Donnerstag, 9. Januar 2014

All Is Lost von J.C. Chandor-Kino als Kampf gegen höhere Mächte



Text: Rainer Kienböck

Pünktlich zur Award-Season startet J.C. Chandors „All Is Lost“ in den österreichischen Kinos. 
 Warum der Film dennoch eher ein Versuch einer intimen Charakterstudie ist, und sich dem Diktat der Oscar-Maschinerie nicht unterwirft, habe ich versucht im folgenden Beitrag herauszuarbeiten.


„All Is Lost“ ist neben dem Publikumsliebling „Gravity“, der zweite Film dieses Winters, der sich mit einem Charakter im Überlebenskampf auseinandersetzt. Die Rarität solcher Filme hält sich ohnehin in Grenzen. Erst letzten Winter spielte Ang Lees „Life of Pi“ mit einer ähnlichen Prämisse. Immer geht es um Individuen, die nach einem katastrophalen Ereignis in immer größeres Unglück stürzen. Als Ahnvater dieses „Genres“ muss wohl Daniel Defoes Roman „Robinson Crusoe“ herhalten, dessen gleichnamiger Hauptcharakter nach einem Schiffbruch auf einer Insel landet, und dort um sein Leben kämpft. In seiner knapp 300-jährigen Geschichte wurde Defoes Buch eifrig adaptiert – sowohl in Romanform als auch für die Bühne, fürs Radio, und fürs Kino. Am prominentesten wohl von Robert Zemeckis, modernisiert, als „Cast Away“. Im Fernsehen spielt z.B. die Serie „LOST“ mit ähnlichen Ideen. Diese Liste könnte man ewig fortsetzen und erweitern – von Lord Tennysons Ballade „Enoch Arden“ (verfilmt u.a. von D.W. Griffith-Hier die Besprechung auf Jugend ohne Film) bis hin zu Ernest Hemingways genialer Novelle „The Old Man and the Sea“ (Aleksandr Petrovs atemberaubende Öl-auf-Glas-animierte Kurzfilmadaption kann ich wärmstens empfehlen).J.C. Chandor konnte auf eine Menge Material zurückgreifen, um sich inspirieren zu lassen. Er wählte aber einen ganz anderen Weg. „All Is Lost“ kommt ohne Einführung, fast ohne Dialog (nicht einmal Zwiegespräche mit einem Volleyball) und ohne echte Auflösung aus. In seiner Struktur ist der Film beinahe avantgardistisch – Chandor versucht sich im Naturalismus und ist damit über weite Strecken sehr erfolgreich – die melodramatische Überhöhung im Schlussakt passt da leider nicht ganz ins Bild. Kaum naturalistisch sind gezwungenermaßen auch seine Sturmszenen. Obwohl Robert Redford einiges durchmachen musste und den Großteil der Wasser-Stunts sogar selbst performt hat, kann man in einem Tropensturm nun mal keinen Film drehen. Und gerade im Gegensatz zur reduzierten  Ästhetik des restlichen Films springt einem der Green-Screen dann so richtig ins Auge. Von visuellem Feuerwerk wie in „Life of Pi“ ist er aber weit entfernt, das ist in diesem Fall auch gut so.
 


Apropos Redford: Der Schauspieler ist mittlerweile 77 Jahre alt, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten war er 75. Wie man in solch fortgeschrittenem Alter noch so eine physisch und psychisch anspruchsvolle Rolle so formidabel ausfüllen kann ist mir ein Rätsel und verlangt höchsten Respekt. Noch dazu, weil der Film von Redfords Präsenz lebt. Der Film ist eine One-Man Show, bis auf eine andere Hand, und zwei kurzen abgehackten Funksprüchen findet sich keine andere Spur menschlicher Beteiligung im Film. Diese Radikalität hebt „All Is Lost“ von vergleichbaren Filmen ab. Ich kann natürlich nicht fürs gesamte World Cinema sprechen, aber zumindest die obengenannten Filme ähnlichen Sujets, bedienen sich Flashbacks, Prologen, Epilogen oder zumindest eines CGI-Tigers um einen dramaturgischen Bogen zu spannen. „All Is Lost“ arbeitet ohne diese Hilfsmittel, der Film ist jedoch nicht fühlbar langsamer erzählt. Ich würde sogar sagen, „All Is Lost“ komprimiert Zeit viel effektiver als die meisten Filme in diesem Subgenre. Zwar bedient sich Chandor ausgiebig beim Murphy‘schen Gesetz, der Film verliert aber nie so ganz seine Glaubwürdigkeit. Redfords Charisma, mutige Entscheidungen in der Inszenierung und ein erprobtes Konzept bilden den formalen Rahmen von „All Is Lost“, der wahre Grund sich den Film anzusehen, spielt sich aber auf der Metaebene ab: Der Kampf eines Individuums gegen eine unkontrollierbare Übermacht. Die Verzweiflung über die eigene Machtlosigkeit. Die bittere Erkenntnis, dass man als Einzelner keine Chance hat diesen Test zu bestehen. Hier lassen sich wieder Parallelen zu Weltraumepen wie „Apollo 13“ oder dem eingangs erwähnten „Gravity“ ziehen. Der Ozean und das Weltall sind beide nur mittels Technik zu bezwingen und stellen für den „nackten Menschen“ einen übermächtigen Feind dar. Auf hoher See haben sich Filme wie „The Poseidon Adventure“, „The Perfect Storm“, ja sogar „Titanic“ mit dieser Gefahr auseinandergesetzt.
 

