Mittwoch, 19. März 2014

Diagonale 2.Tag: Dokumentarische Strategien und die Schönheit von Léa Seydoux, die nicht erwähnt wird, aber da ist.



Auch am Ende des 2.Tages tauschen sich Rainer und ich wieder über unsere Erlebnisse auf der Diagonale aus. Der erste Tag war geprägt von vielen unterschiedlichen Filmerlebnissen und dem Kennenlernen des Festivalablaufs im beschaulichen Graz. 


Rainer: Ich weiß du magst so etwas nicht - aber: Was war dein Favorit für den heutigen Tag 2?

Patrick: Das ist insbesondere heute eine schwere Frage, weil ich selten einen Tag erlebt habe, an dem ich so zufrieden war. „La Vie rêvée des anges" in der Agnès Godard Retro hat mich tief getroffen und mitgerissen. Das Kino hat da pulsiert. Wahnsinn. Aber „Calle López" von Lisa Tillinger und Gerardo Barroso Alcalá war einfach nur einer dieser Filme, die ich selbst gerne gemacht hätte. Dokumentarfilm wie er sein sollte. Hast du auch weitere Dokus gesehen?


Rainer: Ja! Stefan Ruzowitzkys "Das radikal Böse" - den würde ich dir gerne ans Herz legen - nicht nur weil er mir gut gefallen hat (das wäre vielleicht eher ein Grund der dagegen sprechen würde), sondern weil ich gerne wüsste, was du davon hältst, wenn Ruzowitzky sämtliche Mittel des Dokumentarfilms ins Feld führt (von Talking Heads bis Reenactments und Voice-Over Narration war alles dabei). Darüber hinaus behandelt der Film den Prä-Gaskammer-Holocaust - ein Thema das meines Erachtens oft vernachlässigt wird, obwohl es für ein Drittel aller Opfer verantwortlich ist. Ebenfalls am heutigen Programm stand Ruth Beckermanns "Those who go Those who stay", eine Art Travelogue, der durch Raum und Zeit mäandert (O-Ton Alejandro Bachmann). Für mich war es eine Art Rätselrallye, aber der Film ist sehr von der subjektiven Perspektive des Rezipienten abhängig.


Patrick: Also Beckermann interessiert mich sehr viel mehr als Ruzowitzky, aber mal sehen. Zusammen waren wir ja in Benjamin Heisenbergs "Über-Ich und Du". Wie hat er dir gefallen?
Rainer: Eine launige Buddy-Komödie, die sehr viel an Potenzial verschenkt. Für mich sah der so aus, als ziele man auf leichtverdauliche Kost, die gut fürs Hauptabendprogramm wiederverwertet werden kann. Deshalb wird die Psychologie als Gimmick und Gag-Garant eingebracht, aber nicht wirklich näher darauf eingegangen. Ohne die beiden tollen Hauptdarsteller könnte man sich den Film wohl kaum ansehen.

Patrick: Ich denke, dass da schon noch mehr Qualitäten waren wie etwa der wundervoll jazzige Score, den man so sehr selten in unseren Gefilden zu hören bekommt und der merkwürdige Dialog zwischen Berliner Schule Ästhetik durch die Kamera von Reinhold Vorschneider und der eigentlich leichten Kost. Ich glaube auch nicht, dass da Potenzial verschenkt wurde, weil Heisenberg genau sowas machen wollte. Besonders die bemühte Buddy-Konstellation im französischen Stil hat dieses Bemühen um eine konstruierte Intelligenz angezeigt, die zur Über-Intelligenz und Nichts geführt hat. Im Werk von Heisenberg eine interessante Entwicklung, die er nicht fortführen muss in meinen Augen. Jedenfalls habe ich heute kaum wirklich österreichische Filme gesehen. Hat sich deine Meinung zum Publikum denn heute verbessert?

Rainer: So leicht kommst du mir nicht davon. Selbst wenn Heisenberg darauf abgezielt hat ist es, wie du ja selbst feststellst, nicht unbedingt ein begrüßenswerter Schritt. Die Buddy-Konstellation an sich hätte mich ja gar nicht gestört, aber diese seltsame Sache mit der psychischer Übertragung und was zum Teufel sollten die Heißluftballons? Für mich steht dahinter ein großes "Warum?" Aber um noch kurz deine Frage zu beantworten: das Publikum war heute ganz brav (bis auf zwei läutende Handys).



Patrick: Ich habe die Heißluftballons genau wie die vermischten Dialekte und manches mehr als eine ironische Kritik am Identitätsbegriff und am Identitätssuchen in Deutschland verstanden. Das Sprechen über die Vergangenheit, obwohl wir immer wieder davon sprechen, war auch Teil dieser Strategie. Diese Leute, die von dort oben herab sehen, die Lokalitäten von außen betrachten, die nicht wirklich in der Welt sind. Das ist ein zutiefst deutsches Phänomen. Das größte Problem für mich war, dass der Film kaum lustig war.

Rainer: Ich konstatiere Faulheit: Die Schauspieler alle ihren eigenen Dialekt sprechen zu lassen, und sich dann noch dafür zu feiern - dem kann ich mal gar nicht ab. Die Heißluftballons (waren die eigentlich animiert oder sahen die aus anderen Gründen so Scheiße aus?) als Schenkelklopfer zwischendurch, etc. Wie gesagt finde ich es schade, dass die Akribie mit der bei der Wahl der Räume und der Ausstattung vorgegangen ist, sonst kaum im Film zu sehen ist.

