Freitag, 3. Januar 2014

Die Fontainhas Trilogie von Pedro Costa



Es ist zu einer großen Mode geworden aus Mangel an tatsächlicher Auseinandersetzung mit Filmen schnell generelle politische Kritik an den Regisseuren zu üben. So scheint es für Filmemacher heute praktisch unmöglich, Erotik zu zeigen, ohne sich dafür einer Horde wildgewordener Feministinnen stellen zu müssen und so wird jede politische Aussage immer gleich objektiviert und in Frage gestellt. Filme werden auf ihre politische Richtigkeit hin kritisiert. Dabei wird vergessen wie zeitlich begrenzt politische Anschauungen in unserer Kultur wirklich sind und dabei wird zu leicht vergessen, dass Filme eben auch einen subjektiven Blickpunkt wiedergeben. Sei es der der Filmemacher oder sei es gar der der Charaktere. Als härteste Folge dieser andauernden Kritik an Filmen dürften sich Regisseure wohl nur noch daran wagen, ihr eigenes Leben zu filmen, denn bei autobiografischen Filmen, versteht auch der letzte dahergelaufene Wichtigtuer, dass es sich dabei um einen subjektiven Standpunkt handelt. Vielleicht ist Jonas Mekas in diesem Zusammenhang ein völlig unkritisierbarer „Farmer“ (so bezeichnet er sich selbst) unter den Filmemachern. Trotzdem sagt er, dass seine Filme politisch sind. Dies gilt aber für alle Filme. Treffenderweise hat Abdellatif Kechiche sich eine Standardantwort auf die viele Kritik an seiner Darstellung eines lesbischen Paares in „La vie d’Adèle“ zurechtgelegt: „Dann darf ich auch keinen Film über einen Piloten drehen, weil ich selbst kein Pilot bin.“ Das was englischsprachige Kritiker immer als „male gaze“ bezeichnen, hat vielleicht auch etwas Schönes. Denn Film ist nun mal in erster Linie ein Blick. Gewünscht wird aber immer, dass dieser Blick völlig verschwindet (vor allem, wenn er männlich ist), um dann im gleichen Atemzug daran zu erinnern, dass Film nie die Realität abbilden kann. Vor kurzem habe ich in einer Diskussion über das afrikanische Kino die Frage geäußert, ob nicht ein weißer Regisseur ein ähnlich wahres Bild von einem Mann im Senegal zeigen könnte wie ein Filmemacher aus dem Senegal. Ich wurde mit Fragezeichen und/oder Empörung angesehen. Mein Punkt ist der Folgende: Es ist doch alles eine Frage der Annäherung. Offenbart der weiße Filmemacher im Senegal, dass sein Blick der eines Fremden ist, der eines lernenden Beobachters, kann er eine ganz neue, mindestens genauso wahrhaftige filmische Arbeit über seine Figur erreichen wie der Filmemacher, der dieser Mann ist. Vielleicht ist keines der beiden Bilder wirklich komplett, vielleicht würden nur beide Filme zusammen (und hunderte mehr) so etwas wie Wahrhaftigkeit und Realität wiedergeben. Alles andere ist Teil eines Blickpunkts, egal wer der Regisseur ist. Das hat nichts mit einem ethnographischen Filmschaffen per se zu tun und auch nichts mit irgendwelchen kolonialen Überbleibseln in der westlichen Denkweise, sondern schlicht mit der Unschuld in der Darstellung durch das filmische Medium und einem ehrlichen Vertrauen in die Abbildung einer kinematographischen Realität, die durch bestimmte Herangehensweisen, die im Zeitalter der absoluten digitalen Manipulierbarkeit natürlich peu à peu an Glaubwürdigkeit verlieren, hergestellt werden. Mit Herstellung meine ich, dass sich Filme dieser Herstellung bewusst sein können ohne damit an Innenleben zu verlieren.  
  


Mit seiner Fontainhas Trilogie hat der portugiesische Filmemacher Pedro Costa ein fremdes Milieu durchdrungen. Doch genau in diesem „Durchdringen“ liegt der entscheidende Punkt, denn Costa macht in seinen drei Filmen „Ossos“ („Haut und Knochen“), „No Quarto da Vanda“  („In Vandas Zimmer“) und "Juventude Em Marcha" („Jugend voran!“) gar keine Anstalten irgendwelche Pseudo-Blicke von innen auf sein Milieu zu werfen, sondern bleibt die ganze Zeit über ein fremder Beobachter, ein wie er selbst sagt „Tourist“ in diesem armen Einwanderungsviertel (Kapverdische Immigranten)  in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon. Aber ihm gelingt es dabei das Innenleben darzustellen.


