Sonntag, 1. Dezember 2013

Das amerikanische Monster: Gone with the Wind



Es gibt Filme über die kann man eigentlich nicht schreiben, weil man sich ganz sicher sein kann, dass schon fast alles darüber gesagt wurde, und weil diese Filme wie Felsen in der Reflexionslandschaft stehen und sich nicht bewegen lassen. „Gone with the Wind“, der 1939 von David O. Selznick produziert und in großen Teilen von Victor Fleming realisiert wurde, ist ein solches Stück Filmgeschichte, tatsächlich eingeschriebene Filmgeschichte. Und Filmgeschichte rühmt sich zwar der eigenen und ständigen Neuerfindung, dem ständigen Hinterfragen und der völligen Freiheit von jeglichem Dogmatismus, aber so ganz umschreiben lässt sich die Betrachtung eines Films dann doch nicht. Aus diesem Grund stehe ich übrigens auch Top10-Listen öffentlicher Magazine, wie sie gerade zum Jahresende wieder in Scharen auftauchen, mehr als nur kritisch gegenüber. Wenn man privat solche Listen anfertigt, finde ich das in Ordnung, man hat die Möglichkeit in einigen Monaten Änderungen vorzunehmen und die Liste immer wieder zu hinterfragen. Aber Zeitschriften setzen diese Liste wie Stempel auf ihre Ausgaben, ja auf ihre Politik. Das ganze Jahr verweigern sie zum Teil eine Bewertung (was ich sehr gut finde), um dem Leser dann doch eine möglichst einfache Wertung, sogar noch im Vergleich und unter Denunzierung der ausgeschlossenen Filme zu geben. Natürlich nicht ohne, dass Kritiker selbstherrliche Kommentare unter die Listen setzen und ihre Wahl begründen. In einigen Jahren erst würde ich gerne hören, wie sie ihre Wahl rechtfertigen. Der wahre Hintergrund könnte aber die sogenannte Interaktion mit den Lesern sein, die dann in zahlreichen Kommentaren ihre Wut oder Übereinstimmung laut kundtun können, ohne dass ihnen jemand sagt wie uninteressant das für irgendwen außer ihnen selbst ist. Der einzige positive Faktor scheint mir, dass verschiedene Filme eine gerechtfertigte Aufmerksamkeit dadurch gewinnen. 


Wenn man den Sight&Sound Poll aus dem Jahr 2012 für die besten Filme aller Zeiten hernimmt, dann befindet sich „Gone with the Wind“ dort auf einem respektablen 235.Rang. Berühmt ist der Film aber eher für seine Berühmtheit. Ein Publikusmdarling, ein großer Familienfilm, der selbst heute noch das melodramatische Herz des geneigten Fernsehzuschauers höherschlagen lässt. Man kann sich mancher Sache auch schwer entziehen, sei es die opulente Bilderflut, die sich nicht aus Szenen, sondern aus Kompositionen zusammensetzt, die harte Konsequenz, die der Film mit einigen sehr überraschenden Ausflüchten aus dem Hollywood-System an den Tag legt oder die Wärme, die hier mit scheinbarer Ehrlichkeit versprüht wird. Dagegen stehen natürlich lächerliche Szenen, ein unter heutigen Voraussetzungen kaum ertragbares Spiel, ein unter heutigen Voraussetzungen schwer zu ignorierender Rassismus und eine literarische Grundanordnung, die den orangen Farben des Himmels, den Augen von Vivien Leigh oder der Musik von Max Steiner nur so viel Luft gibt, dass sie nicht völlig absterben; ein Film des Systems, ein Produkt eines Produzenten. Aber es ist eine Perfektion in dieser Art Film herzustellen, die man nicht leugnen darf. Der Einfluss auf das heutige Kino scheint enorm. Der Film exemplifiziert das Spielberg-Face Jahrzehnte bevor der es angeblich erfand, er zeigt eine Inszenierung der Hauptperson als schwieriges Opfer, wie sie heute in Superheldenfilmen üblich ist und er hat die selbe Ironie zum eigenen Drama, wie man sie in einem postmodernen Blockbusterkino erwarten würde. Der Film schützt sich beständig vor Angriffen auf eine zu große Sentimentalität, indem er eine Figur in sein Zentrum stellt, die kaum fühlt und wenn sie fühlt, ist man nicht mehr sicher, ob sie es tut und außerdem wäre es dann auch zu spät. Natürlich verspricht der Film einen Hoffnungsschimmer, aber der wiegt sich überraschend leicht gegenüber dem erlittenen Verlust. Die klare moralische Botschaft wurde auch-wie heute so typisch im Blockbusterkino-verschleiert, aber doch deutlich genug verkauft, sodass sich alle erfreuen können. 
  