Patrick: Dagegen muss ich nochmal was einwenden. Faulheit ist das sicher nicht. Ich hatte beim Film eher den Eindruck, dass zu viel nachgedacht wurde über verschiedene Dinge. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass man sich bei so einer krassen Vermischung an Dialekten (München, Österreich, Frankreich…) nichts überlegt hat? Ich glaube nicht, dass ein Schenkelklopfer am Schluss auf den Film stürzt.

Rainer: Also wenn die Heißluftballons nur im Film sind, dass am Ende einer auf die beiden abstürzen kann, ohne dass es (noch) willkürlich(er) wirkt, dann hat der Film sowieso jeglichen Kredit bei mir verspielt.

Patrick: Warum sie dort sind, habe ich versucht dir zu erläutern. Und meine These wird unterstützt davon, dass es am Ende zu einer Vermischung des Über-Ich und des Dus kommt. Aber lassen wir das. Ich mochte ihn ja auch nicht besonders.

Rainer: Jetzt haben wir so viel über Filme gesprochen. Ein Festival ist aber natürlich mehr als die Filme, die gezeigt werden. Meine Highlights des heutigen Tages: Die Festivaldirektorin fährt mit dem Rad, Kebab kostet hier 2,50 und nach vier Langfilmen frischt mich ein Kurzfilmprogramm mit anschließendem einstündigem Publikumsgespräch noch so richtig auf. Außerdem hab ich es geschafft am ersten echten Festivaltag allen vier Spielstätten einen Besuch abzustatten, was bei den Entfernungen zwischen den Kinos her einen beträchtlichten Reiseaufwand zur Folge hatte.

Patrick: Ich habe jetzt schon wieder einen Hass auf Q&As entwickelt. Insbesondere bei Agnès Godard, einer hochsensiblen und wunderbaren Künstlerin hat es mir fast Leid getan, dass sie nach diesem Magenschlag des Films dort vorne in einer spannenden Art über den Film sprach und ich einfach nichts hören konnte und wollte.


Rainer: Ich mag Q&As eigentlich ganz gerne. Da bekommt man dann ein Gesicht zum Filmemacher. Und im Falle des Innovativen Kino 1-Programms war es auch echt witzig. Kurdwin Ayub und auch Friedl vom Gröller waren echt lustig und gerade bei Avantgarde Filmen macht es Sinn, die Filmemacher danach auch darüber reden zu hören. Auch Beckermanns Ausführungen zu ihrem Arbeitsprozess waren sehr erleuchtend.

Patrick: Ich würde gerne erst fühlen, dann reflektieren und dann andere Meinungen hören. Bin schon interessiert an den Filmemachern logischerweise, aber diese Momente unmittelbar nach dem Film werden davon zerstört. Es war sehr wenig los bei meinen Vorführungen, selbst „Grand Central“ mit Starpotenzial und zu einer guten Zeit war nicht ganz gefüllt. Was Godard und auch Heisenberg über ihre Filme gesagt haben, war wertvoll und gut, aber es hat meine eigenen Reaktionen auch direkt beeinflusst. Und darauf habe ich keine Lust. Aber ich muss ja nicht bleiben. Ein letztes würde ich dann noch ansprechen: Heute in „Calle López“ ist mir noch etwas zum Eröffnungsfilm „Das große Museum“ aufgefallen: Der Blick von Johannes Holzhausen kommt da von sehr weit außen und er blickt auf Menschen, die sich seinem Blick bewusst sind, die zu teilen in der Öffentlichkeit stehen und er blickt auf Menschen, die sich kaum bewegen. Ein Blick auf eine ständige Unruhe, arme Menschen am Rande der Zivilisation scheint mir da deutlich einfacher. Die Frage muss aber immer auch sein wie begegne ich meinem Subjekt. Und das fand ich bei Holzhausen respektlos und wenig ausbalanciert und in „Calle López“ eigenwillig, zurückhaltend und trotzdem unendlich viel näher. Ich weiß, dass du den Film nicht gesehen hast, aber vielleicht kannst du etwas dazu sagen wie die beiden Dokus heute deinen Blick auf die gestrige Doku womöglich verändert haben.

Rainer: Freue mich schon auf "Calle López", der steht eh noch auf meinem Plan. Am offensichtlichsten ist wohl ein Vergleich mit "Those who go Those who stay" - Holzhausen saß da sogar im Publikum und die beiden Filme sind beide vom Cutter Dieter Pichler geschnitten worden, der auch am Q&A teilnahm. Beckermann hat gesagt, und das sieht man dem Film auch an, dass Filmemachen für sie ein organischer Prozess ist, der zwar eine lange Vorlaufzeit braucht, aber wo Pläne nicht allzu konkret werden dürfen. Rigide Drehpläne schließen den Zufall aus, der in Dokumentarfilmen so unendlich wichtig ist. "Those who stay Those who go" ist natürlich ein Extrembeispiel, da er bewusst fragmentiert gebaut ist, aber auf was ich eigentlich hinauswill ist, dass diese Spontanität "Das große Museum" fehlt. Das wirkt alles klarer, stringenter, geplanter. Das stört mich vielleicht mehr an dem Film, als die Kritikpunkte, die du gestern hervorgebracht hast. Mit "Das radikal Böse" ist der Film eigentlich nicht zu vergleichen.

Patrick: Aus fehlender Spontanität kommt dann doch aber ein solcher reduzierender und reduzierter Blick. Also so weit weg ist das nicht von meinen Kritikpunkten von gestern. Ich glaube an die Poetik einer Beobachtung und ich habe sie heute an vielen Stellen gesehen. Ich freue mich auf morgen.





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