Donnerstag, 5. Dezember 2013

Jungfrukällan von Ingmar Bergman



Die Zusammenkunft von Ingmar Bergman und Sven Nykvist prägt die erhabenen Bilder von Ingmar Bergmans „Jungfrukällan“ in jeder Hinsicht. Wie die Jungfrau Karin, die Kerzen zum Gottessdienst bringen soll und dabei einen Wald durchquert von einer schuldigen Unschuld umgeben ist, so sind es auch die Bilder, die Bergman und sein Bildermacher produzieren. Es ist als würde 1960 die Spiritualität auch in die Bilder von Bergman geweht werden. Zwar hatte Nykvist schon einige Szenen bei „Gycklarnas afton“ für Bergman gedreht, aber mit „Jungfrukällan“ entsteht ihr erstes tatsächlich gemeinsames Werk. Zahlreiche weitere sollten folgen.  Das Weiß im Film wirkt strahlend und unschuldig, verspielt und dennoch ein bisschen zu hell, um echt zu sein. Die sexuelle Unschuld vor Gott ist moralisch schon lange gebrochen. So scheint es in den ersten Bildern der jungen Karin, die genau zu wissen scheint wie sie Männer um sich herum betört und überzeugt. Seltsam verspielt scheint auch das Verhältnis zu ihrem Vater Töre, der von einem das Bild durchströmenden Max von Sydow zwischen Jugend und Zerbrechlichkeit, Wärme und Härte oszilliert. Doch bald wird klar, dass der verspielte Umgang von Karin mit dem männlichen Geschlecht das wahre Gesicht ihrer Unschuld und ihres Untergangs ist. Sie hat kein Gefühl für die Gefahr, erinnert in ihrer fröhlichen Naivität an Schneewittchen. Neben ihr ist ihre benachteiligte Adoptivschwester. Sie bringt dunkle Mächte ins Spiel und wünscht Karin den Tod. Ihre Angst vor dem Wald, lässt die deformierte Schönheit von Bergmans Natur in einem bedrohlicheren Licht erscheinen. Seine Bilder und Töne sprechen auf den ersten Eindruck die Sprache der Unschuld, der Unberührtheit, aber auf den zweiten Blick offenbaren sich gefährliche Formen und merkwürdige Mächte des Todes spielen ihre Rolle. Fast ein Horrorfilm und gewissermaßen eine Analogie zu Lars von Triers „Antichrist“. Bergman stellt die Frage nach der Unschuld nicht, denn für ihn ist sie gerade dann verloren, wenn sie ausgestellt und verteidigt wird. Immer wieder sind Tiere zu sehen: Ein Vogel blickt in die Kamera, ein Frosch, den die Schwester Karin in ihr Brot steckt, ein weißes Pferd. Der Ton ist auf allen Ebenen angereichert mit der Natur. Wind, Tierschreie, Wasserläufe. Bergman lässt seinen Film leben, aber wohlüberlegt. Kein Ton, keine Bewegung zu viel. Vor allem im zweiten Teil, wenn sich die Geschichte in eine pragmatisch-alttestamentliche Rachegeschichte verkehrt. Nochmal wird die Unschuld verloren, doch diesmal liegt sie auch nicht mehr in den Bildern. Sie verschwindet in einer Geste, die heute an Nicolas Winding Refns Hand-Fetischismus erinnert. Die Hände des Mörders werden gedreht und als etwas vom Körper abgetrenntes betrachtet.   


Aber wer hat Schuld? Nicht umsonst wurden Vergleiche zu Kurosawas „Rashomon“ angestellt. Die Vergewaltigungsthematik, der Wald und die Unklarheit von Schuld sind kaum zu übersehene Parallelen. Wie von einer fremden macht geleitet lässt die Schwester den Stein fallen, der Karin das Leben retten könnte. Statt ihn auf die Vergewaltiger zu werfen sieht sie machtlos zu. Später vermag auch die Mutter ihren Mann nicht daran hindern das unschuldige Kind zu töten. Ist ein Kind aber immer unschuldig? Wie unschuldig ist Karin selbst? Einer der Vergewaltiger ist sprechbehindert, seine Zunge wurde angeblich rausgeschnitten. Bergman scheint diese Figur weder aus billigen Horroreffektgründen noch aus einer Art psychologischer Rechtfertigung für die Tat zu verwenden, sondern vielmehr erscheint durch sie eine Art übergeordnete, ja gottgewollte Ungerechtigkeit. Auch der blinde Mann in seiner Hütte wird zu einem lüsternen Propheten des Grauens. Bekanntlich ist Bergman selbst mit „Jungfrukällan“ nicht zufrieden. Er mag sein eigenes Ende nicht. Der Vater will eine Kirche bauen, an genau dem Ort, an dem seine Tochter vergewaltigt wurde. Es ist auch eine Art, um für seine eigene Mordsünde einzustehen. Trotz der Ablehnung des Regisseurs gegenüber diesem Schluss sei gesagt, dass er damit genau jenen Konflikt aufgreift, der sich schon den ganzen Film ereignet. Eine Gegenüberstellung von Schuld und Unschuld, die sich gegenseitig durchdringt. Unschuld bei Bergman heißt eben Schuld. Dieses Paradox zieht sich gewissermaßen durch das ganze filmische Werk des Regisseurs. Damit bewegt er sich durch jenes Gebiet der großen spirituellen Filmemacher wie Tarkowski oder Bresson und wenn man so will auch Fellini. Heute hat Gott mehr oder weniger keine Bedeutung mehr im westlichen Alltag und somit auch im westlichen Kino. Sind deshalb auch die sich transzendierenden Bilder aus dem Kino verschwunden? Nicht wirklich, denn es gibt genug Filmemacher, die sie noch suchen und umsetzen können. Der Unterschied liegt darin, dass sie Bergman und Nykvist schon kennen und damit fällt es noch eine Spur schwerer zu einer tatsächlichen Unschuld der Bilder zu gelangen, zu einem Licht, das wie ein spiritueller Schein wirkt statt wie ein Filmzitat. Am meisten diskutiert wurde natürlich über die Vergewaltigungsszene selbst. Sie ist eine weitere Lektion großer Filmkunst. Die grausamste Tat stellt Bergman in erhabener, ja leichter Schönheit dar. Er entfernt sich und für einen Moment offenbart sich die reine Unschuld ausgerechnet im schuldigsten Moment. Er betont immer den Rand, das scheinbar Unsichtbare, das Vorbeirauschende. Sein Ziel ist immer die Magie des Kinos, die sich zwischen den Räumen einer bloßen Narration auftut.  


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