In Theo
Angelopoulos‘ „Mia aioniotita kai mia mera“ (dt.: „Die Ewigkeit und ein Tag“)
ist die Ewigkeit ein elegisch-melancholischer Blick aus einer sterbenden Welt
in die blühende Vergangenheit. Sie steht
in enger Verbindung mit der Zeit. Eigentlich müsste man davon ausgehen, dass
Ewigkeit das Aussetzen von Zeit bedeutet, die Irrelevanz von Zeit. Filme sind
zumindest in der Lage Zeit zu manipulieren und zu dehnen, aber auch die Bilder,
die von der Ewigkeit sprechen, sind am Ende sterblich. Sind sie? Auch bei einem
Verwandten sterbenden, Alt-Intellektuellen von Alexandre, nämlich dem etwas
weniger bärtigen Isak Borg in Ingmar Bergmanns „Smultronstället“, beginnt die
Beschäftigung mit dem Ende am Ende des Lebens und sie beginnt doch am Anfang.
Beide Regisseure inszenieren die Vergangenheit wie ein lebendiges Echo, durch
das man hindurch gehen kann, ein Echo, das scheinbar in die Ewigkeit hallt.
Aber gleichzeitig betonen sie, dass die Beschäftigung mit dem Unendlichen immer
ein zutiefst subjektiver Akt sein muss, ein marienbadesques Bedauern über
Proust und seine verlorene Zeit, für das zu Lebzeiten nur Egoisten Zeit haben.
Auf die Gefahr hin, wie Geoff Dyer zu klingen, stelle ich auch die Frage, ob
die Ewigkeit nicht in Wahrheit jenes Zimmer in „Stalker“ von Andrei Tarkowski
ist, der Raum, in dem alle Wünsche in Erfüllung gehen, der Kinoraum womöglich.
Immer wieder fliegt die abgehobene Kamera von Angelopoulos auf die unendlichen
Weiten des Meeres zu, wie in den Ewigkeiten des Kinos bei Jean-Luc Godard und
seinem „Le mépris“, der womöglich das gewöhnliche Leben, die Sterblichkeit
ausklammern will. Schon Jim Morrison hatte gesagt: „The appeal of
cinema lies in the fear of death“. Wünscht man sich am Ende das Meer? Wie das Glitzern des Todes
bei Luchino Visconti und „Morte a Venezia“ oder gar die pragmatische Hoffnung
weiter existieren zu können, wie die blinkenden Boje im schaukelnden Ozean bei
Alfonso Cuarón in „Children of Men“? Die Ewigkeit ist in unserer Kultur ein
Begriff, der mit dem Glauben in Verbindung steht. Will man der ewigen Spirale
der Ewigkeit entgehen, muss man sie auf brutale Art wieder und wieder
zerbrechen, wie das bei Michael Haneke von „Lemminge: Arkadien“ bis „Amour“
immer passiert und auch beim Rollen ins Wasser bei „Mouchette“ von Robert
Bresson. Eine Verneinung der Ewigkeit reicht noch nicht. Immer habe ich mich
gefragt, warum sich die Filme von Michelangelo Antonioni so sehr nach einer
Ewigkeit sehnen, obwohl sie von Welten erzählen, in denen es keinen Gott mehr
gibt. Vermutlich, weil das Spirituelle länger lebt als Gott im Kino. Eine
Kamera, die Raum und Zeit durchquert, in kontinuierlichen Bewegungen,
symmetrisch kadriert, scheinbar vom Wind getragen wie bei Alain Resnais und
seinen frühen Werken, wird immer von der Ewigkeit oder ihrer Unmöglichkeit
erzählen. Die Ewigkeit ist subjektiv und da Film eine Sprache ist, vermag er
sie einzufangen. Sie kann ein Gedanke sein oder ein Gefühl. Meist hat sie mit
der Vergangenheit zu tun wie in Henris Colpis „Une aussi longue absence“, der
seine Räume ähnlich durchquert wie Angelopoulos oder Resnais, für den er „L'année dernière à Marienbad“ schnitt. Aber,
wenn wir uns nicht erinnern, können wir dann Ewigkeit erlangen? Vielleicht ist
die Ewigkeit auch so etwas wie Realismus. Ein Drang, ein Wunsch der Filmemacher
fasziniert ohne dass man ihn je völlig erreichen könnte.
