Vor einigen Tagen habe ich mir den
neuen Woody Allen Film „To Rome with Love“ angesehen. Ich hatte mich darauf
eingestellt ihn gar nicht zu mögen, ihn förmlich zu hassen. Aber eigentlich
hätte ich es besser wissen müssen. Trotz offensichtlicher Schwächen wird ein
Filmemacher vom Format eines Woody Allen selten einen ganz schlechten Film
machen, dafür riskiert er einfach zu wenig; er hat es auch nicht nötig zu
riskieren. So ist es unterhaltsam, manchmal sehr nett sich den Streifen im Kino
anzusehen. Die Stimmung war gut, es wurde viel gelacht. Was überraschenderweise
nicht funktionierte war die Stadt-also Rom-im Film. Hatte man nach „Midnight in
Paris“, „Vicky Christina Barcelona“, „Scoop“ (London) und natürlich in früheren
New York-Filmen immer das Bedürfnis die jeweiligen Städte gleich nach dem Kino
zu besuchen, so ließ mich Rom völlig kalt. Die polierten Bilder der
Sehenswürdigkeiten wirkten diesmal einfach zu gezwungen, an manchen Stellen
wirkte der Film wie ein Werbespot für eine Stadt, die der Regisseur nicht
kennt. Bei Barcelona waren es eben nicht die Gaudi-Gebäude, die im Gedächtnis
blieben, sondern die schmalen Gassen und die Charaktere, das Leben in der Stadt.
Dieses hat in Rom nicht funktioniert, weil Woody Allen (nach eigener Aussage)
die italienische Hauptstadt als etwas Zerstückeltes wahrgenommen hat und sich
auf viele unterschiedliche Geschichten fokussierte. Ich glaube der wahre Grund,
warum die Stadt nicht funktioniert, ist eine gewisse Müdigkeit von dieser
Postkartendramaturgie, die nicht nur Woody Allen, sondern das ganze Kino
beherrscht. Im Internet sehen wir ständig schöne Bilder von schönen Städten, im
Fernsehen sehen wir ständig schöne Bilder von schönen Städten und im Kino sehen
wir viel zu oft dieselben Bilder. Es spricht nichts dagegen einen Film in sagen
wir Paris anzulegen. Paris ist eine Stadt viele Geschichten. Aber muss man denn
immer den Eiffelturm sehen?
Postkartendramaturgie besteht aus 3
Punkten
Förderung und
Produktionsbedingungen
Klischees
Postkartenbilder und die Stimmung
der Stadt
1. Förderung
und Produktionsbedingungen
Dreharbeiten zu 360 am Ring in Wien |
Natürlich bietet es sich an in
gewissen Städten zu drehen. In den größten Städten des Landes herrschen häufig
auch die besten Produktionsbedingungen vor. Es gibt Studios, Verleihe,
Lagermöglichkeiten, Arbeiter usw. Filmemacher leben oft in diesen Städten und
werden so natürlich auch davon inspiriert. Zudem ist es zur Mode geworden, dass
Tourismusämter und Institutionen der Außendarstellung fördern, dass dort
gedreht wird. Im Klartext: Es gibt Geld, um die Filme zu drehen. Rom wird sich
einen Woody Allen Film einiges kosten lassen und Rom wird dem Filmteam gerade
deshalb auch erlauben an schwierigen Drehorten, wie zum Beispiel in dieser Wohnung
oberhalb der Spanischen Treppe zu drehen. In dem ebenfalls im Kino laufenden „360“
von Fernando Meirelles wird in einem Gespräch erläutert wie praktisch die
Ringstraße in Wien doch ist. Dann gibt es eine Fahrt auf dem Ring, indem per
Youtube-Ästhetik die Sehenswürdigkeiten entlang des Rings eingefangen werden.
Das sieht dann wirklich so aus wie ein Tourismusvideo und hat nichts in diesem
Film verloren. Förderung ist gut, solange sie sich aus der Dramaturgie hält. Es
bringt ja auch nichts ein Coca-Cola Sponsoring zu bekommen, wenn die Bedingung
von Coca-Cola ist, dass in einem Mittelalter-Film aus Cola Flaschen getrunken
wird.
2. Klischees
Paris je t'aime-Vielleicht der Gipfel der Postkartendramaturgie? |
Eigentlich spricht nichts dagegen
einen Film in einer großen und bekannten Stadt zu drehen. Leider ergeben sich
die gedrehten Filme aber oft den Klischees von Land und Leuten. Woody Allen
selbst macht das seit Jahrzehnten mit einer Art Augenzwinkern, das ihn rettet.
Seine Römer singen Oper unter der Dusche, sind streng katholisch, gestikulieren
wie wild und lieben das Essen. Seine Spanier sind temperamentvoll, streiten
viel und lieben das Leben. Allen ist halt ein Comedian, man muss es ihm
verzeihen. Wie viele Österreicher haben eine sexuelle Störung in Filmen?
