Freitag, 8. Juni 2012

Ritchie, Tarantino and Two Smoking Barrels

Quentin Tarantino und Guy Ritchie sind zwei Filmemacher, die gerade in jugendlichen Kreisen einen enorm hohen Beliebtheitsgrad haben. Ihre Filme wirken kraftvoll, offensiv und gehen nach vorne. Beide haben ein sehr offenes Verhältnis zu Gewalt und beide warten mit einer unheimlichen Dichte an Kultsongs auf, die sie in ihre Filme integrieren bzw. um die sie ihre Filme aufbauen. Auch verwenden sie beide häufig Nonsense-Dialoge und erlauben sich stilistische Extravaganzen, wie plötzliche FreezeFrames, Zeitlupen oder Zeitraffer, eingeblendete Titel oder offensichtliche Reminiszensen an andere Filme. Schwarzer Humor, schräge Charaktere und eine augenscheinliche Abneigung gegen chronologisches Erzählen komplettieren die Gemeinsamkeiten zwischen dem Engländer Guy Ritchie, der einen hohen britischen Wiedererkennungswert in seinen Filmen transportiert und dem Amerikaner Quentin Tarantino, der das Selbstverständnis von amerikanischem Film aufsaugt, bearbeitet und dem Publikum entgegenschleudert.

Tarantino am Set von Django Unchained


Ritchie am Set von Sherlock Holmes


Dennoch reicht Ritchie lange nicht an die Klasse von Tarantino heran. Tarantino ist ein Filmregisseur; seine Bilder sind Kino, sie haben eine Kinoästethik und seine Art zu Erzählen ist nachvollziebar, betont etwas Größeres, als das Bild selbst. Seine Charaktere drängen ihren Humor nicht durch Pointen und platte Sprüche auf, sondern durch ein Gesamtkonzept.

All das gibt es in Ritchie-Filmen nicht. In einer Kritik der NY Times zu "Lock, Stock and Two Smoking Barrels" bringt es Janet Maslin auf den Punkt:

The punchy little flourishes that load this English gangster film with attitude are perfectly welcome, because there's no honest, substantial part of the movie they can hurt.

Tarantino mag auch keine inhaltliche Substanz haben, aber er hat eine cineastische Substanz. Dagegen ist Guy Ritchie ein Werberegisseur, mit einer Musikvideoästhetik, die unter einem coolen Look schlicht und ergreifend nichts versteckt. Im Gegensatz zu etwa Michel Gondry, der neben seiner visuellen Ideenfindung auch im narrativen Bereich unheimlich kreative Wege geht, verliert sich Ritchie in seinem Credo "Style over Content", weil er vergisst, dass die beiden untrennbar zusammenhängen. Schreien Musikansätze bei Tarantino förmlich nach der Sichtbarmachung des Autoren, sind sie bei Ritchie nur schmückendes Beiwerk. Tarantino hat eine merkliche Entwicklung durchgemacht von "Reservoir Dogs" bis "Inglorious Basterds", wogegen Ritchie sich von "Lock, Stock and Two Smoking Barrels" bis zu "RocknRolla" zunächst kaum entwickelt hat und dann ins Blockbuster-Milieu zu wechseln mit "Sherlock Holmes".Ritchie bildet einen Sog, der ähnlich funktioniert wie ein Videospiel: Interessiert man sich und lässt man sich darauf ein, kann man für Stunden darin verschwinden und alles genial finden; betrachtet man es von Außen, weiß man überhaupt nicht, was daran toll sein soll. Man muss einen Richtie-Film schon lieben, bevor er beginnt, damit man ihn dannach auch für gut befinden kann.

Lock, Stock and Two Smoking Barrels



Death Proof


Dieses zum Teil leicht unmotiviert anmutende Durcheinanderwerfen von Einflüssen und dieser Musikvideostyle kommen dennoch sehr gut an. Guy Ritchie-Filme erinnern eben ans Fernsehen- und Videospielzeitalter (also das Zeitalter, indem meine Generation (ca.20) Kinder waren) , er weiß genau, was er macht. Außerdem könnte man seine Art zu Erzählen wohlwollend auch als virtuos bezeichnen, wie er völlig absurde, banale und scheinbar weit entfernte Plotteile ineinander verwebt, ist jedesmal wieder respekteinflößend. Guy Ritchie ist wie Nachmittags den Fernseher einzuschalten. Es kann interessant sein, spannend, lustig, kurzweilig. Mindestens ist es bunt und es gibt ein paar coole Sprüche und Szenen. Seine Filme sind fast mehr für das Heimkino gemacht, als für das große Kino in der Stadt. Aber es kann kein cineastisches Erlebnis sein, wie bei Tarantino. Ein wichtiger Faktor diesbetreffend ist auch der Umgang mit der Zeit. Bei Ritchie kann es oft gar nicht schnell genug sein, wilde Plottwists, rasend schnelle Dialoge und eine hohe Schnittfrequenz. Tarantino lässt sich dagegen Zeit. Er lässt seine Bilder atmen, lässt dem Zuseher Zeit sie zu lesen.

Aber vielleicht braucht es heute auch kein Kino mehr? Vielleicht ist Tarantino ein angestaubter Filmemacher aus einer längst vergessenen Zeit, der jetzt einen Spaghetti-Western dreht und Guy Ritchie, der sich dem Mainstream angeschlossen hat und Sequels ins Kino bringt und sich einem Stoff unterordnet und mit eigenen Einflüssen garniert, der Musikvideos in Filmlänge dreht, ist ein Filmemacher unserer Zeit. Vielleicht sind beide Filmemacher nicht wirklich relevant, sondern nur Teil einer länger anhaltenden Modeerscheinung.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen