Mittwoch, 26. Februar 2014

Stein auf Stein


Text: Rainer Kienböck

Stein erinnert sich. Filme sind wie Stein. Sie sind pure Erinnerung. Film als kollektives Weltgedächtnis. Bezeichnend also wenn Alexander Kluge und Peter Schamoni den Stein sprechen, oder besser, brüllen lassen.

In „Brutalität in Stein“ erinnern sich die monumentalen, nutzlosen Ruinen des Reichsparteitagsgeländes an ihre früheren Herren. Mit einem kreischenden, krächzenden Ächzen erhebt der Stein noch einmal seine Stimme. Ein Ächzen, als ob der Stein nur widerwillig seine Erinnerungen preisgibt. So wie sich das deutsche Kino der 50er Jahre gegen diese Erinnerung gewehrt hat, sondern nur verdrängen und vergessen wollte. Kluge/Schamoni beenden dieses Schweigen und stürzen sich in den Diskurs der Aufarbeitung.


Verwandt ist dieses Ächzen aber mit anderen mythischen Signaltönen: der Schuss in Peter Kubelkas „Unsere Afrikareise“, der Schrei der keltischen Banshee, der „Horror“ in Apocalypse Now“, der Eingriff Gottes am Ende von Faust II. Und so wie Faust verziehen wird, endet auch der lange Vorgang der Aufarbeitung mit einer Aussöhnung der Generationen, auch wenn sie in „Nicht versöhnt“ noch unversöhnlich scheinen. Sobald man die Faktenlage geklärt hat, versucht hat zu verstehen, dann darf auch nach Auschwitz wieder die Poesie zu Wort kommen.  Das zentnerschwere Gewicht auf der deutschen Volksseele weicht einem neuen Selbstbewusstsein, das den Neuen Deutschen Film erst möglich machte. Die Schuldfrage bleibt als fruchtbares, zentrales Thema erhalten, an dem sich diese Welle deutscher Filmemacher und auch nachkommende Generationen abarbeiteten.

Nicht immer ist es so einfach mit dem belasteten Gedächtnis wie in „Brutalität in Stein“. Der Horror in Coppolas „Apocalypse Now“ verdichtet sich am Ende des Films und legt sich wie ein dunkler Schatten über den Dschungel. Wenn The Doors „The End“ proklamieren, dann irren sie sich. Der Horror in „Apocalypse Now“ ist teuflische Redundanz: Willard folgt auf Kurtz – der Horror bleibt.


Manche Filme, wie Tarkovskis „Zerkalo“ konfrontieren uns nur mit Erinnerungsschnipseln, andere spielen mit Erinnerungsverlust („Memento“), in anderen ist Erinnerung konstruiert („Dark City“), in anderen wird Erinnerung eliminiert („Eternal Sunshine of the Spotless Mind“), andere schreiben ihre Erinnerung einfach um („Butterfly Effect“). Ich erinnere mich an die anregende Wirkung von letzterem, als ich ihn vor 5-6 Jahren zuletzt gesehen habe – trügt mich meine Erinnerung?

Erinnerung und Film geht aber nicht ohne Resnais. „La Nuit et le brouillard“ erinnert sich an bestialischen Völkermord (und ist dabei „Brutalität in Stein“ gar nicht so unähnlich), „Hiroshima mon amour“ an die tödlichste Waffe der Menschheitsgeschichte, „L’Année dernière à Marienbad“ an den letzten Sommer (oder auch nicht). Erinnerung ist bei Resnais vergänglich und veränderlich, diese Ambiguität macht sie aber auch schwer zu fassen. Resnais Gedächtnis ist beweglich und dünnflüssig, selbst der Stein verändert sich und täuscht den Erinnernden. Statuen verändern ganz einfach ihre Form, ist es der Sommer, das Gedächtnis oder der Ort der sich verändert? Wo Kluge/Schamoni mit einer in Stein gemeißelten historischen Faktenlage arbeiten, liegt bei Resnais die Erinnerung im Nebel. Dem Stein ist nicht zu trauen, der Erinnerung ist nicht zu trauen.

Zum Schluss: Chris Marker erinnert sich an den eigenen Tod.


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