Samstag, 29. März 2014

Interview mit Johann Lurf: „Mit Film zu arbeiten, ist eine Gefühlsentscheidung“



Im Rahmen der Diagonale 2014 habe ich mich mit Johann Lurf an einen überdachten Tisch im Regen gesetzt. Eine weiße Plane wankte unter den herabfallenden Tropfen, kleine Pfützen auf den metallenen Tischen sammelten den Dreck des Frühlings und eine kühle Luft befreite die Augen und Ohren vom Fieber des Kinos. Da ich aufgrund einer Erkältung kaum eine Stimme hatte, war es trotz der melancholischen und entspannten Stimmung das anstrengendste Interview meines bisherigen Lebens. Das hat allerdings nichts mit Johann Lurf zu tun, der neben der Präsentation seines Films „Picture Perfect Pyramid“ (meine Kritik: Hier) auch als Vorführer auf dem Festival arbeitete.
 
Foto: Vladimir Kanic

Hallo Johann, erst mal eine Standardfrage zum Warmwerden: Wie kommt man auf die Idee eine Pyramide in Vösendorf zu filmen?

Zunächst finde ich jeden Grund legitim, um die Gegenwart zu filmen. Die äußere Form dieser Pyramide hat mich fasziniert. Das ist ja ein Gebäude, das unseren Blick lenken soll. Die Pyramide ist ein Eventzentrum und wird für viele verschiedene mehr oder weniger fragwürdige Ereignisse hergenommen. Ich wollte das im Zentrum des Bildes oder besser als hauptbestimmendes Objekt. Also war das Gebäude wie ein Dreh- und Angelpunkt, um sich dann daran und außen herum zu orientieren.

Besonders fasziniert daran fand ich dieses Wechselspiel aus Banalität und Besonderheit, die sich dadurch ergibt. Irgendwie ist diese Pyramide ja in jeder Einstellung und wird damit ziemlich banal, aber irgendwie suche ich auch immer danach und der Blick deiner Kamera folgt ihr gewissermaßen. Wie war das für dich?

Das ist eh schon gut gesagt. Diese Pyramide funktioniert wie gesagt als ein Gebäude, das Aufmerksamkeit auf sich zieht. Aber es ist ein sehr komplexes Gebäude. Es verändert sich stets im Lauf eines Tages, immer im Verhältnis zum Licht. Durch die Farb- und Lichtwechsel sticht die Pyramide gleichzeitig heraus und passt sich der Umgebung an. Das ist paradox. Diese Pyramide ist ein Ultrabrand, wenn man so will, sie ist ein Zeichen für den Kommerzstandort. Das Banale zeigt sich in mehreren Sachen. Zum Beispiel auf der Spitze ist einfach ein Schild, auf dem steht: Pyramide. Und dann gibt es natürlich noch die Veranstaltungen, die innen stattfinden. Diese Pyramide ist ein absolut komplexes Gebäude. In diesem Wechselspiel zwischen Einfachheit und dieser erzwungen Besonderheit liegt auch der Witz. Da will ja jemand um jeden Preis besonders sein.

Würdest du sagen, dass so ein Film und deine Filme allgemein politisch sind?

Ich hoffe, meine Filme haben etwas mit Heute zu tun. Das ist nicht zwingend politisch. Aber das Heute ist immer politisch. Bei „Picture Perfect Pyramid“ habe ich auch einen sehr dokumentarischen Ansatz gewählt. So wenig habe ich kameratechnisch noch nie verändert. Das sind einfach nur Beobachtungen.

http://www.johannlurf.net/pictureperfectpyramid/

Was bedeutet für dich Wiederholung? Ich fand bei diesem Film sehr interessant, dass du auf der einen Seite immer wiederholst, weil es ja in jeder der 24 Einstellungen um die Pyramide geht, aber gleichzeitig ständig veränderst, weil keine Einstellung der nächsten gleicht.

Für mich ist das keine Wiederholung, sondern Varianz. Man ist nicht in der Lage Unterschiede zu erkennen und deshalb ist es so spannend das zu filmen. Da passiert etwas im Lauf des Tages. Wiederkehrende Einstellungen oder der wiederholte Blick auf ein Objekt ermöglicht mehr Interaktion von Seiten des Zusehers. Das schärft die Sinne, wenn man ähnliche Einstellungen nochmal zeigt. Das Neue blitz immer auf eine andere Art auf. So verschwimmen beispielsweise die Kanten der Pyramide in der letzten Einstellung.

Wie war dein Gefühl mit der Kamera im Verhältnis zur Pyramide? Hast du dich so gefühlt als würdest du die Pyramide vergewaltigen oder hast du dich eher zärtlich genähert?