Wie geht Costa nun ran an seine Filme und an Fontainhas. Im ersten Teil, der lose und doch essentiell verbundenen Filme, „Ossos“ wird man zusammen mit dem Film in eine fremde Welt geworfen. Man lernt eher den Ort kennen, als die Figuren oder so etwas wie ein Thema. Und eigentlich verwirrt der Ort auch mehr, als das er tatsächlich informativ durchdrungen wird. Vielmehr wagt Costa eine emotionale, beobachtende und dennoch den Lebensumständen absolut gerecht werdende Durchdringung. Durch ständige Wiederholungen und Ellipsen, durch einen lauten und rhythmischen Umgang mit Sound-Design und der Zeit, die der Kamera und dem Zuseher gegeben wird das Leben zu betrachten, entsteht ein lebensechtes Bild. In seiner narrativen Zurückhaltung wird der Film fast zum dokumentarischen Essay, zusammengehalten von kleinen Spuren, die man sich genauso zusammenreimen muss, wie wenn man im Leben auf Menschen trifft. Ihre Geschichten werden nicht diktiert, sie existieren schon lange vorher. Daher spielt Zeit auch keine so große Rolle, sondern eher der Ort, als absolute Verwirklichung von Gegenwart, in die Vergangenheit und Zukunft erst im Gespräch mit den anderen beiden Filmen der Trilogie zum Vorschein treten. Costas Charaktere scheinen sich der Kamera bewusst zu sein. Sie wenden sich von ihr ab, ziehen Vorhänge zu und versperren die Türen. Costa selbst hat einmal gesagt, dass es jene Filme gibt, in denen die Türen völlig offen sind und die damit eine absolute Transparenz erzeugen und Filme (zu denen ich Costas Filme zähle), in denen die Türen einen Spalt geöffnet sind und somit auch klar wird, dass jemand durch die Türe blickt. Wie mehrfach festgestellt wurde, gibt es eine junge Frau, die ohne jegliche narrative Motivation einige Male in „Ossos“ auftaucht. Sie könnte als Beobachterin des Geschehens fungieren, als Alter Ego für die Kamera selbst. In allen drei Filmen verweilt die Kamera länger an den Orten als die Figuren. Immer wieder wird das Bild entleert. Das ist kein bloßer minimalistischer Selbstzweck, sondern Ausdruck der eigenen Beobachtungen. Costa hat persönliche Filme über eine fremde Welt gemacht. Im Endeffekt ist jede Welt, die man filmen kann immer fremd. Daher muss das Element der Persönlichkeit in Filmen auch weiterhin gegen popcornstinkende Unterhaltungssüchtige und Anti-Autoren-Prediger verteidigt werden, denn es liegt solch eine große Kunst darin etwas zu filmen und sich selbst darin zu finden und damit auch anderen die Möglichkeit zu geben sich selbst zu finden. Natürlich hat Costa im Laufe seiner Arbeit Ort und Menschen immer besser kennengelernt. Er hat sich eventuell in der komischen Situation gefunden ein Fremder an einem Ort zu sein, den er kennt. Aber er ist klug genug, um seinen Fokus so zu verschieben, dass seine Filme weiter wahrhaftig bleiben.




Geht es in „Ossos“ um junge Leute, die mit dem Fluch eines Kindes konfrontiert werden und nach extremen Mitteln suchen sich dieses Kindes zu entledigen, so wechselt er in „No Quarto da Vanda“ hin zu einer völlig bloßgestellten Meditation auf Drogenabhängigkeit, um in „Juventude Em Marcha“ einen poetischen Zeitsprung zu wagen, zu einer Vaterfigur, die Zukunft und Vergangenheit gleichermaßen vereint und das Leben seiner Kinder betrachtet. Costa hat sich also immer wieder aufs Neue in eine Situation des unwissenden Beobachters begeben. Und er lässt den Zuseher daran teilhaben. Selten habe ich drei Filme gesehen, die an einem einzigen Ort spielen, ohne dass ich diesen Ort wirklich kennengelernt habe. Alles besteht nur aus Eindrücken, kurzen Momenten (und da sind wir auch wieder bei Jonas Mekas). Nicht nur narrativ und psychologisch stellt der Film mehr Fragen, als dass er Antworten gibt, sondern auch in seiner Bildgestaltung. Die Schatten und Schemen an den Wänden geben genau diese Einstellung zur filmischen Realität wieder. Insbesondere in „Juventude Em Marcha“ malt Costa mit kleinen Lichtfeldern in der Dunkelheit. Sonnenquadrate dringen durch die Fenster und beleuchten exakt die Köpfe der Figuren. Vanda erzählt von Geistern, die sie sieht und später steht Ventura vom Tisch auf und wird zu einem solchen Geist, einer schmemenhaften Figur, die sich an den Mauern von Fontainhas entlang schleicht. Diese kleinen Lichtstrahlen sind das Bild, das uns gegeben wird. Alles darum herum bleibt dunkel. Und genau darin liegt nicht nur der Reiz an Costas Filmen, sondern am Kino allgemein. In einem bemerkenswerten Dialog stellt eine Tochter von Ventura fest, dass mit der Umsiedlung in modernere und neu-gestrichene Häuser auch die Wände weiß werden. Und auf weißen Wänden hört man auf sich Dinge vorzustellen, man lässt keinen Platz mehr für Fantasie und Geschichte. In der Dunkelheit finden Filme zur Wahrheit. Sind es in „Ossos“ vor allem Fenster, die den Blick zugleich lenken und verweigern, so verschließt Costa in „Juventude Em Marcha“ immer wieder Türen. Diese Türen haben Probleme. Sie fallen von alleine zu, sie lassen sich nicht öffnen, sie werden leicht aus der Angel gehoben. Es ist als wollten sich die Räume dahinter nicht filmen lassen. Nur manche Menschen ermöglichen den Zugang. 