Ich sehe noch eine andere Parallele – nämlich zu Chandors Debütfilm „Margin Call“. Chandor traf mit diesem Film den Puls der Zeit. Die Finanzmärkte als Spielplatz pathologisch-gestörter Yuppies. Vor dem Hintergrund der damaligen (und auch heutigen) wirtschaftlichen und politischen Lage, wurde der Film in erster Linie als Kommentar zur gegenwärtigen Situation gedeutet. Im Vergleich mit „All Is Lost“ eröffnen sich aber ganz neue Interpretationsräume, die rückwirkend eine andere Lesart von „Margin Call“ zulassen. Zwar arbeitet Chandor in „Margin Call“ mit konventionellen Erzählstrukturen und einem starbesetzten Ensemble-Cast, aber die Geschichte die er erzählt, unterscheidet sich nicht annähernd so stark von „All Is Lost“ wie man vermuten mag. In beiden Filmen sehen sich Männer einer unlösbaren Aufgabe gegenüber. Beide Filme handeln von einer Katastrophe, die nicht abzuwenden ist, von einem Kampf gegen eine Übermacht, die nicht zu kontrollieren ist. Im Falle von „Margin Call“ handelt es sich bei dieser Übermacht um einen Sturm aus 1en und 0en – dem aufgeblähten und unaufhaltsamen Finanzmarkt. Im Falle von „All Is Lost“ handelt es sich um einen tatsächlichen Sturm. Beide Filme präsentieren eine prekäre Ausgangslage. Einerseits der Stellenabbau im Büro, andererseits das leckende Boot. Die Protagonisten bemühen sich daraufhin die Löcher zu stopfen. Der Flut, die auf sie hereinbricht, sind sie aber nicht gewachsen.



2 Kommentare:

  1. Es erinnert mich sehr an "Das Meer in mir" oder "mar adentro"

    Das Meer als geschlossener und offener Raum,
    indem Träume ihre Zuflucht finden,
    als Innenleben der Seele gleichgestellt.

    Ramón Sampedro schreibt im Totenbett:

    Ins Meer hinein, ins Meer,
    in seine schwerelose Tiefe,
    wo die Träume sich erfüllen,
    und Zwei in einem Willen sich vereinen,
    um zu stillen eine große Sehnsucht.


    Ein Kuss entflammt das Leben
    mit einem Blitz und einem Donner,
    und sich verwandelnd
    ist mein Körper nicht mehr Körper,
    als Dräng ich vor zum Mittelpunkt
    des Universums.


    Die kindlichste Umarmung
    und der reinste aller Küsse,
    bis wir beide nicht mehr sind
    als nur noch eine große Sehnsucht.

    Dein Blick und mein Blick
    wortlos hin und her geworfen,
    wie ein Echo wiederholend: tiefer, tiefer,
    bis weit jenseits allen Seins,
    aus Fleisch und Blut und Knochen.

    Doch immer wach ich auf
    und immer wär ich lieber tot,
    um endlos mich mit meinem Mund
    in deinen Haaren zu verfangen.

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  2. Das Meer als Ort der Unendlichkeit, der Sehnsucht, des Endes und des Anfangs. Nicht nur in "Mar adentro", der das undurchschaubare Meer ja gleichzeitig als Grund für das Leiden (der Unfall) und als Ode an die Fantasie anspricht. (die traumhaften Kamerflüge zum Meer). Immer ist es das Meer. Wieviele Filme enden am Meer? Immer ein starrer letzter Blick hinaus, es zieht sie alle hin Fellini, Visconti, Truffaut oder Bergman. Keiner kann sich dem Meer entziehen. Romantik und Nüchternheit treffen aufeinander (selbst John Ford hat am Meer gedreht!) Irgendwie gleicht das Meer ja auch dem Kino. Es ist fasznierend anzuschauen, es verbergen sich tausende Bilder und Geschichten darin, es übt eine Stimmung auf uns aus. Es scheint von alleine zu leben und obwohl es manchmal ganz still zu liegen scheint, bewegt es sich immer. Es kann gefährlich sein und beruhigend, laut und leise, aggressiv und sanft. Für Sampedro liegt im Meer wahrscheinlich auch das Bild der Todessehnsucht. Im Kino vermag sich das Leben auch zu töten.

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