Anderes Thema, aber diese Klischees hängen tatsächlich am jeweiligen Film und
es gibt auch tolle Ausnahmen, die Städte und ihre Bewohner von anderen
Perspektiven zeigen. Viel schlimmer sind die filmischen Klischees, denen man
scheinbar folgen muss. Die Bilder, die dem Zuseher schon in den Kopf kommen,
bevor er ihn gesehen hat. Diese
offensichtliche Frage: Wie Filme ich diese Stadt? Leider sieht das häufig sehr
gleich aus. Diese grausamen Establishing-Shots, in denen dann eben der
Eiffelturm zu sehen ist und man weiß: „Ah, das ist Paris.“. Wir Europäer tun
uns unheimlich schwer den jeweiligen Ort mit zu erzählen. Im amerikanischen Kino
passiert das wie von selbst. Es hat einfach eine gewisse Bedeutung, ob ein
Charakter aus Texas kommt oder aus New York. Oft sind das auch Klischees, die
bedient werden, aber es wirkt nicht so klischeehaft oder um es anders zu sagen:
Im europäischen Kino, von den Schtis, über Rosenmüller-Filme bis zu Woody Allen
gewinnen Locations fast ausschließlich in Komödien an Bedeutung. Manchmal sind
es noch Coming-of-Age Filme nach dem Prinzip: Ich komme vom Land und bin jetzt
endlich in der großen Stadt. Die Körperlichkeit amerikanischer Filme wird kaum
erreicht. Man sieht einem Charakter fast an, woher er kommt in vielen
Übersee-Produktionen. Wir können uns fast nur lustig machen über
unterschiedliche Kulturen. In den seltensten Fällen setzt sich das europäische
Kino ernsthaft damit auseinander, zumindest das westeuropäische Kino.
Westeuropa produziert Wohlstandsfilme, die sich mit der Vergangenheit oder mit
besonderen Charakteren beschäftigen und nicht mit geographisch-geschichtlichen Hintergründen.
Diese werden-wenn überhaupt-als billig anmutende Backstory eingeführt. Frei
nach dem Motto: Er kommt aus der ehemaligen DDR, es muss ihm schlecht gehen.
3. Postkartenbilder
und die Stimmung der Stadt
Und dann sehen wir eben das
Colosseum und den BigBen, die Manhattan-Bridge, die Wiener Oper, den Berliner
Hauptbahnhof und den Triumphbogen. Man nehme einen Drehort, stelle die
Charaktere davor und erfinde irgendeine halbwegs plausible Szene, die sich dort
abspielen könnte. Die Leute erfreuen sich der schönen Bilder und achten nicht
so sehr auf den Ort, schließlich ist das ja Kino und es soll schön groß und
unterhaltsam sein. Die Dramaturgie solcher Filme ist höchst interessant, weil
die Story lediglich als roter Faden zwischen den berühmten Orten dienen muss.
Wenn man seinen Charakteren folgt, dann landet man vielleicht eher in der
mexikanischen und marokkanischen Wüste, wie Alejandro Gonzales Iñárritu in „Babel“. Somit hat der Ort
innerhalb der Postkartendramaturgie eine größere Bedeutung als die Charaktere.
Es geht sogar noch weiter. Die Charaktere werden dem Ort angepasst, um die
Stimmung der Stadt zu vermitteln. Es gibt dann immer den abenteuerlustigen
Charakter, der sich einfach durch die Stadt treiben lässt, es gibt immer den
Charakter, der das alles zum ersten Mal sieht und erlebt (so wie wir?) und es
gibt den Einheimischen, der seine Sicht der Dinge-ähnlich einem
Fremdenführer-schildert. Manchmal habe ich das Gefühl, wenn man zehn solcher
Filme im Jahr sieht, hat man schon fast die Hinreise zu einem dieser Orte
bezahlt. Aber in unserer Gesellschaft sind Fotos von Dingen manchmal genauso
wichtig, wie das tatsächliche Erlebnis und das haben die Filme schon lange Zeit
vor Facebook gemerkt.
Kino ist nun mal ein Ort des Sehens
und Staunens mag man dagegenhalten. Das stimmt, aber möchte man nicht neues und
anderes sehen? Reicht es, wenn man immer von denselben Orten träumt,
fremdgesteuert von den reichsten und bedeutendsten Städten und Ländern des
Planeten? Das einzige, was man wohl dagegen tun kann, ist sich Filme aus
anderen Kulturen anzusehen. Thailändische, chinesische, argentinische,
afrikanische Filme. Es gibt auch viele europäische Filme, die einem kein
Postkartengefühl geben. Dennoch ist die Postkartendramaturgie ein Missstand
unseres Kinos. Bereist man eine fremde Stadt ist der erinnerungswürdigste
Augenblick in den seltensten Fällen vor oder in der Nähe der großen
Sehenswürdigkeiten. Es sind die Hotelzimmer, die kleinen Gassen, das verlassene
Ufer am Fluss, der abgefuckte Park, an dem die wichtigen Dinge passieren. Dahin
muss auch das Kino. Gerade hat Richard Linklater mit Julie Delpy und Ethan
Hawke ein weiteres Sequel zu „Before Sunrise“ in Athen gedreht. Es heißt „Before
Midnight“ und er wird (geschätzt) einer krassen Postkartendramaturgie folgen.
Im ersten Teil, der in Wien spielte, funktionierte diese Dramaturgie. Weil man
den sich treibenlassenden Charakteren einfach gefolgt ist. Im zweiten Teil „Before
Sunset“ in Paris fühlt man sich schon deutlich mehr fremdgesteuert. Athen ist
zumindest etwas ungewöhnlicher, man darf gespannt sein. Viel Förderung dürfte
man ja im Moment auch nicht bekommen von Athen…
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