Im März 1973 beschäftige sich Arthur Schlesinger Jr. mit „Gone with the Wind“. Sein Ansatz war festzuhalten wie schlecht der Klassiker altern würde. Er sieht im Film eben doch eine Seifenoper. Seinen eigenen, sehr gut gewählten Worten zur Folge: „It aspires to opera and achieves soap opera.“ Er kritisiert, dass im zweiten Teil des Films statt der Rekonstruktion private Dramen beleuchtet werden. Und dann wird er polemisch: “And how badly written it is! There is hardly a sharp or even a credible line. It is picture-postcard writing, as it is picture-postcard photography (and, for that matter, picture-postcard music).” Am Ende seiner zu kurzen und damit auch nicht wirklich überzeugenden Betrachtung legt er nahe, dass womöglich in 30 Jahren eine neue Betrachtung des Films möglich sei. Jetzt sind wir 40 Jahre später. Ich bin weit davon entfernt ein Experte im klassischen Hollywood zu sein oder für irgendeine der beteiligten Filmschaffenden oder gar nur für den Film selbst. Mein Nachteil gereicht aber insofern zum Vorteil, weil ich den Film tatsächlich auch erst im Jahr 2013 zum ersten Mal gesehen habe. 74 Jahre nach seiner Uraufführung. Film tötet die Zeit und alleine dafür muss man Film lieben. Aber das spielt hier kaum eine Rolle. Den Seifenopereffekt, den Schlesinger bemerkte kann man natürlich genauso wenig umgehen, wie die Postkarten-Polemik. Er hat in vielerlei Hinsicht Recht, aber was heute wohl passiert ist mit dem Film, ist dass man ihn nicht mehr so ernst nimmt. Man betrachtet ihn eher als Zeitgeschichte, als historisches Dokument und wird dann überrascht, dass dort Gefühle schlummern. Nähert man sich dem Film mit ernstem Blick an, wird man enttäuscht, nähert man sich mit belächelnder Haltung, wird man überrascht. Ich dachte, dass der Film eine Seifenoper sein will, aber er war verdammt nahe an einer Oper. Der Vorwurf, dass statt der Rekonstruktion mehr private Konflikte im Zentrum des zweiten Teils stehen, ist genauso von Sentimentalitäten geprägt wie weite Teile des Films angeblich von ihnen durchzogen sind. Zunächst einmal sei gesagt, dass das private Schicksal von Scarlett O’Hara trotz all seiner Künstlichkeit durchaus als exemplarisch für die Zeit angesehen werden könnte. Aber selbst wenn dies nicht so ist, muss man doch sagen, dass die Bilder eine Treue zur Zeit beinhalten und der Ton des Films durchzogen ist von einem hoffnungslosen, aber beständigen Ankämpfen gegen das eigene Schicksal. Nachdem im ersten Teil tatsächlich historische Momente eingefangen werden, muss man eigentlich fast froh sein, dass dies im zweiten Teil eher auf private Ebene verlagert wird, denn in den historischen Bildern von Leichenfeldern und Kriegen offenbart sich die ganze Monstrosität der amerikanischen Hollywood-Maschine. 


