Montag, 24. Februar 2014

Ich, der Film



Ich suche mich im Film, ich darf mich finden, ich bin naiv. Also schaue ich. „Ich bin neugierig (gelb)“ von Vilgot Sjöman, eine sexuelle Ich-Findung, die eine Wir-Findung ist. Finde ich mich darin? Ein provokativer Bildungsroman, eine Lebensgefühl, aber ich bin anders. Ich sehe darin nur das verlorene Ich einer Zeit, in der ich nicht gelebt habe. Identifikation ja, aber immer auch medial konstruierte Nostalgie für etwas, das ich nie war und sein werde. Die zeitliche Verschiebung von Film, die Vergangenheit der Leinwand könnte einem Ich im Weg stehen. 


Christoph Hochhäuslers „Falscher Bekenner“ wurde im englischen Titel zu einem „I am Guilty“. Er fängt die Perspektivlosigkeit des Moments ein, die Frage nach dem Ich wird tatsächlich gestellt. Aber das Ich wird erst dann erkannt, wenn es sich anonymisiert. Ich fühle mich ertappt, denn das Ich ist falsch.

Welches Ich will ich überhaupt sein? Die unzähligen Vorschläge die Filme unterbreiten ein Ich zu werden oder nicht zu werden, ein Ich zu verlieren, ein Ich zu spielen, treiben mich in eine andere Welt, guess I’ll always have to be, living in a fantasy?

Film findet immer ein anderes Ich. Es ist ein schuldiges Ich, weil es scheinbar nur in einem Rahmen bestehen kann, dem man manchmal nur allzu gerne brechen würde. In welchem Film würde ich gerne leben, in welcher Welt? Gebt mir die goldene Eintrittskarte aus „Last Action Hero“ und ich springe in die Filme und dann bin Ich Film. „I am Legend“, Richard Mathesons Buch, Vorlage für zahlreiche Filmmythen rund um den letzten Menschen. Ist man im Kino nicht immer der letzte Mensch? Man will es sein. Man selbst und die Bilder. Ein subjektives Meer, indem man vergisst, dass es ein Du gibt und ein Er und vor allem ein Alle. 


Ich bin eine Legende im Kino, weil ich mich so fühlen kann wie die Figuren. Was in „The Act of Killing“ von Joshua Oppenheimer zur Realität wird, erlebt man ohne Konsequenzen jedes Mal im Kino.  Das Gefühl für das Ich-Sein im Kino egal wer der Er ist, den man sieht. Doch was passiert, wenn das Ich wirklich das Ich ist, wie eben in jener Dokumentation oder in Miguel Gomes „Aquele Querido Mês de Agosto“? Was ist das Ich noch wert, wenn es einmal zum Film wurde? Der Blick des Schauspielers auf die Leinwand ist ein Blick auf seine eigene Vergänglichkeit. So wird es auch in „Solaris“ von Andrei Tarkowski angezeigt. Die Leinwand ist der letzte Spiegel, den man sehen will. Man kann das Ich dort nicht sehen, nur seine äußere Erscheinung und seine Seele, die sich immer nur im Ich des Zusehers vereinen. In „I’m still here“ erinnert Joaquin Phoenix an seine Existenz, eine den Film ignorierende filmische Existenz. Der Spiegel hat sich in etwas verwandelt, dass man nicht mehr sehen will, denn das Ich im Kino ist medial konstruiert, ist immer an eine Erwartungshaltung gebunden.


„Io sono l'amore“ von Luca Guadagnino nutzt das Ich zu einer subjektiven Erhöhung, wenn alle Farben von der Leinwand tropfen, weil sie bis zum Rand mit Emotionen gefüllt wurde, dann zeigt das einen subjektiven Blick an. Mein Blick aber ist der auf einen Genre-Film, auf Douglas Sirk, auf die Farben des Melodrams. Da ist kein Platz für ein Ich, weil für das Ich oft Manipulation und eine Bereitschaft des Zusehers von Nöten ist, ein „Ich lasse mich auf das Geschehen ein“. Gute Filme aber erreichen das Ich anders. Sie zeigen eine Wahrnehmung, die der Ich-Wahrnehmung entspricht, sie schauen dem Ich zu und machen das Ich gleichermaßen zum Inhalt wie zur Form, ein Ich, das sich aus dem Film ergibt und nicht aus dem Zuseher. Ich zu sein, heißt nicht zu denken.

Das Ich ist auch eine Vorstellung, ein „Hallo, das bin ich, ich werde euch von mir erzählen“ wie in „I am Sam“ von Jessie Nelson. I am the Spectator and I don’t care. Persönlicher wird es da bei David O. Russell und seinem Durchschuss “I Heart Huckabees”, ein Film der viele Fragen stellt, darunter auch eine Frage nach dem Ich. Das Ich wird Teil eines philosophischen Diskurs, ein Meta-Ich, in dessen Zwischentönen sich das Ich des Autors offenbaren könnte. Aber was bedeutet das Ich des Autors? 


