die Mutter reduziert und doch stechen ihre Augen unter dem viel zu gleichfarbigen blauen Kostüm immer wieder durch die Wände. Sie wirkt instabil und hält sich schwankend aufrecht…bis sie bricht. Dabei ist sie ein Sinnbild für ihre Familie. Lars Eidinger verkörpert den Sohn, der in gescheiterter Ehe lebt, der sich selbst einen Schutzwall gebaut hat vor Emotionen und Anteilnahme, der aber innerlich zutiefst verletzt ist. Sein Bruder gespielt von Sebastian Zimmler zerbricht am Aufbau einer Zahnarztpraxis und am ewig großen Schatten seines Buchverleger-Vaters, gespielt von Ernst Stötzner, dessen Schritte die Last seines Lebens erahnen lassen. Abgründe so weit das Auge reicht.


Die Psychologie der Charaktere steht im Zentrum. Das ist aufgrund des beeindruckenden Schauspielensembles auch absolut in Ordnung und es macht Freude in den Gesichtern und Gesten der Spitze des deutschen Schauspiels zu lesen, gleichzeitig fühlt sich der Film aber häufig an wie ein Theaterstück; das liegt nicht zuletzt daran, dass man häufig das Gefühl hat die Charaktere würden sich so positionieren, dass sie ihre Szenen spielen können. Die einzelnen Szenen wirken daher auch sehr abgegrenzt. Nach dem Motto: Jetzt kommt die Szene, in der Lars Eidinger weint, jetzt kommt die Szene in der die Brüder streiten etc. Von Zeit zu Zeit wirkt es gar so, als ob sich die anderen Charaktere ähnlich einer Bühne „nach hinten spielen“, um Raum für den Dialog zu geben. Zum Beispiel, als der Vater die beiden Söhne alleine im Wald zurücklässt. 



Passend unpassend dazu auch der etablierte Kamerastil von Hans-Christian Schmid und seinem Kameramann Bogumil Godfrejow. Seine „dokumentarische“ Handkamera samt Zooms und Jump-Cuts wirkt in Was Bleibt (der Thematik geschuldet) seltsam steif. Die Dynamik und Freiheit des Stils, die zum Beispiel in Requiem oder Lichter zum Ausdruck gelangt, wirkt hier gebremst. Das liegt vor allem am Kammerspielcharakter in der ersten Hälfte des Films. Die kühlen, leeren Räume des Familienhauses schreien förmlich nach einer Ruhe in den Bildern, derer sich auch Schmid nicht vollends entziehen konnte. Er hat einen Kompromiss gewählt, der merkwürdig unausgegoren wirkt. So beobachtet man die auf der Terrasse sitzende Mutter in einem eigentlich ruhigen Bild, aber die Kamera wackelt penetrant. Dennoch zieht Schmid die beiläufige Spontanität seiner Bilder, die er gleich in der ersten Sequenz mit Lars Eidinger und seiner Frau etabliert nicht durch: Alles wirkt sehr wohl geframed und inszeniert. (Vielleicht sind die Schauspieler auch zu abgekocht?) Erst in der zweiten Hälfte lässt sich der Film dann mehr treiben und die Stärken des Drehbuchs und der Schauspieler kommen zum Vorschein. Die an die Ästhetik von Lars von Triers Antichrist erinnernden Waldszenen sind unberechenbar und frei, gewissermaßen ist die Natur eine Befreiung für die Charaktere und den Film.





Eine unheimliche Mixtur aus Drama und Spannung entsteht. Man möchte nicht mehr hinsehen. Was bleibt kann sich auf Erinnerungen beziehen, auf ein Erbe, aber auch auf den lapidaren Satz: Was bleibt einem anderes übrig? Das starke, Bernd Lange-typische Drehbuch mit Sogwirkung fesselt und lässt einem gleichzeitig die Möglichkeit zur Distanz. Zum Großteil fangen die Schauspieler die merkwürdig gestellten Szenen auf. Irgendwie habe ich mich trotzdem wie nach einem Theaterbesuch gefühlt. Aber es war kein schlechter Theaterbesuch.


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