Spricht man heute von ideologischen Problemen wird häufig auf den Rassismus verwiesen. Wirklich problematisch scheint mir aber, und da hat sich seit  „Gone with the Wind“ wenig verändert, die Würde des Grauens, die Schönheit des Brutalen, die in Hollywood aus Elend ein Drama macht. Kranfahrten, die einem das Ausmaß von Kriegen demonstrieren, langsame Schwenks über tausende tote Körper und eben die Privatisierung des Grauens, das sich sofort an die Nahaufnahme eines weinenden Gesichtes klammern muss, wie es auch in „Dances with Wolves“ von Kevin Costner oder „Cold Mountain“ von Anthony Minghella zum Standardrepertoire gehört. All diese Stilmittel betrügen die angeblich saubere Moral des klassischen Hollywoods und auch des modernen Hollywoods in der billigsten Weise. In der Sprache der großen Bilder wären eigentlich nur die Banalität und der Pragmatismus angebracht, um Grauen zu zeigen. Ich muss mich deutlicher machen: Die Schönheit des Grauens gehört für mich zu einer der wichtigsten und aufregendsten Elemente in Filmen. Sie ist Resultat einer künstlerischen Betrachtung der Welt, einer bestimmten Weltsicht. Hollywood vertritt diese Weltsicht aber nicht. Insbesondere im klassischen Studiosystem (auch wenn „Gone with the Wind“ von Selznick und damit nicht absolut im Studiosystem entstand, ist er das Produkt dieses Systems) ist das Grauen das Grauen und ist Schönheit Schönheit, Gut ist Gut und Böse ist Böse. Grauzeichnen funktioniert erschreckenderweise bis heute in einer Art, die ständig selbst darauf aufmerksam macht, dass man NICHT schwarz und weiße Charaktere gezeichnet hat. Doch fast in jedem historischen Film gibt es diese Ausreißer. Immer dann, wenn es um Krieg, um Gewalt geht, schaffen es die Filme nicht ihre opulente, schwelgerische Linie zu verlassen und widersprechen dann ihrer eigenen Ideologie. Wenn die Tiere in „Dances with Wolves“ erschossen werden, geschieht dies in unfassbarer Schönheit. Dasselbe gilt für das Ende von „Cold Mountain“ und eben auch für die Leichenfelder in „Gone with the Wind“. Spannende Freiräume tun sich da auf.


Die Lust am Sehen wird wieder befriedigt und die eigene Moral wird ganz unbemerkt umschifft. Wenn eine große Produktion Patriotismus hinterfragt und ein negatives Bild der eigenen Welt zeichnet, wie das beispielsweise auch in den Batman-Filmen von Christopher Nolan geschieht, dann muss anscheinend umso mehr darauf hingewiesen werden, dass sich diese amerikanische Qualität jetzt auf die Kunst des Filmemachens verlegt hat. Technische Brillanz wird geschätzt und geliebt. Sie ist der Patriotismus, ja der Faschismus der Filmwelt. Eine Ideologie, die nur von der Zeit selbst zum Platzen gebracht wird, aber nur weil sie sich selbst überholt. Etwas, das besonders gut aussieht und spektakulär ist, manchmal auch innovativ, das muss gut sein. Wie in einem Automagazin werden da Filme geschaut. Besonders aufregende Kamerafahrten, ein unfassbarer Effekt, ein Schockerlebnis. Das ist nicht unbedingt schlecht, weil es das Sehen auch wieder auf eine naive, fast kindliche Ebene herabsetzt, aber es ist im Kontext einer Relevanzdiskussion rund um Filme eigentlich obsolet. Damit wären wir wieder bei den Top10-Listen und ihrer beständigen Würdigung von Alfonso Cuaróns „Gravity“. In diesem Zusammenhang darf man sich dann auch fragen, was naives Sehen eigentlich bedeutet. Ich habe diverse Interviews mit Filmemachern und Technikern gelesen und bin mir über die unfassbare und wichtige Arbeit bewusst, die dort geleistet wurde. Aber Filme sind doch keine Autos. Technik scheint mir das einzige zu sein, was wirklich altert im Film. Die Wichtigkeit (wenn es sowas wirklich gibt) eines Filmes misst sich sicherlich an unterschiedlichen Faktoren, aber doch auf keinen Fall an der Technik. Wird dann in 30 Jahren jemand schreiben, dass der Film außer seiner Technik kaum etwas bietet, um nicht zu sagen, dass er nichts bietet? Schlesinger Jr. Stellt plötzlich fest, dass „Gone with the Wind“ schlecht geschrieben wurde. Wurde diese Feststellung 1939, ob der Technik vernebelt oder ist es etwas-der Mann betont ja, dass er „Gone with the Wind“ schon damals nicht besonders gut fand-dass er einfach loswerden wollte. Er mag Recht haben mit dieser Feststellung, aber 40 Jahre später spielt sie kaum mehr eine Rolle, weil der Film sie nicht mehr spielt. Man schaut sich die Geschichte von Scarlett O’Hara nicht mehr naiv an, das ist vorbei.