In „No Quarto da Vanda“ gibt es noch ein anderes Fenster zur Welt. Den ständig laufenden Fernseher. Er verortet das Geschehen in jener sozialen Wirklichkeit, die dieser Film so gar nicht nötig hätte. Was hat es also mit dem Fernseher auf sich? Er scheint mir Teil dieser totalen Streuung der Wahrnehmung zu sein. Dialoge gibt es nicht, denn jedes Gespräch ist immer ein Monolog. In langen Sequenzen auf Vandas Bett werden Drogen genommen und geraucht und geredet. Aber niemand hört dem anderen wirklich zu, denn alle Figuren reden nur über sich selbst, sind immer auf der Flucht in die Einsamkeit ohne in den engen, überladenen Gassen jemals zu entkommen. Eine zermürbende Ich-Bezogenheit, die erst vom melancholischen Ventura, der zumindest manchmal zum Zuhörer wird und damit trotz seiner Fehler eine ungeahnte Wärme ausstrahlt, im dritten Teil gebrochen wird. Draußen lärmt es furchtbar, alles wird abgerissen, dann setzt man sich wieder einen Schuss, dann läuft das Fernsehen, ein Kind rennt durch das Bild, ein Bagger zerstört etwas, eine kaputte Tür wird weggetragen, jemand setzt sich einen Schuss, jemand erzählt vom Leiden im Gefängnis. Es ist eine Ansammlung von Momenten, in denen das Subjektive auf das Objektive trifft. Und wieder wird auch der Beobachter selbst, also Costa und der Zuseher in diesen Strom geworfen. Bewegungsunfähig hält sich der Film an banale Kameraeinstellungen, die erschöpft sind, die sich ausruhen und in die Ecke setzen und erschreckenderweise dadurch Schönheit und Wahrheit inmitten des Grauens entdecken. Aber auch diese Schönheit existiert nur in kurzen Momenten und diese Schönheit ist brutal. Ein roter Sessel vor einem verwahrlosten Haus in „Juventude Em Marcha“, ein kurzer Moment körperlicher Nähe im Bus in „Ossos“ oder ein Holzschiff in „No Quarto da Vanda“. In allen drei Filmen gibt es Spielzeug. Das Spielzeug liefert keine Flucht, aber es scheint als würde den Kindern dennoch eine romantische Möglichkeit gegeben werden. Auch in Dialogen über die eigene Kindheit, ist den Charakteren kein Bedauern anzuhören. Das Spielzeug ist an die Existenz geknüpft. Genau wie die Fantasie. 