Dann gibt es „From
Here to Eternity“ von Fred Zinnemann (nicht zu verwechseln mit Nick Caves „From
Her to Eternity“), der wie sollte es anders sein, auf einen bestimmten
Zeitpunkt hinarbeitet, ein Sterben, ein Ende, oder einen Beginn. Es spielt
eigentlich keine Rolle. Die Ewigkeit ist immer in der Vergangenheit, sie
besteht aus dem Wiedererleben von Vergangenem und Vergänglichem. Bei Terrence
Malick hängt sie bereits an der Hiob-Geschichte im Alten Testament: „„Wo warst
du, als ich die Erde gründete?…“, heißt es da. Am Strand? Im Kino? Ich habe dir
zugesehen. Das heftige Weiß, das Darren Aronofsky in seine Blenden während der
Esoterik-Schulstunde für Malick-Liebhaber „The Fountain“ wirft, drückt eine
Sprachlosigkeit vor dem ewigen Leben aus, der nur jemand wie Woody Allen mit
seinen absurden Dialogen mit dem Tod und den Toten beikommen kann. Aber die
Ewigkeit spricht nicht. Sie tanzt und liebt und bedauert wie in „Mia aioniotita
kai mia mera“. Die Frage darf lauten, ob
Film heute noch in der Lage ist, in seinen Zusehern ein Gefühl von Ewigkeit zu
evozieren oder ob die Mehrzahl der Kinogänger über den Opiumcharakter von Kino
längst hinaus sind. Alleine Kino ist nicht ewig. Es werden genug Filme gemacht,
die an die Ewigkeit gerichtet sind, an die Zeit, an Geister und etwas
Unbestimmbares. Aber in der Massenwahrnehmung beherrscht das Spektakel, das
keine Zeit für die Meditationen des modernen Kunstkinos hat. In der Präsenz des
Kinos liegt seine Ewigkeit, nicht in seiner Repräsentation. Sie schwirrt im
luftleeren Raum zwischen Bild und Träne am Ende von Tsai Ming-liangs „Stray
Dogs“, im Wind bei Béla Tarr, in den vorbeifahrenden Booten bei Henri Colpi.
Und da sind wir wieder bei Antonioni, denn ein solches Boot, das direkt aus der
mystischen Ewigkeit zu kommen scheint, gibt es auch in den subjektiven
Traumwelten, der von der Realität überfahrenen Giuliana in „Il deserto rosso“,
einen Gesang aus den Steinen, den man schon in der Unschärfe der ersten Bilder
hören kann. Ja, wieder ist die Ewigkeit eine subjektive Wahrnehmung, die erst
aus ihrem Gegenteil, dem Tod, dem Verlust von Glauben, der Angst entstehen
kann. Oder hat sie doch etwas mit Liebe zu tun?
„Ich beweine
nicht eine Wirklichkeit, sondern ihren Wert“, hat Pier Paolo Pasolini in seinem
„Ciant da li ciampanis“ geschrieben und damit viele Ideen seines Kinos umarmt.
Vielleicht ist die Ewigkeit dort, wo sich das Kino selbst findet, irgendwo
zwischen der Poesie, der Dringlichkeit und der Wahrnehmung einer Wirklichkeit
gegen die man rebelliert oder mit, der man sich treiben lässt, wie in einem
Meer. Kein Wunder, dass Pasolini sich in „Il Vangelo secondo Matteo“ mit Jesus
beschäftigt hat, der die Ewigkeit im christlichen Glauben definiert hat. Auch
Jesus ist bei Pasolini ein Mann, der nicht eine Wirklichkeit beweint, sondern
ihren Wert. Die POV-Wunder des Films sind jene des Kinos. Sie stehen in
derselben Kritik, denn wo irgendwann kein Platz zum Glauben im Kino war,
verliert jetzt der Platz fürs Fühlen seine Berechtigung. Was bleibt ist Denken
über Kino, also eine gedachte Ewigkeit. Ein Filmstudent aus Paris regt sich in
der März-Ausgabe der Cahiers du Cinéma (noch so ein Glaube, der sich aufgelöst
hat) auf, dass wir in der Herrschaftszeit des toten Kinos leben. Es gäbe nichts
Neues zu entdecken laut Professoren, die sich immer auf die gleichen alten
Klassiker stürzen und modernes Kino prinzipiell mit einer Geste abtun, die
aussagt: Das hat es alles schon gegeben. Hat es alles schon gegeben? Wann? In
der Vergangenheit?
Damit sind wir dann in der Ewigkeit des Kinos angekommen und
im Zimmer von Alexandre in Angelopoulos Cannes-Gewinner. Er steht dort und
spielt ein Stück klassische Musik mit seinem CD-Player. Dann wartet er einige
Momente und aus einem Zimmer von der anderen Straßenseite kommt exakt die
gleiche Musik. Er hatte sich überlegt zu recherchieren, wer diese Menschen
sind, die wie ein Echo auf seine Musik reagieren, aber sich dann entscheiden,
es sich besser vorzustellen. Die Frage an uns ist, ob wir Alexandre sind oder
die Menschen im Zimmer gegenüber.
Bilder aus: "Mia aioniotita kai mia mera" von Theo Angelopoulos
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