2013, im Zeitalter des materiellen Todes von Film, bekommt Technik eine neue Bedeutung. Filme spielen mit den Möglichkeiten, werfen einen Blick auf nostalgische Zwischenformen wie Video und die Lager zwischen digitalen Verfechtern und analogen Starrköpfen spalten sich unendlich auf. Auf einer anderen Ebene wird in Hollywood ein 3D-Kampf geführt, eine ständige Weiterentwicklung der Technik, die an den Kalten Krieg erinnert. „Gravity“ ist in diesem Sinn sicherlich ein zeitgemäßer Film, aber sich dem Film mit fehlender Reflektion zu nähern, um zu argumentieren, dass es solche Filme auch geben muss und dass es doch schön sei, sich mal wieder richtig im Kino zu verlieren, ist sowohl für den Film selbst als auch für die Filmkritik kein Gewinn. Man muss Narration nicht neu erfinden, man muss auch nicht mit jedem Film tiefe Themen aufgreifen, aber selten in diesem Jahr habe ich einen Film gesehen, der so offensichtlich auf seine Geschichte pfeift. Das Drehbuch funktioniert nach dem Motto: Hauptsache es passiert was und wir finden Möglichkeiten für die Kamera.  1939 war vielleicht ein ganz ähnliches Jahr in der Filmindustrie. Da ging es nicht um 3D und Analog VS Digital, sondern um Farbe. Also was machen wir? Wir haben möglichst viele Kostüme, damit wir Farben zeigen können, wir machen Farbe, Farbe, Farbe und die Geschichte dahinter muss sich den Farben angleichen. Eigentlich ein romantischer Gedanke, wenn er nicht so verklärt wäre. Denn genau hier liegt ja das Problem. Die Schönheit der Farbe bringt den Film in jene kritisierten Gebiete der Sentimentalitäten, die er durch seine Charaktere und seine Geschichte eigentlich kaum betreten würde. Naives Sehen heißt dann, dass man das genießt. Und das amerikanische Monster zielt genau auf diesen Effekt. Philosophische Gedanken gehen dann in die Besprechungen von „Gravity“ ein, obwohl sie schlicht und ergreifend nicht vorhanden sind im Film. Weder gewinnt Cuarón der Lost in Space Thematik irgendwas Neues ab, noch erzählt er etwas über Menschlichkeit, noch über technologische Entwicklung. Es ist eine veraltete Geschichte einer Frau, die um ihr Leben kämpft. Mit manchen pseudo-symbolischen Einstellungen impliziert der verzweifelte Regisseur, dass es um mehr gehen könnte, findet aber nicht die Kamerapositionen, um das zu erzählen. Wunderbar, wie sich hunderte sonst völlig reflektierte Kritiker davon täuschen lassen. „Gravity“ ist ein Film aus dem Jahr 1939. Oder ist „Gone with the Wind“ ein Film aus dem Jahr 2013? Ich mochte ihn 74 Jahre später, aber ich bin naiv. 

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