Costa hat dennoch drei völlig unterschiedliche Filme gemacht. Übt er sich in „Ossos“ in einer Form von elliptischer Zurückhaltung, die er auf Film bannt, so wird „No Quarto da Vanda“ zu einer digitalen Erforschung der Darstellung von realistischer Zeit, in der er ein zutiefst persönliches Element der Leere mit einbringt, die sich für eine Sekunde nach dem Abblenden in ein völliges Schwarz überzieht und eine Atempause ähnlich der Schlusssequenz in Antonionis „L’eclisse“ verlangt. In „Juventude Em Marcha“ ist Costa viel formeller. Wiederholungen und Sprache gewinnen an Bedeutung. Jetzt wagen Realismus und Abstraktion einen lyrischen Tanz. Ein überhöhtes, fast schon expressionistisches Framing (gelegentlich küsst ihn die Caligari-Muse auch schon in den beiden anderen Filmen) und betont langsame Bewegungen. Immer wieder wird ein Brief zitiert. Costa ist nicht an einer (unmöglichen) umfassenden Schilderung des Ortes interessiert, sondern versucht tatsächlich ein Gefühl für das Milieu zu entdecken. Es scheint als wäre er im vorerst letzten Teil sogar mehr ein Beobachter seiner Hauptfigur Ventura als des Ortes selbst. Nur-und das ist ein entscheidender Punkt-seine Charaktere sind ihre Orte und die Orte sind die Charaktere. Die Hustenanfälle von Vanda entsprechen dem ständigen Abrissgeräusch, die leeren Blicke verhalten sich parallel zu den kargen Mauern. Er bedient sich dafür eines scheinbar minimalen, aber in Wahrheit riesigen Spektrums an filmischen Mitteln. Bevor er mit dem Drehen begann, verbrachte Costa sehr viel Zeit im Viertel, lernte Menschen und Geschichten kennen und atmete die Luft des Ortes. Dennoch blieb er ein Beobachter, weil ein guter Regisseur immer ein guter Beobachter sein muss (kein Geschichtenerzähler, das müssen Produzenten sein.) Costa hat zumindest für „Ossos“ keine Dialoge geschrieben, für Geldgeber hat er nur ein Script verfasst, das am Ende kaum etwas mit dem fertigen Film zu tun hatte. Sein Sound Design ist zu Teilen konstruiert und nachträglich entstanden, die Figuren sind häufig von Schauspielern verkörpert. (man glaubt es kaum) Costa hört und schaut zu und ähnlich wie viele seiner Landsleute (etwa Miguel Gomes) vermischen sich Dokumentation und Fiktion zur Wahrheit. Aber Costa kommt weder von den Kap Verden noch ist er aus dem Fontainhas Viertel. Ist sein Blick nicht nur der Blick eines weißen Mannes auf die Einwanderer und ja, auch auf die Frauen?  Diese Frage zu stellen, wäre eine Beleidigung für den Respekt und die Arbeit von Costa. 

Seine Filme erzählen keine Politik, sie sind es. 
Er hat keine Themen, sondern die Themen haben ihn. 
Er erzählt nicht, er schaut und hört.



In einer wahnsinnigen Parallelfahrt in „Ossos“ offenbart Costa die ganze filmische Kraft hinter seiner Zurückhaltung. Der junge Mann geht mit einem Müllsack durch das Viertel. Man ist sich nicht ganz sicher, ob sich im Müllsack das kleine Kind befindet und wenn ja ob es lebt beziehungsweise was er damit tun wird. Im Hintergrund erzählen sich Schnipsel einer geografischen Erkundung. Menschen und Orte. Die Leere der Orte hält nie an, das ist kein Stillleben einer Ruine, das ist menschliches Leben. Genau wie die Drogen in „No Quarto da Vanda“ in erster Linie erst mal da sind. Sie sind Teil eines Lebens. Keine Urteile, keine Betonung von moralischer oder medizinischer Gefahr, sondern ein Abbilden von kinematographischer Realität. Wenn etwas laut ist in den Filmen, dann ist es der Eingriff von außen. Er wird als solcher gekennzeichnet. Laut dabei ist nicht nur der Ton der Abrissmaschinen, sondern auch die Härte des neuen Lebens in „Juventude Em Marcha“. Vanda sitzt in einem merkwürdig kalten Raum.  Sie hat jetzt ein Kind. Sie will vernünftiger sein. Sie kämpft mit sich und redet viel. Sie redet auch mit dem Fernsehgerät. Es ist dieselbe Vanda, aber plötzlich kommt Zeit in den Ort, sie hat sich über drei Filme eingeschrieben. Costa hätte nicht gewagt Aussagen über Geschichte und Geschichtlichkeit zu treffen, er hat gewartet bis sie den Bildern von ganz alleine zugeführt wird. Betrachtet man andere Langzeitstudien wie den Antoine Doinel-Zyklus oder Richard Linklaters Liebesgeschichte, dann wirken diese im Angesicht der Fontainhas Trilogie trotz ihres edlen Bestrebens einfach nur bemüht. Denn bei Costa wandeln sich eben nicht nur die „Schauspieler“, sondern auch und vor allem die Welt um sie herum. Es sind echte, ganz banale Probleme und nicht die intelligenten intellektuellen Spielereien, die sich nach einer Zeit des Wartens auftun. Nein, Costa hat nicht gewartet bis er weitergedreht hat, er hat auch nicht zugesehen wie sich die Dinge verändert haben, sondern er ist einfach wieder als Beobachter gekommen und hat von Neuem angefangen.

Überforderung, Unschuld, Leben und Reue. Melancholie, Wut, Angst und Gleichgültigkeit. Zuneigung, Begehren, Ablehnung und Schamgefühl.  Wo ist er nun der Blick des weißen Mannes?



Einige meiner Ideen basieren auf diesem wunderbaren Video-Essay

 

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