In den Diskussionen rund um Lars von Triers „Nymphomaniac“ heben viele das Spiel mit dem ich als positiv, andere als negativ hervor. Steht es nun dem Inhalt und seiner Figur im Weg oder ist er das Ich seiner Figur oder sogar mehrere Figuren oder ist er nur ein distanzierter Ich-Betrachter seines teuflischen Universums? Wie nahe ist Masturbation, die von Trier selbst als Analogie zu seinem Filmschaffen genannt hat, an der Ich-Findung des Kinos und ist die Ich-Findung eines Regisseurs immer auch Teil der Ich-Findung des Zusehers? Jedenfalls scheint mir auffällig, dass eine Unterscheidung zwischen objektiven und subjektiven Filmemachern wie sie unter anderem Pasolini getroffen hatte, heute nicht mehr zutrifft. Fällt es mir noch leicht bei Antonioni und Fellini oder bei Resnais und Godard oder Herzog und Kluge klare Tendenzen in eine der beiden Richtungen zu erkennen, so verschleiern sich diese Grenzen im modernen Kino bei Pedro Costa, Béla Tarr oder Paul Thomas Anderson komplett.

„I used to be darker“ von Matthew Porterfield scheint sich zugleich auf seine Figuren und ihn selbst zu beziehen. Kälte und Wärme sind nicht mehr so leicht zu trennen. Schließlich vermag die Kälte etwas über das tiefe innere auszusagen. In diesem Fall ist Filmästhetik in eine Sackgasse gefahren oder ans Ende ihrer Kunst. Der Weg heraus kann wieder nur über das Ich führen und daher scheint so vieles im heutigen Kino subjektiv oder eben nicht. 


„J’ai tué ma mère“ von Xavier Dolan ist ein Geständnis. Weniger ist es das Geständnis eines mentalen Mordes, als das Geständnis einer Ich-Findung. Ästhetisch und ästhetisiert bewegt sich das junge rebellische Antlitz durch den Film, das schon seit Jahrzehnten immer ein jugendliches Ich im Kino repräsentierte. Ein jugendliches Ich, das werden will und noch lange nicht ist. Das Film-Ich ist immer dann ein Ich, wenn es nicht vollständig ist. Man geht aus dem Kino und will Veränderung spüren. Man will sich neu erfinden können, ich will das zumindest. 


„I’m a cyborg but that’s okay“ von Chan-wook Park und „I, Robot“ von Alex Proyas sind gestörte Ichs einer verfremdeten Welt, wenn das Ich nur noch eine mechanische Wiederholung ist und in Zeitlupensequenzen alles in Grund und Boden ballert. Das Ich entledigt sich seiner Umwelt, damit es sich selbst fühlen kann. Aber wie bereits gesagt, findet Film immer ein anderes Ich. Und dieses andere Ich findet sich dann halt oft im unerwartet Humanen. Das Menschliche wird vom Kino als Teil des Ichs verstanden.

Seine Verneinung führt aber zu einer ähnlichen Identifikation. Vielleicht ist das Ich im Film ein sich selbst auslöschendes. Eines, das Freude am Sadismus, an Gewalt und am Kranken hat, das es liebt seine dunkle Seite zu erkennen, vielleicht ist das Ich im Kino immer ein Gegenstück zum realen Ich. Ein schuldiges Ich, eine perverse Fantasie. „So glücklich war ich noch nie“ lautet der Titel eines Spielfilms von Alexander Adolph und auch darin ist das Ich falsch. Das Ich verweist auch immer auf eine Lüge. Nicht umsonst heißt es „Catch me if you can“ bei Spielberg und nicht umsonst ist es die „Història de la meva mort“ bei Albert Serra. 


Das Ich als Heuchler, als eine Projektion der eigenen Wahrnehmung und damit analog zum Kino selbst zu verstehen. Das Kino ist das einzige Ich. Vielleicht ist es deshalb folgerichtig von Todd Haynes sein Biopic über Bob Dylan „I’m not there“ zu nennen und die reale Figur eines Künstlers in sechs Schauspielern aufzuteilen. Wer ist Ich? Wer ist Er? Eine Frage, die das Kino nur fragmentarisch beantworten wollen sollte. Stattdessen löst sich das Ich von Bob Dylan auf, unabhängig von Geschlecht, Aussehen, Alter, Hautfarbe und so weiter. Damit schafft es der Film, sich von seiner Äußerlichkeit zu befreien. Äußerlichkeiten, die das Kino dominieren und die den Weg zum Ich versperren.

Wenn es aber einer Filmemacherin wie Chantal Akerman in „Je, tu, il, elle“ gelingt sich selbst wie durch ein objektives Glas zu beobachten, wenn das Ich nicht Teil einer Handlung, sondern einfach eine körperliche Präsenz ist, dann wird das Ich im Kino vital, weil es dann zu einem Du und einem Wir wird ohne jemals, dass Ich zu verlieren. Die Frage ist also auch, ob Kino eine subjektive Kunst ist und sie ist klar mit Ja zu beantworten. Kino kann die Wahrnehmung einer Welt durch einen Künstler greifbar machen, Kino kann sich mit ganz persönlichen und kurzlebigen Momenten beschäftigen. Kino ist förmlich prädestiniert dafür, weil es die Zeit zu einem subjektiven Erlebnis machen kann, eine Fähigkeit, die jeder anderen Kunstrichtung abzusprechen ist. Es ist aber auch klar, dass Kino häufig näher an objektiven Künsten wie dem Theater gedacht wird. Ein fataler Irrtum, das eine Zeit lang debattiert wurde und inzwischen im öffentlichen Diskurs einfach akzeptiert wird. Denn, so sagt man uns, am Ende ist ja alles subjektiv und ein weites Feld ist es sowieso.


Bilder aus "Alle Anderen" von Maren Ade und "Auf der anderen Seite" von Fatih Akin

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