Ich schätze die Pyramide. Man muss fasziniert sein, um eine künstlerische Arbeit machen zu können. Aber es ist ein ambivalentes Gefühl. Das finde ich auch wichtig. Ich bin kein Fan dieser Pyramide, aber ich will auch nicht, dass sie abgerissen wird. Ich fühle mich von der Konstruktion und ihrer Faszination ertappt. Wie gehe ich damit um? Das hat mich interessiert. Ich glaube, dass Landschafts- und Architekturfilme immer  einen Vergewaltigungsimpetus haben, weil diese Objekte ja nicht weglaufen können.

Der Film war auch im Rahmen einer Installation zu sehen. Wo ist für dich da der Unterschied und gibt es diesen überhaupt?

Da ist auf jeden Fall ein Unterschied. Ich sollte dazu sagen, dass der Film im Installationsrahmen entstanden ist, aber immer mit dem Kino im Hinterkopf. Der Film sollte als Loop funktionieren und das hat natürlich Form und Struktur maßgeblich beeinflusst. Im Kino geht es dagegen, um diesen besonderen Moment in den fünf Minuten. In diesen fünf Minuten muss man alles sehen. Als Installation kannst du es eher studieren und analysieren. Dafür gibt es im Kino eine größere Aufregung, ein Excitement. Das ist im Ausstellungsraum komplett anders. Da wiederholt sich alles und es herrscht eine ganz andere Stimmung.

http://www.johannlurf.net/pictureperfectpyramid/

Wie stehst du dazu, dass sich in den letzten Jahren Bildende Kunst und Kino immer mehr annähern?

Ich finde diese Vermischung absolut gut. Das Ausschließen von bestimmten Bereichen bringt nichts. Filme werden immer gemacht, um gesehen zu werden und es gibt dann unterschiedliche Reflektionen darauf. Für mich selbst hängt das vom jeweiligen Projekt ab. Ich denke das schon im Vorfeld mit. Aber wenn es möglich ist, darf das gerne in beiden Feldern gesehen und reflektiert werden.

Gab es für dich mal die Idee in der Entwicklung die Pyramide von innen zu zeigen oder einen POV der Pyramide einzubauen?

Nein. Mich hat das Außen fasziniert.

Hast du irgendwelche besonderen Einflüsse in deiner Arbeit?

Ich lasse mich da nicht so gerne festlegen. Aber ja, ich komme aus Wien und da gibt es eine gewisse Sozialisierung. Einflüsse sind für mich immer die Vermischung verschiedener Faktoren. Das kann man nicht so einfach sagen.

Du arbeitest gerne mit Reduktionen. In diesem Fall 24 Einstellungen und in jeder ist die Pyramide zu sehen und die Kamera ist dabei immer auf der Linie einer Kante. Ist das so einfacher für dich?

Ja das macht es einfach. So bleibt man nicht auf einem Materialberg sitzen. So eine Arbeit sollte einfach sein, damit man sich auf das Wesentliche konzentriert. Es ist so aufgebaut, dass man immer auf eine Kante schaut, die Kamera als Verlängerung der Seitenkante der Pyramide. Ich bin dafür von einer Zeichnung ausgegangen und dann wusste ich auf welchen Positionen ich sein konnte.

Das ist die Zeichnung, die mir Johann Lurf freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat

Ich fand sehr spannend, als du im Publikumsgespräch gesagt hast, dass es für dich selbstverständlich ist auf Film zu drehen. Vielleicht kannst du dazu etwas sagen?

Es ist doch schön, dass wir heute alle Möglichkeiten haben. Wir können digital oder analog drehen. Das wird natürlich immer schwieriger. Mit Film zu arbeiten ist eine Gefühlsentscheidung. Da geht es um Wärme und Plastizität. Ich verstehe Film und Video als Geschwister. Sie haben ganz ähnliche Grundgedanken, aber können sich nicht ersetzen.

Woher bekommst du denn heute dann dein Filmmaterial?

Das ist projektabhängig. Hängt vor allem daran, ob es Geld gibt oder nicht. Man muss es immer so weit probieren, wie man kann. Das geht mal einfacher und mal schwerer.

Trotz all dieser formellen, architektonischen Strenge wohnt deinem Film auch etwas Mystisches, ja Traumartiges bei. Siehst du das auch so?

Da ist natürlich auch die Perspektive wichtig. Mit Einstellungen lenkt man die Aufmerksamkeit und wenn man dann etwas zeigt und nicht sagt, was es ist, dann entstehen Zwischenräume, weil die Leute dann selbst denken müssen. Ich will auch nicht 24mal Pyramide sagen.

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